Eatdrink: Klaus Kamolz

eatdrink von Klaus KamolzVater Fleisch

Vater Fleisch

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Mitunter befinde ich mich auch mit Vegetariern in einem Restaurant, das sich der heimischen Küche verpflichtet fühlt. Aber sobald wir die Speisekarte in die Hand gedrückt bekommen, tun sie mir ein bisschen leid. Ich blicke bereits beim Studium in etwas enttäuschte Gesichter, und wenn dann serviert wird, mischt sich auch Neid in ihre Blicke – natürlich nicht wegen des Fleisches, das mir vorgesetzt wurde, sondern wegen der ziemlichen Schieflage, was Kreativität und kompositorischen Ehrgeiz der Küche betrifft. Komischerweise ist das in Lokalen mit beispielsweise italienischer oder asiatischer Küche anders.

Das sich national preisende Angebot an vegetarischen Gerichten ist hingegen in den allermeisten Fällen überschaubar. Häufig drückt es die Notwendigkeit aus, im Licht der neuesten Entwicklungen vermehrt fleischlose Gerichte anbieten zu müssen, die dann aus den weggelassenen tierischen Komponenten bestehen. In anderen Fällen besteht das Angebot immer noch darin, Fleisch mit Seitan oder Tofu zu imitieren; und im schlimmsten Fall – man möchte nicht glauben, wo überall das passiert – wird statt des Tieres einfach eine Gemüsedose geschlachtet. Der Status des Vegetarismus-Trends ist also derzeit folgender: Fleisch ist böse, aber allein deswegen ist Gemüse hierzulande noch lange nicht gut.

Ich freue mich jedes Mal über ein gelungenes Gericht, in dem weder Fisch noch Fleisch vorkommen, und es gibt in Österreich ­einige Restaurants, die so etwas überzeugend zuwege bringen – die mit neuen, zumeist ökonomisch uninteressant gewordenen ­Nischenprodukten arbeiten, die neue Gartechniken ausprobieren und etwas servieren, das in sich geschlossen wie ein eigenständiges vegetarisches Gericht wirkt und nicht aussieht wie ein Foto aus den Zeiten des Stalinismus, aus dem mit optimierbarem technischem Geschick ein gerade unliebsames Subjekt entfernt wurde. Man kann sich von solchen „Fälschungen“ ernähren, keine Frage, aber die österreichische Küche wird sich dadurch nicht modernisieren lassen. Wobei sich auch die Frage stellt, wie viele das hierzulande wirklich wollen.

Der Trend zum ökologisch bewussten, von Sektiererei befreiten und hedonistisch motivierten Vegetarismus wird zwar von Medien und Lebensmittelindustrie derzeit heftig befeuert, die Diskussionen in einschlägigen Kulinarik-Foren lassen mich aber oft glauben, wir hätten die Nachkriegsjahre und ihre aus der Not geborene vegetarische Lebensweise („Land der Erbsen und der Bohnen“) gerade erst überwunden: Aufwändiges Essen ohne tierische Komponente gilt schlicht als dekadent, weil ohne Fleisch zu teuer, dann doch lieber zum panierenden Wirt ums Eck.
Schade eigentlich. Zum ersten Mal ließe sich vegetarische Küche von ihren historischen Wurzeln, die sie als Phänomen des Mangels definieren, trennen. Ehrgeizige Köche müssten Labors einrichten, in denen pausenlos experimentiert wird; die Chefs müssten sich mal abseits der „Seitenblicke“-Events über die Zukunft der österreichischen Küche austauschen, sie müssten auch manchem abschwören, und am Ende müsste ein Manifest erscheinen, das diese Küche definiert, wie es vor Jahrzehnten bei der Nouvelle Cuisine der Fall war. Sie müssten etwas Vorbildhaftes schaffen, das auch in die privaten Küchen sickert.

Was Christian Wrenkh, der Pionier der vegetarischen Küche in Österreich (der im Übrigen seit Jahren behutsam auch Fisch und Fleisch auf der Karte führt), vor Jahren analysiert hat, gehört zum Klügsten, was je über die Psychopathologie der heimischen Essgewohnheiten gesagt wurde, und gilt heute noch. Ein Gericht, so Wrenkh, hat nach der Formel „a + 2b“ zu erscheinen, wobei „a“ Fleisch oder Fisch definiert und „b“ Beilagen wie Kar­toffeln und Gemüse. „Diese Struktur repräsentiert eine klare Hierarchie, die Paral­lelen zum traditionellen Familienbild aufweist: Der Vater ist der Hauptbestandteil – das Fleisch. Wer das verweigert, negiert das angestammte Familienoberhaupt.“ Und so eine Haltung gilt es erst einmal aus den Köpfen der speisenden Mehrheit herauszukriegen.

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