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Ein anderer Schuh

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„Aber wie mit dem fertig werden, das man nicht so gut kennt wie sich selbst?“ Franz Schuh, profil 39/08

Franz Schuh is made for walking. Es macht Freude, die Wege, die er in seinen Essays sucht, mitzugehen. Es macht Sinn, sich an den Veilchen zu entzücken und vor den Tollkirschen zu fürchten, die er am Wegesrand findet. Fast immer stellt sich ein Gewinn an Weisheit ein. „Fast“ heißt: nicht unentwegt. Auch dieser hoch veranlagte Künstler, die derzeit beste Kombi aus analytischem Denken und anrührendem Schreiben, beweist den statistischen Satz, dass nur mittelmäßige Menschen ständig in Höchstform sind.

In seinem klassen Exklusivessay „Nachrichten aus Krähwinkel“ (siehe profil 39/08) wittere ich ein zirka zehn Zeilen währendes Formtief. Schuh schreibt: „Das Publikum hat sich dazu trimmen lassen, unter Politik eine Serviceleistung (und nicht die Auseinandersetzung um die eigenen Interessen) zu verstehen, und die Politikberater trimmen die ­Akteure, dass sie möglichst glatt den Eindruck erwecken, ­allen Menschen gute Dienste zu leisten.“ Man tritt nicht gern als Turnpatscherl gegen den Original-Milano an, aber ich halte das, was Franz Schuh hier kritisiert, für Fortschritt, aus drei Gründen. Erstens: Es gibt keinen Grund, die Politiker nicht als Dienstleister des Souveräns Volk zu sehen. Sie werden nicht als Kriegsherren gewählt, schon gar nicht für Bürgerkriege. Sie werden nach dem Prinzip einer „repräsentativen Demokratie“ ausgewählt und vom Volk entlohnt, um hoffentlich ­klüger als der Durchschnitt für zivilen Fortschritt zu sorgen. Und tatsächlich mehr Gutes für mehr ÖsterreicherInnen zu tun.
Zweitens: Das Klassenkämpferische früherer Zeiten mag für Intellektuelle erfrischend gewesen sein. Für das Volk brachte es nichts. Es brachte lustigen Lärm in die Wirtshäuser der Männer. Doch für die Familien daheim, für die Kinder und die lange Zeit unpolitischen Frauen brachte es nichts als Elend.

Drittens: Es ist vorteilhaft, dass die Bürger-Partei ÖVP und die Arbeiter-Partei SPÖ nicht weiter auseinandertrieben. Sie strebten zueinander. Nicht gerade magnetisch und aus reiner Liebe, aber durch die „normative Kraft des Faktischen“, wie unser Verfassungs-Autor Kelsen schrieb. Diese Annäherung war ein wertvoller ziviler Reflex. Dass die neue Mitte als mainstream leicht nach rechts rückte, sieht Franz Schuh sicher richtig. Nur: Leicht rechts ist nicht rechtspopulistisch wie die Blödparteien, und schon gar nicht faschistisch. Es ist eine Verbeugung vor der Wichtigkeit der Wirtschaft. Diese sorgt für den Wohlstand, der als wichtigster Faktor des sozialen Friedens erkannt ist. Erst wenn die Quelle des Wohlstands trocken wird, können die Sumpf­blüten wirklich gewinnen, so wie in den Jahren 1933 ff. die Nationalsozialisten. Ich habe zwei Nachteile dieser prinzipiell richtigen ­Bewegung eher gespürt als im Alltag der Zeitungsarbeit ­begriffen.

Nachteil 1: Die begründbar vernünftige Rechtsbewegung der Politiker, die ihrerseits wohlhabender wurden, führte zu einem Verlust des Gefühls für alle Arten von Armut. Für die „alte Armut“ trifft man angeblich Vorsorge. Die Betroffenen erfrieren nicht wie in zaristischen Wintern. Mir fehlt da jeder konkrete Sachverstand. Nur wenn ich, wie der verstorbene Einser-Freund und profil-Chefredakteur-Stellvertreter Reinhard Tramontana befahl, möglichst viele Exemplare des Obdachlosenmagazins „Augustin“ kaufe, sobald ich in Wien bin, höre ich Geschichten, die mich zweifeln lassen an ­kreativer Barmherzigkeit. Ich höre, dass sich viele der Ärmsten gerne um die Grünanlagen und Denkmalgärten kümmern würden, die selbst im gut verwalteten Wien oft vernachlässigt wirken. Die „neue Armut“ ist politisch noch weitaus schwieriger. Sie betrifft jene, die subjektiv ärmer sind als gestern und sich samt ihren Kindern im Blöd-TV der US-Serien mit deren schmucken Vorstadthäuschen und Chevrolets nicht wiedererkennen. Großparteien, die ihr Windhund-Haupt nach vorn strecken, um im politischen Rennen Meter zu machen, müssten nun im gleichen Maß ihren Schwanz nach hinten strecken und einringeln, um jene mitzunehmen, die nicht so schnell sind wie sie. Sonst überlassen sie jene dem Stallgegrunze der Rechtsaußenparteien. Dann würden die Schweine über die gutwilligen Hunde ­siegen.

Nachteil 2: Die Mittigkeit und wachsende Vernunft der Großparteien wird dazu führen, dass die Grünpartei samt ihren sympathischen PolitikerInnen zugrunde geht. Ihre ­guten Natur-Inhalte werden endgültig adoptiert und zur neuen Überzeugung aller werden. Die Grünen sind die Partei, der man so wie dem LIF ein Überleben gewünscht hätte. Sie wird wie in den Geschichtsbüchern der Chemie als wichtiger Katalysator verewigt werden. Es wird vermutlich kein „zweites Fenster zum All“ einer Regierungsbeteiligung geben. Das erste hat man merkwürdig ausgeschlagen.

Ich will nach dieser Kolumne, in der ich Franz Schuh, 61, Jean-Améry-Preisträger 2000, als prominenten Aufhänger missbrauchte, keinen Zweifel daran lassen, dass ich jede ­seiner Geschichten als Sonnenaufgang begrüße, wie auch seine Bücher, die zuletzt „Hilfe!“ (Styria Verlag, 2007) und „Memoiren. Ein Interview gegen mich selbst“ (Zsolnay ­Verlag, 2008) hießen.