Egotrip

Millers präzise filmische Charakterstudie „Capote“

Drucken

Schriftgröße

Die Frage, warum sich die amerikanische Filmindustrie nach Jahrzehnten des Desinteresses unlängst wieder für Truman Capote, den legendären US-Essayisten und wenig produktiven Bestsellerautor, zu interessieren begonnen hat, ist schwer zu klären. Wie heftig die Capote-Konjunktur tatsächlich eingesetzt hat, ist allerdings dem Umstand zu entnehmen, dass in den vergangenen Monaten gleich zwei prominent besetzte Spielfilme zu Leben und Werk des New Yorker Exzentrikers und Society-Darlings parallel entstanden sind. Bennett Millers Regiedebüt „Capote“ konnte das Rennen um die öffentliche Aufmerksamkeit vorerst klar für sich entscheiden: Während „Capote“ Kritikerhymnen und einen wohlverdienten Oscar für Hauptdarsteller Philip Seymour Hoffman provozierte, sahen sich die Produzenten von „Infamous“ gezwungen, den US-Start ihrer Capote-Studie auf Oktober 2006 zu verlegen.

„Capote“ (österreichischer Kinostart: 14. April) entspricht den konventionellen, klassischen Formaten des biografischen Films glücklicherweise wenig: Miller versucht gar nicht erst, eine überpsychologisierte oder glamouröse Schriftsteller-Lebensgeschichte zu inszenieren. „Capote“ erzählt vielmehr von einem mehrjährigen Arbeitsprozess unter verschärften Bedingungen, beschränkt sich auf die Chronik der Entstehung des literarischen True-Crime-Thrillers „In Cold Blood/Kaltblütig“. Zudem übt sich Regisseur Miller, bislang nur als Dokumentarist („The Cruise“) bekannt, auch stilistisch in Zurückhaltung: Die Konzentration auf das jeweils Wesentliche in Wort und Bild, ohne Ausweichbewegung in gefühlige Orchester-Soundtracks oder Pop-Nostalgie-Dauerbeschallung, zeichnet „Capote“ aus. Das Bekenntnis zu narrativer und visueller Genauigkeit stößt angesichts der allzu kühlen Eleganz der Kameraarbeit Adam Kimmels zwar auch an seine Grenzen, doch an Ansehnlichkeit verliert der Film dabei keineswegs.

Das hochdifferenzierte Schriftstellerporträt Hoffmans, der diesen Film übrigens auch mitproduziert hat, bildet das Zentrum des Unternehmens „Capote“.
Es ist strikt als One-Man-Show angelegt, als Serie solipsistisch vollzogener Ereignisse: wie Capote in der „New York Times“ auf den Bericht von der brutalen Ermordung einer Familie in Kansas stößt; wie er sich, ein Fremdkörper im ländlichen Amerika, erstaunlich souverän Zutritt zu den beiden jungen Mördern verschafft und eine rätselhafte Faszination zu einem der beiden entwickelt und wie er diesen schließlich in seiner Todeszelle noch dazu bringt, ihm die Abläufe der Mordnacht zu schildern. Sogar die Szenen vor und während der Exekution der Mörder handeln letztlich nur von einem: Truman Capote. Das passt zwar bestens zur aktenkundigen Egomanie des Protagonisten, sorgt aber bisweilen auch für eine gewisse Sehnsucht nach größerer Plastizität einiger Nebenfiguren; insbesondere Capotes Jugendfreundin und Assistentin Harper Lee (Catherine Keener), Autorin von „To Kill a Mockingbird“, sowie Chefermittler Alvin Dewey (Chris Cooper) müssen zugunsten der Omnipräsenz des Titelhelden in diesem Film Skizzen bleiben.

St. Gr.