„Ein Hornberger Schießen“

Karl Blüml über Kulturverlust

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profil: Der Schriftsteller Robert Menasse bezeichnete die neue Rechtschreibung vergangene Woche als „rassistisch, neoliberal, reaktionär“. Fühlen Sie sich angesprochen?
Blüml: Nein. Ich verstehe das Statement ganz einfach nicht und kann bei keinem der Adjektive irgendeinen Zusammenhang mit der Neuregelung der Rechtschreibung erkennen. Vielleicht sollte Menasse mit Franzobel darüber sprechen?
profil: Seit Jahren scheint keine sachliche Diskussion über die Rechtschreibreform möglich, das Thema weckt regelmäßig heftige Emotionen. „Weg mit der Schlechtschreib-Reform“, fordert etwa die „Bild“-Zeitung mittlerweile täglich …
Blüml: … und legte dies in eine Sprechblase aus dem Munde einer unbekleideten jungen Dame. Hier kann keine Sachlichkeit aufkommen, hier werden ja auch nur Emotionen angesprochen. Mit diesen Mitteln können und wollen Wissenschafter nicht konkurrieren. Die emotionale Reaktion ist aber schon teilweise verständlich: Niemand lässt sich gern etwas wegnehmen, was er mühsam erworben hat. Irgendwie ist das so, als hätte man bis jetzt in seinem Leben alles falsch gemacht. Andererseits wird jetzt erst wahrgenommen, dass hier eine Verordnung „von oben“, also vom Staat, in einen höchst persönlichen Bereich eingreift. Die Argumente von „Kulturverlust“ oder „Sprachverschandelung“ sind angesichts dieser Mini-Reform aber schlichter Unfug.
profil: „Ich schreibe weiter, wie ich will“, gab der Autor Martin Walser unlängst zu Protokoll. Es kann doch unmöglich Ziel der Reform gewesen sein, dass hinkünftig jeder so schreibt, wie er will.
Blüml: Das war sicher nicht das Ziel, aber auch das ist nicht weiter überraschend: Die Reform ist vor allem für NeulernerInnen gedacht – und wird dann wirksam, wenn diese das öffentliche Leben prägen. Die Regelung konnte 1901 und 1998 nur Schulen und Ämter betreffen. Noch in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts ließ sich Karl Kraus das „Th“ in Thal, Thür oder Thor nicht streitig machen, obwohl es 1901 abgeschafft worden war. Schriftsteller haben natürlich ihre Freiheiten, wenn sie erfolgreich sind. Dem erfolgreichen Stefan George konnte einst niemand die Kleinschreibung verbieten, ebenso wenig konnte man H. C. Artmann oder Ernst Jandl reglementieren.
profil: Der Axel-Springer-Verlag und der „Spiegel“ lehnen die Reform ab und werden zur alten Rechtschreibung zurückkehren, möglicherweise auch die „Süddeutsche Zeitung“. Gibt Ihnen die Prominenz Ihrer Gegner zu denken?
Blüml: Ja, und ich frage mich, warum sie diesen Schritt erst jetzt setzen. Anderseits wundert es mich nicht so sehr, da jeder Verlag immer schon eine gewisse „Hausregelung“ hatte, die mehr oder weniger mit den jeweils gültigen Duden-Regeln übereinstimmte. So wird es auch jetzt sein. Ich glaube nicht, dass diese Medien plötzlich brav die Duden-Regeln von 1996 befolgen werden; das haben sie ja nie getan.
profil: Bei der derzeit hitzig geführten Debatte bekommt man leicht den Eindruck, dass es letztlich um einige wenige Wörter geht, Beispiele: „Schifffahrt“, „einbläuen“ oder „Gräuel“. Ein wie großer Teil des Wortschatzes ist tatsächlich von der Reform betroffen?
Blüml: Es sind etwa zwei Prozent, wobei natürlich s/ss/ß-Schreibungen sehr häufig gebrauchte Wörter wie „dass“ betreffen. Natürlich ist es ein Hornberger Schießen, und natürlich spielen hier Medien ihre Macht aus – statt in den sechs Jahren seit der Einführung mit der Kommission in Kontakt zu treten, auf Probleme hinzuweisen und diese mit ihr zu diskutieren.
profil: Viele sprechen der Sprachkommission die Legitimation ab, in die Rechtschreibung einzugreifen. Seit 1973 sind Sie Mitglied der Kommission zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung – können Sie sich an die Anfänge noch erinnern?
Blüml: Es gab seit 1901 gut hundert Reformbemühungen, die praktisch alle gescheitert sind an der Frage der Groß- und Kleinschreibung. 1960 setzte der damalige Unterrichtsminister Drimmel eine „Österreichische Kommission für Orthographiereform“ ein, ähnliche Schritte folgten in der BRD, der DDR und der Schweiz. 1962 gab es die ersten „amtlichen Reform- und Koordinationsgespräche“ in Wien, danach praktisch jährlich Symposien und Kongresse in den beteiligten Ländern. In den Anfängen fuhren wir auf eigene Kosten zu den Treffen, danach übernahmen die Ministerien die Reisekosten – und das hat sich bis heute nicht geändert. Es gab nie Honorare. Die Entscheidungen lagen – und liegen – bei den staatlichen Stellen.
profil: Für Zündstoff ist weiterhin gesorgt: Sollten österreichische Schüler in Zukunft die Lektüre des „Spiegel“ eher vermeiden?
Blüml: Die Frage stellt sich nicht wirklich: Einerseits ist nicht gesichert, wie die „Rückkehr zur alten Schreibung“ tatsächlich aussehen wird, andererseits lesen Schüler zahllose Texte in alter und ältester Rechtschreibung ohne Probleme. Kritisch wäre es für die Volksschüler und die ersten Klassen der weiterführenden Schulen – die sind aber keine typischen Leser dieser Medien. Im fortgeschrittenen Schulalter muss man auch mittelalterliche Texte im Original lesen. Pädagogisch hilfreich und verantwortungsvoll ist die Vorgangsweise dieser Medien aber sicher nicht.