Leitartikel: Christian Rainer

Ein Fünfjahresplan

Ein Fünfjahresplan

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Seit Wochen beleuchten die profil-Leitartikel, verfasst von verschiedenen Autoren, ein und dasselbe Thema: die Regierungskrise. Und seit Wochen folgen die Texte einer ähnlichen Argumentation. Erstens: Die Koalition ist in einem katastrophalen Zustand. Daran tragen beide Parteien im selben Maße Schuld. Zweitens: Aber Neuwahlen machen keinen Sinn, denn sie würden wiederum zu einer großen Koalition führen. Oder aber zu einer Zusammenarbeit mit der FPÖ: Dieses Modell hat profil aus Gründen des politischen Anstands nie für eine gute Lösung gehalten, und wir fühlen uns nach dem Testlauf zwischen 2000 und 2006 auch auf Basis der Kompetenz des freiheitlichen Personals bestätigt. (Das Niederringen von Jörg Haider, ein beliebtes Argument im Land, hat übrigens so prächtig funktioniert, dass die FPÖ ihr Ergebnis in Niederösterreich mehr als verdoppelte und FPÖ plus BZÖ bei Nationalratswahlen laut aktueller profil-Umfrage jetzt satte 20 Prozent erreichen würden.)

Drittens: Die ÖVP könnte von vorgezogenen Neuwahlen im Gegensatz zur SPÖ dennoch profitieren. Im schlimmsten Fall bleibt die Volkspartei unverändert Juniorpartner, im besseren und nicht unwahrscheinlichen Fall ist Molterer für fünf Jahre Kanzler. Daher viertens: Die ÖVP blockiert einen Hauch mehr beim Regieren und zündelt um einiges mehr in der Neuwahlfrage. Und jetzt fünftens: die dieswöchige profil-Titelgeschichte. Sie bestätigt recht eindrucksvoll die Punkte eins bis vier. Die Volkspartei hat ihre Chance offensichtlich erkannt. Sie hat seit Wochen minutiös an einem Drehbuch mit dem Titel „Wahltermin 1. Juni“ gearbeitet. Um eine mögliche Argumentation der ÖVP vorwegzunehmen: Bei diesem Plan handelt es sich nicht um irgendein Strategiepapier. Denn einerseits sind es mehrere voneinander unabhängige Skripts – vom Werbeplan über das Molterer-Personenkomitee („ev. Treichl-Stürgkh“) bis zu einer durchaus persönlich gehaltenen Unterlage für den Parteichef –, die nahtlos ineinandergreifen. Andererseits wurde auch festgelegt, wie der Bruch mit dem Koalitionspartner zustande kommen wird: über einen ultimativen Forderungskatalog an die SPÖ, den diese auf keinen Fall akzeptieren kann.
So weit die Fakten. Nun eine Bewertung. Ist dieses Szenario der ÖVP-Führung ein grobes Foul im politischen Leben? Keineswegs. Vorgezogene Neuwahlen samt genauem Prozedere sind in der österreichischen Bundesverfassung als die natürlichste Sache der Welt vorgesehen. Nicht unschicklich also. (Ungeschickt war es bloß, jene Papiere per profil an die Öffentlichkeit kommen zu lassen.)

Und die Tatsache, dass die Volkspartei seit Wochen leugnet, einen guten Anlass für Wahlen zu suchen, während ein solcher zeitgleich vorbereitet wird? Keine gemeine Lüge. Das gehört zu den Täuschungsmanövern, die von den Wählern zu Recht als Teil des politischen Spiels angesehen werden. (Es stellt sich eher die Frage, ob die SPÖ genaue Vorstellungen hat, was am Tag X passieren soll. Wohl eher nicht.) Somit sind ÖVP-Taktik – vorgezogene Neuwahlen – und Ziel – Molterer als Bundeskanzler – eine normale, wenn nicht sogar eine besonders schlaue Vorgangsweise der Volkspartei. Schaden an der Republik: vernachlässigbar. Denn ob nun ein paar Monate mehr oder weniger nicht regiert wird, spielt keine Rolle. Offen bleibt allerdings: Was ändert sich inhaltlich, nachdem gewählt worden ist? Denn außer dem nachvollziehbaren Wunsch, die Machtverhältnisse umzukehren, sind die Ziele der Volkspartei mit freiem Auge nicht erkennbar. Die Steuerreform erst 2010? Schwulenehen nur unter freiem Himmel und nicht in der Geborgenheit eines Standesamts? Das ist auch unter den derzeitigen Bedingungen durchzusetzen. Allenfalls lässt sich in einem Umkehrschluss erahnen, wohin die Reise gehen soll. Sozialdemokratische Projekte wie die Gesamtschule und eine spürbar sozialere (und teurere) Verteilungspolitik würden zurückgedrängt werden. Das wäre allerdings nicht allzu viel an neuer Sachpolitik angesichts des durchaus gewaltigen taktischen Vorhabens „Wahltermin 1. Juni“.