Eatdrink: Klaus Kamolz

eatdrink von Klaus Kamolz „In dem Busen tief versteckt“

„In dem Busen tief versteckt“

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Mit den Artischocken ist es wie mit den Topfpflanzen, denen zumindest, über die der Kabarettist Josef Hader einst ein berührendes Liedchen geschrieben hat. Dumpf und zufrieden, ohne Eigeninitiative hocken sie anfangs im Glashaus – wie die Zimmerpflanzen in der geheizten Wohnung. „Burschen“, singt Hader, „so werds ihr net oid wern, Topfpflanzen, bitte gehts spa­ziern.“ In einem Garten im Marchfeld, den man ein paar Breitengrade südlicher vermuten würde angesichts der Feigen-, Zitronen- und Granatapfelbäume, sitzen Stephanie Theuringer und ihr Vater Johannes Theuringer und erklären die Parallelen zwischen totgepflegten Ficus-Bäumchen und den sagenhaft gesunden wie köstlichen Distelgewächsen. „Vernalisation“, sagt Johannes Theuringer, lautet das Zauberwort. „Die Jungpflanzen brauchen eine Kältephase, um sich abzuhärten und mit dem Wachstum loszulegen.“ Deshalb müssen sie zeitig im Frühjahr raus aus dem Glashaus in die noch klammen Nächte; „Cabrio-Methode“ nennt das der Hausgärtner der Theuringers.

Seit einigen Jahren baut die mit Solofino-Spargel bekannt gewordene Familie lieber distel- als lilienartiges Gemüse an; die Initiative kam von Tochter Stephanie: „Einfach, weil ich sie gerne esse.“ Mittlerweile bewirtschaftet sie mit ihrem Bruder Johannes Theuringer junior vier Hektar am Dorfrand; das sind 17.000 Pflanzen, von denen jede im Lauf der Saison null bis fünf genießbare Knospen sprießen lässt. Stephanie Theuringer hat sich mit viel Mühe und einigen Fehlschlägen enormes Artischockenwissen angeeignet. Sie besuchte Betriebe in Kalifornien und Frankreich, und wenn man schon einmal in Venedig ist, muss auch ein Besuch auf der Gemüseinsel Sant’Erasmo in der Lagune sein. Von dort kommen nämlich schon zeitig im Frühjahr die begehrten kleinen „castraure di Sant’- Erasmo“. Anfangs schlugen sämtliche Versuche mit italienischem Saatgut fehl, denn südliche Sorten tragen erst im zweiten Jahr, sind aber hier nicht winterhart. Als ideal für das Marchfeld hat sich nunmehr die klassische „Große Grüne von Laon“ erwiesen.

Absatzschwierigkeiten kennen die Theuringers keine. Neben dem Ab-Hof-Verkauf gelangen die Knospen vor allem in anspruchsvollere Restaurantküchen; derzeit gehen mehr als 2000 Stück pro Woche in die Festspielstadt Salzburg. Dennoch: Der neue Spargel wird die Artischocke hierzulande wohl nie werden. „Viele haben große Berührungsängste, von zehn Kunden bleiben uns vielleicht zwei“, schätzt Johannes Theuringer. Das liegt zum einen am aufwändigen Zuputzen, zum anderen an der Qualität, die – zu irrwitzigen Preisen – gewöhnlich in Österreich landet: weit gereiste Stiele, mit denen sich Lagerfeuer entzünden lassen, und vertrocknete Blätter bis tief hinein ins aromatische Herzstück der Knospe, den Boden. Hätte der alte Geheimrat Goethe bloß solche Anzündhilfen zur Verfügung gehabt, wäre er wohl nie ­einer der glühendsten Verehrer der „starren Distel“ geworden, „die, was uns am besten schmeckt, in dem Busen tief versteckt“.

Nächste Woche: Kochen mit Artischocken

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