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Ein Wintermärchen

Ein Wintermärchen

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Da sei „kein Fleisch“ dran, sagte der Finanzminister Donnerstag vergangener Woche, nachdem bekannt geworden war, dass die Staatsanwaltschaft gegen seinen Kabinettschef ermittelt. Ein neuerlicher Versuch, ihn zu kriminalisieren, sei das, eine „Schmutzkübelkampagne“.

„Das doch sehr tiefe Niveau der politischen Auseinandersetzung“ bereite ihm zunehmend Sorge, seufzte Karl-Heinz Grasser. Er sei neugierig, ob sich all jene, die ihn jetzt mit so infamen Vorwürfen beleidigen, dann auch entschuldigen werden.
Dann, wenn die Wahrheit am Tisch liege.

Folgt man penibel den Darstellungen aller Beteiligten, vor allem jener Grassers, sieht die Wahrheit etwa so aus:
Irgendwann im Frühjahr 2001 saßen wichtige Herren der österreichischen Industrie beisammen und dachten wie so oft darüber nach, wie man die New Economy fördern könne.
Man müsste doch bloß dem jungen Finanzminister der neuen Regierung ein wenig unter die Arme greifen, schlug einer vor, dieser flotte Bursche werde das Kind schon schaukeln.
Karl-Heinz Grasser selbst weihten die Industriellen natürlich nicht in ihren Plan ein.

Listig umschmeichelten die Agenten der neuen Ökonomie hingegen Grassers Spezi Matthias Winkler und legten ihm nahe, er möge doch einen „Verein zur Förderung der New Economy“ gründen. Um dessen Dotierung werde man sich schon kümmern.

Winkler traf solcher Großmut völlig unvorbereitet. Nicht einmal zur Anmietung eines Vereinslokals blieb Zeit, also stellte er selbstloserweise die eigene Wohnung zur Verfügung. Den Vereinsvorstand machten zwei Bürokollegen, den Rechnungsprüfer ein leibhaftiger Sektionschef – wer würde sich der New Economy verweigern?

Schon regnete es Geld. Gleich 2,4 Millionen Schilling – damals rechnete man noch in alter Währung – überwiesen die Industriellen in einer ersten Tranche. Wenige Monate später schossen sie noch einmal rund 1,6 Millionen nach – wohl wegen des großen Erfolgs des Projekts.

Denn schlau hatten sich Winkler und seine Kumpane in den Besitz einiger Baby- und Teeniefotos ihres immer noch nichts ahnenden Chef gesetzt und sie ins Internet gestellt – ein Durchbruch für die New Economy, aber eine Treulosigkeit gegenüber dem Freund.

Sogar seinen Namen hatte die Bande dem Opfer gemopst: www.karlheinzgrasser.at wählten sie als Adresse für ihre Webseite.

Im Sommer, als sich die Opposition erstmals aufgepudelt hatte, war es dem Hintergangenen wie Schuppen von den Augen gefallen. Sofort hatte Karl-Heinz Grasser damals Baby- und Teeniebilder von der Homepage entfernen und durch grüblerische Fünfzeiler über die New Economy ersetzen lassen.

Er habe mit all dem nichts zu tun, beteuerte er immer wieder. Seine Worte gingen im Gebell der Medienmeute unter. Es zeugt vom Großmut des jungen Ministers, dass er trotz alledem seinem so haltlosen Sekretär noch immer die Mauer machte.

Die Infamie, mit der finstere Kräfte dem Ressortchef Kalamitäten bescherten, traf niemanden härter als dessen Staatssekretär Alfred Finz. In den Juli-Tagen des Vorjahrs, als Österreich unter dem Joch der Jahrhunderthitze schmachtete, brütete der frühere Rechnungshofbeamte Tag und Nacht mit den besten Köpfen des Ministeriums über alten Schmökern und Folianten. Nach genauem Studium eines deutschen Schenkungssteuer-Kommentars aus dem Jahr 1975 kam er zum Schluss: keine Steuerpflicht! Blitzsauber, das alles.
Überflüssigerweise meldete sich daraufhin in Deutschland der Autor des Kommentars zu Wort, um zu granteln, Finz habe seinen Text wohl nicht richtig verstanden.
Das Böse schläft eben nicht.

So hatten ja auch unverfrorene Großbanken, für die der Finanzminister kleine Referate gehalten hatte, größere Beträge auf ein Konto Karl-Heinz Grassers überwiesen. Selbst Freund Winkler hatte dem Grasser-Konto ruchloserweise rund 10.000 Euro aus seinem Vereinsvermögen zugemittelt.
Logisch, dass der Minister dafür keine Steuern bezahlte. Er hatte das Geld schließlich nicht verlangt.

Der Gutmensch reinsten Wassers machte das Beste aus der Misere: Innerhalb eines einzigen Jahres wandelte Karl-Heinz Grasser das Konto zu einem „Sozialfonds“ um, über den kein Geringerer wacht als Franz Klammer.

Wolfgang Schüssel blieb das Leid seines Lieblingsministers nicht verborgen. Als kleinen Trost schickte er ihm eine Dauerkarte für die Sitzungen des ÖVP-Vorstands. Jörg Haider bot ihm wieder das Du-Wort an.

Als nun die Kräfte der Finsternis ihr Spiel verloren sahen, starteten sie einen letzten Verzweiflungsangriff: Handstreichartig rangen sie Dieter Böhmdorfer nieder, verschafften sich Einfluss auf die dem Justizminister unterstellte Staatsanwaltschaft und zwangen diese unter Androhung furchtbarster Konsequenzen, sogleich gegen Sekretär Winkler und später vielleicht gar gegen den Minister zu ermitteln.
Karl-Heinz Grasser stöhnt nur noch: „Ich bin ein unbeteiligter Dritter.“

An dieser Stelle halten wir im Moment.
Und weil sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute, und das hoffentlich recht lange.
Am besten als Autohändler in Klagenfurt.