„Ein ungesunder Kreislauf“

Interview. Die Oscar-Preisträgerin und Labour-Abgeordnete Glenda Jackson über den brutalen Sparkurs der britischen Regier

Drucken

Schriftgröße

Interview: Tessa Szyszkowitz, London

profil: Jetzt ist es fix: Das britische Sozialbudget wird um 18 Milliarden Pfund gekürzt. Finanzminister George Osborne sagt, damit habe er Großbritannien vom Rand des Abgrunds zurückgeholt. Stimmt das?
Jackson: Für Zehntausende Familien, die heute auf Sozialhilfen angewiesen sind, bedeuten Osbornes Pläne das genaue Gegenteil. Der Finanzminister konnte uns leider nicht erklären, wie diese Familien existieren sollen. Er sagt zwar: „Wir sitzen alle in -einem Boot.“ Doch es sind eindeutig die Ärmsten der Gesellschaft, die unter den Sparplänen dieser Regierung am meisten zu leiden haben.

profil: Hat die konservative Regierung nicht Recht: England ist zu tief verschuldet, alle müssen sparen?
Jackson: Wissen Sie, wie England unter Margaret Thatcher ausgesehen hat? Da lagen die Obdachlosen hinter jedem Torbogen in der U-Bahn. Darauf steuern wir jetzt wieder zu. Sparen ist notwendig, aber die Frage ist: Wie radikal und wo?

profil: Die Kürzung des Kindergelds für wohlhabende Eltern hat bereits einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, und das war nur eine Kleinigkeit. Welche Maßnahmen fürchten Sie am meisten?
Jackson: Die Polizisten werden von den Straßen verschwinden. 40.000 Stellen sollen im Sicherheitsapparat gestrichen werden. Können Sie sich vorstellen, was das für eine Stadt wie London bedeutet? Da wird sich bald keiner mehr vor das Haus trauen. Noch schwerwiegender: Die Wohnungsbeihilfen werden gekürzt. Damit treibt man arme Familien aus ihren Häusern auf die Straße. In den Thatcher-Jahren führte das dazu, dass der Staat am Ende die Leute in Pensionen einquartierte, in denen arme Familien übernachten, aber nicht leben durften. Das kam den Staat noch teurer. Tagsüber hingen die Delogierten auf der Straße herum. Dort werden weniger Polizisten nach dem Rechten sehen. Ein ungesunder Kreislauf.

profil: Immerhin hat sich die Regierung -darum bemüht, die nationale Gesundheitsversorgung NHS nicht anzutasten.
Jackson: Die Regierung schafft NHS nicht ab, na gut. Doch die versprochenen Zusatzgelder schmelzen auf 0,1 Prozent zusammen, wenn wir Inflation und Bevölkerungswachstum einbeziehen. Experten fordern drei Prozent zusätzliches Budget, wenn das jetzige Gesundheitssystem aufrechterhalten werden soll. Wir können dem Finanzminister zu dieser Minimalfinanzierung nicht gratulieren. Das Gleiche gilt für das Budget für die Erziehung. Da gibt es jetzt eine „Pupil“-Prämie für sozial benachteiligte Schüler. Was soll das den Familien nützen, die sich wegen dem Ende der Wohnbeihilfe ihre Bleibe nicht mehr leisten können?

profil: Wo aber soll man kürzen, wenn der Wohlfahrtsstaat nicht infrage gestellt werden darf? Bei der Verteidigung?
Jackson: Schauen Sie, ich hatte für den Irak-Krieg nichts übrig, das ist bekannt. Großbritannien muss nicht überall Truppen hinschicken. Den meisten Konflikten tut es nicht gut, wenn wir uns einmischen. Vor allem, wenn wir keinen klaren Plan und keine klare Exit-Strategie haben. Wir haben über die Jahre so viel Geld für unsere Armee ausgegeben, da stehen Hubschrauber in der Gegend herum, die wir noch nicht einmal ausprobiert haben. Natürlich kann man bei der Verteidigung sparen. Acht Prozent dort sind doch nichts, wenn man es damit vergleicht, dass dem Innenministerium jährlich vier Prozent abgeknapst werden.

profil: Was aber soll mit Afghanistan passieren? Großbritannien kann seine Truppen nicht einfach abziehen.
Jackson: Nein, das können wir nicht. Wir haben dort eingegriffen, wir müssen die Sache zu Ende führen. Auch wenn es kein Happy End gibt.

profil: Nach den Sparplänen der Regierung wird Großbritannien nur noch einen Einsatz in der Größe von jenem in Afghanistan mit 6500 Soldaten bewältigen können. Kann England noch seine Rolle als Weltpolizist spielen, wenn die Armee derart geschrumpft wird?
Jackson: Wir brauchen bloß eine klare Strategie, wo wir zu welchem Zweck Soldaten hinschicken. Dann kann man auch mit weniger Soldaten nach dem Rechten sehen. Dafür sind ja auch Entwicklungshilfe und Diplomatie da. Wir brauchen nicht jedes Jahr neue Kampfflugzeuge, Atom-U-Boote oder Flugzeugträger. Damit exportiert man in den seltensten Fällen Demokratie.

profil: Die meisten Minister müssen ihre Ressorts jetzt um rund 20 Prozent abschlanken. Niemand will bei sich sparen, das ist nur natürlich. Sie vertreten das Londoner Villenviertel Hampstead im Parlament. Gehen die Wünsche der wohlhabenden Wähler nicht gegen Ihre politischen Überzeugungen?
Jackson: Innerhalb meines Wahlkreises gibt es auch zwei sehr arme Bezirke. In London liegen die sozialen Gegensätze oft sehr nah beieinander. Aber es stimmt: In Hampstead habe ich Wähler, die gegen die Erbschaftssteuer sind, weil sie ihre Villen lieber den Kindern vererben wollen, statt ihr Vermögen dazu zu verwenden, das Altersheim zu zahlen, in dem wir alle irgendwann landen. Wenn es um das eigene Geld geht, dann ist allen der Wohlfahrtsstaat lieb und teuer. Warum aber soll der Staat vermögenden Bürgern die Alterspflege zahlen? Es kommt teuer genug, wenn der Staat für jene sorgt, die es selbst nicht können.

profil: Die Labour Party hat jetzt mit dem 41-jährigen Ed Miliband einen neuen Vorsitzenden. Er trifft bereits autonome Entscheidungen, widersetzt sich dem Druck der Parteilinken und hat ein balanciertes Schattenkabinett bestellt. Sind Sie mit Ihrem neuen Parteichef zufrieden?
Jackson: Ich war an sich gegen einen schnellen Führungswechsel. Wir haben damit der Regierung sechs Monate Narrenfreiheit gegeben, weil wir mit uns beschäftigt waren. Ich bin froh, dass wir uns jetzt darauf konzentrieren können, Opposition zu machen. Nicht die Labour Party ist das Problem, sondern die Regierungspolitik.

profil: Hat aber der Kampf der beiden Miliband-Brüder gegeneinander die Partei nicht geschwächt?
Jackson: Die Spaltung war nicht zwischen Ed und David. Die Partei hat lange Jahre unter den Spannungen zwischen den Anhängern von Tony Blair und jenen von Gordon Brown gelitten. Das ist jetzt vorbei. Ich war sehr zufrieden zu sehen, dass Ed viele junge Abgeordnete ins Schattenkabinett geholt hat. Wir brauchten einen Neuanfang mit jungen Gesichtern.

profil: Sie selbst aber vertreten die erfahrene Generation. Bloß frisch zu sein ist kein Wundermittel. Es ist in der Politik auch gut, wenn man weiß, wovon man spricht, oder?
Jackson: Junge Leute lernen schnell.

profil: Sie haben 1992 Ihre schauspielerische Karriere von einem Tag auf den anderen aufgegeben und sind Politikerin geworden. Vermissen Sie den roten Teppich?
Jackson: Überhaupt nicht. Ich kümmere mich nicht mehr um die Schauspielszene. Ich gehe nicht ins Kino. Ich lese keine Artikel über Hollywood, über die Theaterszene in London oder in Amerika. Dieses Kapitel habe ich hinter mir gelassen. Ich investiere alle meine Energien in meine neue Arbeit.

profil: Ist die Politik nicht viel weniger glamourös?
Jackson: Ach, Sie können sich nicht vorstellen, welche Charaktere hier durch die Gänge des Parlaments wandeln! Politiker sind extrem egozentrisch. Was hier im Parlament an Benehmen toleriert wird, wäre auf den Bühnen, auf denen ich gearbeitet habe, nie akzeptiert worden. Das habe ich bei meiner Arbeit als Schauspielerin sehr genossen: Schauspieler sind sehr diszipliniert. Jedenfalls sehr viel mehr als Politiker.

profil: Kann das sein? Sind Politiker die wahren „Drama Queens“?
Jackson: Keine Frage.

profil: Sie haben zwei Oscars gewonnen. Das ist die höchste Ehrung für Schauspieler weltweit. Hat sich Hollywood verändert? Halten Sie die jungen Kolleginnen heute für Oscar-würdig?
Jackson: Das ist doch alles ein großes Geschäft und hat mit schauspielerischer Leistung wenig zu tun. Ich habe meine Oscars mit allen anderen Auszeichnungen meiner Mutter überlassen, die hat sie alle sorgsam aufbewahrt. Sie standen auf einem Regal, und meine Mutter hat sie ständig poliert. Unter der dünnen Goldschicht kam dann sehr schnell das Blech durch. Das sagt doch alles, oder nicht?