Mörderischer Clown belebt Hollywood

Ein mörderischer Clown belebt Hollywood

Heath Ledger brilliert in 'The Dark Knight'

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Die Fratze jenes Brandopfers, in die man gegen Ende dieses Films starrt, ist das heimliche Emblem der Kinoerzählung „The Dark Knight“: Neben einer intakten rechten Gesichtshälfte klafft die schwarz verbrannte linke, mit frei liegendem Augapfel, gebleckten Zähnen und verkohlten Knochen. Der populäre Staatsanwalt Harvey Dent (Aaron Eckhart) hat sich, wie es die Batman-Mythologie vorschreibt, vom flammenden Gerechtigkeitsfanatiker in den Outlaw Two-Face verwandelt. In der nach „Batman Begins“ (2005) zweiten Exkursion des britischen Regisseurs Christopher Nolan („Memento“) ins nachtschwarze Gotham City ist alles doppelgesichtig, zweischneidig, zwiespältig. „The Dark Knight“ lotet das Grenzland zwischen Kunst und Geschäft, zwischen Adrenalin und Depression aus, stellt eine Art Autorenfilm im Feuerkern des Hollywood-Blockbuster-Kinos dar. (Nolan hat das Drehbuch zu „The Dark Knight“ mit seinem Bruder Jonathan geschrieben.)

Zwei egomanische Übermenschen geraten darin aneinander: Der Playboy und Milliardär Bruce Wayne, das zivile Alter Ego des nachtaktiven Superhelden Batman, krankt ebenso sehr an Anmaßung, Rachsucht und Selbstüberschätzung wie seine Nemesis, der sadistische Megaverbrecher The Joker. Christian Bale spielt einen an der Welt und sich selbst leidenden Schmerzensmann, einen humorlosen, durchaus arroganten Vigilanten. „Know your limits, Master Wayne“, rät der alte Hausdiener Michael Caine in feinem Cockney seinem Herrn, aber genau das ist das Problem:
Der ennuyierte Wohlstandsbürger Bruce ­Wayne kennt keine Grenzen mehr. Es wäre untertrieben, „The Dark Knight“ bloß pessimistisch zu nennen. Die Inszenierung, angesiedelt in den tiefen Schluchten zwischen gläsernen Wolkenkratzern und in monumentalen unterirdischen Maschinenhallen, zeichnet eine Welt am Rande des Abgrunds auf, das Finale eines Krieges, in dem Moral keine Rolle mehr spielt. Allerdings gehört die „Dunkelheit“ längst zur Standardausrüs­tung der modernen Heldensage aus dem Hause Hollywood: Die visuelle und ethische Finsternis erhöht die künstlerische Respektabilität. Auch Amerikas Helden sind von Dämonen getrieben, und der Kampf gegen den Terror ist längst zum bösen Spiel der ausgleichenden Ungerechtigkeit verkommen. Der alte Garten von Gut und Böse befindet sich in einem Zustand fortgeschrittener Verwilderung. Das ist die Lehre, die das postheroische Kino aus der politischen Wirklichkeit zieht.

Es ist nichts ganz Neues mehr, wenn im Gattungsrahmen des Sommer-Blockbus­ters Reflexionen zum Verhältnis von Pop, Politik und nationaler Psyche, von Achterbahn und Amerikas Gegenwartszustand angestellt werden. So brechen auch in „The Dark Knight“ die Säulen der Demokratie, während eine ganze Stadt im Anti-Terror-Kampf zu zerbrechen droht. Der Topos 9/11 und die alte Lust an der Materialvernichtung des US-Ereigniskinos verschmelzen hier erneut zu einer ideologisch ambivalenten Katastrophenerzählung an der Schnittstelle von Comicstrip und Weltpolitik. Terrorangst? Ausnahmezustand? That’s Entertainment!

An nordamerikanischen Kinokassen hat sich „The Dark Knight“ inzwischen als Phänomen bestätigt. Der Film bewegt sich, mit einem kolportierten Produktionsbudget von 185 Millionen Dollar, nur vier Wochen nach seiner Weltpremiere gegenwärtig auf die 500-Millionen-Dollar-Schallmauer zu, die erst ein Film je gebrochen hat: James Camerons „Titanic“ wird, mit 600 Millionen Einspielergebnis allein in US-Kinos, wohl auch für „The Dark Knight“ uneinholbar bleiben. Als Kassenwunder hat Nolans zweites Batman-Drama dennoch Geschichte geschrieben: Der Film hat bereits die „Spider-Man“-Trilogie (2002–2007), die im Bereich Comicadaption noch vor wenigen Tagen die drei Spitzenplätze besetzt hielt, hinter sich gelassen. Mit dem in dieser Woche erfolgenden Kinostart in deutschsprachigen Ländern und dem fortgesetzten internationalen Erfolgslauf könnten die Einnahmen in den kommenden Wochen gut und gern auf über eine Milliarde Dollar steigen.

Nihilistisch. Der finanzielle Triumph hat ein Gesicht: Der kurz nach den Dreharbeiten im Jänner 2008 erst 28-jährig verstorbene Heath Ledger verleiht der Figur des Joker in einer plangemäß überlebensgroßen Performance nihilistische Gestalt – meilenweit entfernt von Jack Nicholsons ironischer Joker-Darstellung in Tim Burtons „Batman“ (1989): Ledgers Joker, ausgestattet mit tausend Ticks, züngelnd wie ein Reptil, ist ein Soziopath mit Neo-Punk-Attitüde und Gothic-Chic, ein tödlicher Clown mit Sid-Vicious-Zynismus und zerfließendem Marilyn-Manson-Make-up in der vernarbten Visage. In Krankenschwestern-Uniform, mit linkischen Bewegungen und immenser komödiantischer Energie stapft er aus einem Spital, fahrig mit seiner Fernbedienung hantierend, die er endlich doch dazu bringt, das ganze Haus hinter sich in die Luft zu jagen. Er sei ein „Agent des Chaos“, erklärt der Joker mit makabrem Grinsen und gespielter Harmlosigkeit im schminkeverschmierten Gesicht. „Do I look like a guy with a plan?“

In seiner Form (und mit einer Laufzeit von gut zweieinhalb Stunden) wirkt „The Dark Knight“ trotz Ledgers Präsenz fallweise ermüdend: Eine gewisse Überbetonung der Pyrotechnik und der manipulative Soundtrack, in dem sich Detonations- und Maschinenlärm mit der unaufhörlich pochenden Auftragsmusik von Hans Zimmer und James Newton Howard mischen, stehen in hartem Kontrast zur psychologischen und visuellen Raffinesse zentraler Szenen dieses Films. Mit den eher statischen, in grellen Primärfarben gehaltenen frühen „Batman“-Comics von Bob Kane, die sich ab 1939 vor allem an eine juvenile Leserschaft richteten, hat Nolans „Dark Knight“ nur noch am Rande zu tun. Ästhetisch liegt „The Dark Knight“ viel näher an Frank Millers grimmiger Batman-Variation von 1986, der in komplexen Montagen und Bewegungsabläufen aufgelösten graphic novel „The Dark Knight Returns“, einer – wie der Kulturkritiker Dietmar Dath angemerkt hat – „herrlichen Rechtsstaatsverhöhnung“.

Die logische Konsequenz des entfesselten Irrsinns einer in Flammen aufgehenden Stadt ist die Verzweiflung ihrer Bewohner. Die Grundstimmung dieses Films ist entsprechend niedergeschlagen. „The Dark Knight“ ist auch das Drama einer öffentlichen Figur, die weiß, dass sie nichts als eine Marke ist: ein high concept super­hero mit beschränkter Wirkung, eine Heldenschimäre als globaler Einmannkonzern, nur ein fotogenes Phantom der Unterhaltungsindustrie. Der Rückzug in die Technik ist unausweichlich: Sogar Batmans Projektil-Klingen sind im Fledermausdesign ge­staltet. Das Logo ist alles. Es macht krank, aber es gibt nichts anderes.

Von Stefan Grissemann