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Ein Gott für die Westentasche

Wertestudien unter Jugendlichen zeigen: Gott ist nicht tot. Doch er erscheint zunehmend im neuen Gewand

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Von Julia Kern, Studiengang Journalismus, FH Wien

Der Moslem hat dem Christ etwas voraus. Während katholische Gläubige über Jahrhunderte hinweg das Bild vom alten Mann mit Bart bemühten, um ihren Himmelvater greifbar zu machen, kommt der Moslem gar nicht erst in Verlegenheit, sich ein Bild von Allah zu machen: Der islamische Gott darf per definitionem nicht bildlich dargestellt werden.

Im 21. Jahrhundert nähert sich freilich auch der Christ diesem Denken immer weiter an. So ist ein Gottesglaube ist bei Jugendlichen heute durchaus anzutreffen: 69 Prozent der 16- bis 24-Jährigen erklärten bei der Jugendwertestudie 2006, an einen Gott zu glauben. Dabei gehen sie allerdings zunehmend von einem personifizierten Gottesbild ab. Jugendliche nehmen Gott heute abstrakter wahr als frühere Generationen – assoziiert werde dieser hauptsächlich mit Werten wie „Kraft, Stärke, Halt oder Geborgenheit“, sagt Heribert Bastel, Institutsleiter der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule Wien-Krems.

Damit verschwindet aber auch die Vorstellung von einem Richtergott, der über gut und böse urteilt. „Gott als Erziehungshilfe ist tot“, sagt Martin Jäggle, Vorstand der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Wien. Von Gott werde nicht mehr angenommen, dass er straft. „Dort, wo dieses Bild heute noch präsent ist, handelt es sich eher um eine psychische Disposition.“ Die Jugendwertestudie 2008 zeichnet ein ähnliches Bild: 55 Prozent der Befragten gaben an, keine Angst vor Gott zu haben. 5 Prozent haben große Angst. Der Grundtenor lautet: Gott existiert zwar, greift jedoch nicht ins Leben ein.

Das Gottesbild vom strafenden Richter ist offenbar ins genaue Gegenteil gekippt: Jugendliche sind überzeugt, dass Gott sie liebt und dafür da ist, Familie und Freunde zu beschützen und an schlechten Tagen Trost zu spenden. Dabei stellt er in der Wahrnehmung der Jugendlichen keinerlei Ansprüche, etwa an ein verantwortungsbewusstes Leben. „Gott, wenn es ihn denn gibt, liebt alle Menschen“, erklärt die Studienautorin und Theologin Regina Polak das recht differenzierte Bild. Gott sei heute kein selbstverständlicher Bestandteil des Lebens mehr: Wer heute religiös ist, entscheide sich im Gegensatz zu früheren Generationen ganz bewusst dafür.