Eatdrink: Klaus Kamolz

eatdrink von Klaus Kamolz Neue Küchenzeiten

Neue Küchenzeiten

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Zwanzig Jahre Restaurantführer „A la Carte“, zwei Jahre Wirtschaftskrise, im Osten Österreichs nicht viel Neues, im Westen dafür umso mehr, wie eh schon seit Längerem. Das war’s dann, bis nächste Woche. Nein, ganz so ist es auch wieder nicht. Der Guide, der vergangene Woche in den Kulissen der „World Press Photo 10“-Ausstellung in der Wiener Galerie Westlicht vorgestellt wurde, markiert eine Zäsur in der heimischen Gastronomie; so wie es aussieht, ist die Edition 2011 für einige Zeit wohl die letzte Ausgabe, die auf krisenbedingte Stagnation Bezug nehmen muss, die konstatieren muss, dass die kulinarische Avantgarde im Land eine eher untergeordnete Rolle spielt, während viele auf Sicherheit und Altbewährtes setzen. Tja, so etwas mögen professionelle Tester nicht sehr gerne, weshalb auch viele Betriebe des mittleren Segments teilweise empfindliche Einbußen im 100-Punkte-Bewertungsschema des Guides hinnehmen mussten. Dafür aber kristallisiert sich heraus, dass schon im nächsten Jahr das „Steirereck“ nicht mehr ganz so einsam das Terrain der Wiener Spitzengastronomie einnehmen wird.

Während die traditionelle Wiener Hotelgastronomie sich der Bedeutungslosigkeit nähert („Imperial“ und „Korso“ rangieren im aktuellen „A la Carte“ mittlerweile auf dem Niveau von gutbürgerlichen Wirtshäusern), wird eine neue Generation von Hotelküchen bereits für die bevorstehenden Eröffnungen auf Hochglanz poliert. Die Leute, die das durchziehen sollen, mischten sich schon bei der diesjährigen Präsentation unters Volk. Da ist Silvio Nickol, eben erst dem Veldener Problemschloss entronnen, wo er 2007 als groß gewachsener, blonder und artiger Schüler des deutschen Ausnahmekochs Harald Wohlfahrt begonnen hatte. Heute: vor Selbstbewusstsein strotzend, viel Gel in den Haaren, lässiger Designeranzug … Könnte spannend werden, wenn er demnächst im „Palais Coburg“ auch so cool und zeigemäß kochen wird. Dann stellt er einen Eckpunkt jenes kulinarisch ambitionierten Hoteldreiecks dar, das gerade auf kleinem Raum in Wiener City-Lage entsteht. Joachim Gradwohl hat gerade eine Tour durch die Küchen der Shangri-La-Hotels hinter sich und rekrutiert nun seine Brigade für die Wiener Dependance am Schubertring; Antoine Westermann und sein operativer Chef Raphael Dworak enthüllen bereits Mitte November, die Küchenlinie im Wiener „Sofitel“ am Donaukanal.
Bemerkenswert ist allerdings, dass frühere große Köche in Hotels mit ihren derzeitigen Projekten nur noch als Tipps ohne Punktewertung gelistet sind. Christian Petz im „Holy-Moly“ auf dem Wiener Badeschiff und Reinhard Gerer im „Magdalenenhof“ am Fuß des Bisambergs lassen Her­ausgeber Christian Grünwald ein wenig ratlos zurück: „Da scheint eine neue Kategorie gastronomischer Betriebe zu entstehen, mit der wir als Tester ein Problem haben. Es gibt nämlich klassische Vorstellungen von einem guten Restaurant, die Ambiente, Service, Tisch- und Glaskultur und eine konstante Küchenleistung inkludieren.“ Doch diesbezüglich sieht Grünwald sowohl im schwimmenden Bobo-Laden auf dem Donaukanal als auch im – neuerdings nur noch nach längerem Fußmarsch erreichbaren – Ausflugslokal am Wiener Stadtrand Widersprüche: „Man kann in diesen Lokalen wunderbare Tage erwischen, aber es besteht keine Garantie, dass jeder Gast unsere Schwärmerei im Guide auch wiederfindet.“ Grünwald nennt in dieser Kategorie noch weitere, als Tipp gelistete Beispiele: den Grazer „Speisesaal“ (Holzkohlengrill), das Wiener „Capa Tosta“ (Pizza und Soul Music) und das südburgenländische „Speiseatelier“ (vegetarische Küche).

Die mörderischste aller Fragen aber, die seit Kurzem in der Szene diskutiert wird, lautet: Was wird Fabio Giacobello tun, der kürzlich kryptisch ein neues Projekt angekündigt hat? Und wird er es damit bereits in die Restaurantführer für das Jahr 2012 schaffen? Der Gründer des „fabios“ auf der Tuchlauben will die andere Straßenseite erobern und in der geplanten Luxusmeile des Immobilien-Investors René Benko Unterschlupf finden. Zwar sagt der Gastronom noch nichts über seine Pläne, sein Küchenchef Christoph Brunnhuber aber übergibt im „fabios“ an Souschef Ralph Kampf und klappert erst einmal einschlägige Etablissements in Europa ab, um Inspiration zu finden. Die Spekulationen über das neue Konzept reichen von moderner österreichischer Küche bis zum ersten Wiener Reifungsraum für Dry-Aged-Beef. Und: Der neue Laden wird sicher nicht klein.

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