Die Friedensnobelpreisträger-Bande

Edward Snowden: Versagen der Schutzmacht der Freiheit

USA. Robert Treichler über den Krimi um den Aufdecker Edward Snowden

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Am 11. März dieses Jahres sprach Thomas Donilon, Nationaler Sicherheitsberater der USA, in New York vor der Asia Society, einer Art Freundschaftsgesellschaft zwischen Asien und Amerika, und wurde bei aller Höflichkeit ziemlich deutlich: Die USA seien "mit Cyber-Attacken aus China in bislang ungekanntem Ausmaß konfrontiert“, zürnte Donilon und formulierte ein unumstößliches Prinzip: "Die Internationale Gemeinschaft kann es sich nicht erlauben, solche Aktivitäten zu tolerieren, egal welches Land dafür verantwortlich ist.“

Keine vier Monate später haben sich die USA der Lächerlichkeit preisgegeben. Ihre Position in der Frage der Cyber-Spionage ist seit den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden, der die Existenz riesiger Überwachungsprogramme des US-Nachrichtendienstes NSA (National Security Agency) im In- und Ausland aufdeckte, sinnentlehrt.

Das hat - zum Teil - gar nicht mal unkomische Aspekte.

Die chinesischen Regierungsvertreter etwa, die diese Woche am jährlich stattfindenden US-Chinesischen Strategie- und Wirtschaftsdialog in Washington teilnehmen, werden alle Mühe haben, ihre ernsten Mienen zu bewahren. Ihr Gegenüber, Jack Lew, seit Februar Finanzminister der USA, hat sich nämlich vorgenommen, ein aus seiner Sicht eminent wichtiges Thema anzuschneiden: Cyber-Sicherheit, präzise: den Verdacht, China betreibe zum Schaden der USA Internet-Hacking.

Washington, das Spionage-Opfer? An diesem Punkt des Strategie- und Wirtschaftsdialogs werden die chinesischen Gesprächsteilnehmer wohl um eine kurze Pause ersuchen, um auf der Toilette mal ordentlich abzukichern.

Wieder zurück am Verhandlungstisch, könnten die Gäste aus Peking Minister Lew mit einem Zitat von dessen Chef, US-Präsident Barack Obama, antworten. Dieser beschrieb die Tätigkeit von Nachrichtendiensten vergangene Woche so: "Geheimdienste versuchen, die Welt besser zu verstehen, und verwenden dabei eben andere Quellen als nur die ‚New York Times‘ und ‚NBC News‘“.

Mit diesen Worten rechtfertigt der Führer der freien Welt die Tatsache, dass Kommunikationsdaten von hunderten Millionen von Bürgern weltweit ebenso aufgezeichnet werden wie die Gespräche in EU-Botschaften. Hier beginnen die weniger komischen Aspekte der Affäre, die Edward Snowden ans Tageslicht gebracht hat.

„The War We Need To Win“
Im August des Jahres 2007, also mehr als ein Jahr vor seiner Wahl zum US-Präsidenten, hatte Obama noch den Anschein erweckt, den Praktiken seines Vorgängers George W. Bush ein Ende setzen zu wollen. In seiner Rede "The War We Need To Win“ (Der Krieg, den wir gewinnen müssen) sagte er: "Diese Regierung (die Regierung Bush, Anm.) handelt, als sei das Missachten von bürgerlichen Freiheiten der Weg, um unsere Sicherheit zu verbessern. Das ist nicht der Fall.“ Und der damalige Präsidentschaftskandidat Obama versprach "kein weiteres illegales Anzapfen von Leitungen amerikanischer Bürger“.

Noch im März dieses Jahres antwortete James Clapper, der Direktor von 16 US-Geheimdiensten, auf die Frage, ob die NSA "irgendeine Art von Daten von Millionen oder hunderten Millionen Amerikanern“ sammle: "No, Sir, nicht wissentlich.“

Das war eine Lüge. Am 21. Juni war Clapper gezwungen, seine Antwort schriftlich zu widerrufen. Das illegale Anzapfen von Leitungen amerikanischer Bürger wurde ganz einfach ohne Wissen der Bevölkerung legalisiert und von der NSA durchgeführt.

Die gigantischen Überwachungsprogramme, kombiniert mit der Irreführung der - nationalen und internationalen - Öffentlichkeit, sind der Kern des Skandals. Den hätte die US-Regierung entschärfen können - etwa, indem sie sich entschuldigt und für die Zukunft klare Richtlinien beschließt.

„Arrogant und herablassend”
Doch Obama tut nichts dergleichen. Nicht einmal für die Verwanzung von EU-Botschaften findet er öffentlich Worte des Bedauerns. Entschuldigungen gehen dem US-Präsidenten leichter von der Lippe, wenn es um Verfehlungen seines Vorgängers geht. 2009 bekannte er bei einer Europa-Reise in Straßburg: "Es gab Zeiten, als sich Amerika arrogant und herablassend oder sogar verächtlich benahm.“ Diese Zeiten sind wieder da. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ließ vergangene Woche in einem Interview mit der deutschen Nachrichtenagentur dpa durchblicken, dass Washington auch Wochen nach der offiziellen Bitte der Bundesregierung um Aufklärung noch keine erhellenden Antworten übermittelt habe.

Ist es wirklich so schlimm, wenn Geheimdienste geheim Daten sammeln? Ja, wenn sie diejenigen derart dreist ausspionieren, die sie öffentlich als ihre engsten Partner und Alliierten bezeichnen. Obama, die vermeintliche Galionsfigur des Multilateralismus, hat sich als transatlantischer Rowdy entpuppt. Alle Abhörmaßnahmen waren von höchster Stelle - vom Weißen Haus - abgesegnet. Wäre das nicht so und hätten die Geheimdienste eigenmächtig gehandelt, würden längst Köpfe rollen.

All das widerspricht drastisch dem Bild, das sich die freie Welt von den USA macht. Ist es naiv, von den Vereinigten Staaten zu erwarten, der Freiheit und dem Rechtsstaat im Cyberspace mit allen Mitteln zum Durchbruch zu verhelfen, anstatt dort das Recht des Stärkeren in Anspruch zu nehmen? Wenn es das ist, was meinte dann Thomas Donilon, als er sagte, die Internationale Gemeinschaft könne es sich nicht erlauben, solche Aktivitäten zu tolerieren?

Ein Kriegsverbrecher?
Es kommt noch schlimmer. Edward Snowden, der Mann, ohne den die Welt nicht erfahren hätte, was die NSA treibt, wird von den USA gejagt, als wäre er ein Kriegsverbrecher. Snowden hat, im Gegensatz zur Job-Description eines Spions, seine Informationen nicht geheim einer fremden, feindlichen Macht zugänglich gemacht, sondern der ganzen Welt. Er hat damit unter anderem mutmaßliche Rechtsbrüche, die US-Behörden im Ausland - etwa durch die Verwanzung von EU-Büros - begangen haben könnten, zur Anzeige gebracht. Untersuchungen der Staatsanwaltschaft, etwa in Deutschland, laufen.

„Grausam, unmenschlich und erniedrigend“
Die Verfolgung von Snowden wäre weniger beklemmend ohne das abschreckende Beispiel von Bradley Manning, dem mutmaßlichen Informanten der Enthüllungsplattform WikiLeaks. Dessen Behandlung durch die US-Behörden beschrieb Juan Mendez, der UN-Sonderberichterstatter über Folter, als "grausam, unmenschlich und erniedrigend“ - dabei ist Manning noch nicht einmal verurteilt.

Die Whistleblower sollen zum Zweck der Generalprävention zerstört werden. Wer glaubt, Missstände bekannt machen zu müssen, soll wissen, dass er nirgendwo auf der Welt mehr sicher ist.

Repräsentanten der US-Regierung wie Botschafter William C. Eacho in Österreich wollen die Aufregung nicht verstehen. Gegenüber der "Presse“ sagte Eacho, vom Überwachungsprogramm der NSA Betroffene müssten sich "nur Sorgen machen, wenn es Grund zur Annahme gibt, das sie in Zusammenhang mit Terrorismus stehen“. Doch wenn dank geheimer Genehmigung geheim überwacht wird und in weiterer Folge auf Basis geheimer Beweise Urteile gesprochen werden, dann kommt es zu Fällen wie jenem des in Deutschland geborenen Türken Murat Kurnaz, der von 2002 bis 2006 im US-Gefangenenlager Guantanamo interniert war. Unter Verdacht kam er, weil er sich in Pakistan aufgehalten hatte und weil einer seiner Bekannten angeblich in Afghanistan gegen die US-Armee kämpfen wollte. So leicht gerät man in Zusammenhang mit Terrorismus. Eine US-Richterin stellte später fest, dass Kurnaz’ Inhaftierung rechtswidrig gewesen sei.

Was wird mit Edward Snowden geschehen?
Der Fall Manning sollte als Indiz dafür ausreichen, dass ihm in den USA unmenschliche Behandlung bis hin zur Folter droht, vielleicht auch die Todesstrafe. Doch mehrere europäische Staaten, darunter Österreich, verweigern dem 30 Jahre alten US-Bürger, dessen letzter bekannter Aufenthaltsort die Transitzone des Moskauer Flughafens Scheremetjewo gewesen ist, politisches Asyl und verweisen heuchlerisch auf die formaljuristische Anforderung, Asyl könne man nur beantragen, wenn man bereits im betreffenden Land sei.

Das ist eine Ausrede. Selbstverständlich können Regierungen Personen, denen sie Schutz gewähren wollen, auch aus der Ferne Asyl anbieten. Als etwa der damalige georgische Staatspräsident Eduard Schewardnadse 2003 durch die "Rosenrevolution“ gestürzt worden war, bekundete die deutsche Bundesregierung öffentlich, sie werde ihm Exil gewähren, falls er nach Deutschland kommen wolle. Er blieb jedoch in Georgien.

Auch als 2002 militante Palästinenser fünf Wochen lang von der israelischen Armee in der Geburtskirche in Bethlehem belagert wurden, half die Europäische Union aus und bot ihnen mit Israels Einverständnis Asyl an. 13 Männer wurden schließlich nach Italien und Spanien gebracht.

Im Fall Snowden aber schlottern den Europäern die Knie. Als vergangenen Dienstag die USA Snowden im Flugzeug des bolivianischen Staatspräsidenten Evo Morales vermuteten, verlangten sie von mehreren europäischen Ländern, den Luftraum für den Jet zu sperren. Morales musste in Wien landen. Frankreichs Außenminister Laurent Fabius entschuldigte sich tags darauf bei seinem bolivianischen Regierungskollegen für den "Zwischenfall“, der durch die "verspätete Bestätigung der Überflugsgenehmigung“ ausgelöst worden sei.

Die Willfährigkeit gegenüber den USA kennt in Europa keine Grenzen. Und so hat Snowden alle Welt gegen sich. Gejagt vom Friedensnobelpreisträger Barack Obama, weil er unter anderem aufgedeckt hat, dass das nach dem Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter benannte Atom-U-Boot Datenkabel unter dem Meer anzapft, will ihm auch die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Europäische Union nicht beistehen.

Überwachung auch in Frankreich
Ein möglicher Grund für die eigentümliche Zögerlichkeit einer Werte-Union, die sich mehr als jede andere den Menschenrechten verschrieben hat, ist das schlechte Gewissen einzelner Staaten, die ihre Bürger selbst ohne rechtliche Deckung abhören. Vergangenen Donnerstag meldete die Tageszeitung "Le Monde“, dass der französische Auslandsgeheimdienst DGSE den Internetverkehr zwischen Frankreich und dem Ausland überwache. Im französischen Gesetz findet sich dafür keine Grundlage.

Kein Asyl für Snowden in Europa
Üblicherweise versteht sich das Europäische Parlament als letzte Bastion der Verteidigung der Grundwerte, wenn alle anderen Institutionen längst aus Gründen der Realpolitik auf Hasenfuß-Modus umgeschaltet haben. Doch eine Abstimmung über einen Entschließungsantrag, in dem die Mitgliedsstaaten aufgefordert wurden, Edward Snowden "im Geiste der EU-Leitlinien betreffend den Schutz von Menschenrechtsverteidigern Asyl zu gewähren“, endete mit einer deutlichen Ablehnung. Der österreichische Sozialdemokrat Jörg Leichtfried, der zuvor noch Asyl für Snowden gefordert hatte, enthielt sich beim Votum der Stimme. Lediglich eine Resolution, in der die USA aufgefordert werden, Klarheit über ihre Spähprogramme zu schaffen, fand eine Mehrheit.

Jedes Jahr, wenn das EU-Parlament den Sacharow-Preis für geistige Freiheit verleiht, werden Werte beschworen und Frauen und Männer geehrt, die "beschlossen haben, das Schicksal ihres Landes ihrem eigenen überzuordnen“. Ein US-Amerikaner, der seine Regierung der Lüge überführt und der Weltöffentlichkeit das Ausmaß der Überwachung vor Augen führt, wird keinen Preis bekommen, dafür wird die Friedensnobelpreisträger-Bande sorgen.