Eine verhängnisvolle Affäre

Jörg Haider und die Juden

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Man darf vermuten, dass ein Geist, der sich als so frei begreift, dass er an keine Konventionen gebunden ist, vorher einmal sehr gefesselt war. Noch-FPÖ-Chef Jörg Haider schert sich derzeit jedenfalls um keine Tabus und schickt Ariel Muzicant, dem Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, eine Klage an den Hals. Was beide Streitparteien vorhaben, ist beachtlich. Haider will vor Gericht vom Vorwurf des Antisemitismus reingewaschen werden, während Muzicant den Wahrheitsbeweis dafür antreten will, dass die gesammelten Äußerungen Haiders doch ein antisemitisches Bild ergeben.

Es hatte in der Hitze des vergangenen Wahlkampfs begonnen. Die Wiener Juden waren besonders entsetzt, als sie jene freiheitlichen Plakate sahen, auf denen vor der so genannten "Überfremdung" gewarnt wurde. Auch ein zweites FPÖ-Plakat, auf dem sich Jörg Haider und Thomas Prinzhorn als "echte Österreicher" präsentierten, rief ungute Assoziationen wach. So etwas war schon einmal - gegen den Juden Kreisky - plakatiert worden, damals allerdings von der Volkspartei.

Nach dem Wahlerfolg der Freiheitlichen veröffentliche Muzicant ein Dossier, in dem eine ganze Reihe antisemitischer Übergriffe aufgelistet war. In anonymen Schreiben und anonymen Anrufen war plötzlich "der Saujud" wieder aufgetaucht. Mitglieder der Gemeinde erzählten, sie würden auf offener Straße angepöbelt. Ob es diese "angeblichen Übergriffe wirklich gegeben hat", sagte Jörg Haider kühl, wisse er nicht. Er wollte es nicht glauben. Muzicant solle Übergriffe halt anzeigen, meinte er. "Bei Anzeigen" fügte Haider noch süffisant hinzu, gebe es "ja keine ethnischen Differenzierungen". Auch die harsche Kritik aus Israel wies der Wahlsieger heftig zurück. "Hysterische Akte" seien das, und er würde "genügend Leute" kennen, "die sagen: Wir wissen jetzt, warum Antisemitismus entsteht". Dem israelischen Außenminister David Levy empfahl er, gefälligst "vor der eigenen Tür zu kehren". "Die Juden" forderte er pauschal auf, "vorsichtig" zu sein, aber "nicht, weil irgendeine Gefahr von der FPÖ droht". Die Proteste aus den USA und Israel nannte er "eingefrorene Posthorntöne" - "ob Monica Lewinsky oder David Levy, es ist alles das Gleiche, es hängt den Leuten im wahrsten Sinn des Wortes zum Hals heraus".

Als Muzicant der Kragen platzte und er endlich aussprach, was viele dachten, indem er Haiders Rundumschläge "rotzig, unverantwortlich und antisemitisch" nannte, reagierte Haider gekränkt. Er beauftragte seinen Anwalt Dieter Böhmdorfer - mittlerweile Justizminister - mit einer Klage gegen Muzicant.

Antisemitismus, nein, das dürfe man ihm nicht nachsagen. Immerhin seien "einige hochrangige Funktionäre in der FPÖ Juden". Außerdem strengt sich Haider in jüngster Zeit mächtig an, in der jüdischen Welt Anerkennung zu finden und den Verdacht des verkappten Antisemiten loszuwerden. Die Zeiten, als sein Vorgänger Norbert Steger von "den Kellernazis in der FPÖ" gesprochen hat, seien doch endgültig vorüber. Endgültig?

Antisemitismus ist ein weites Land. Manche hören, was andere gar nicht wahrnehmen wollen. Nach wissenschaftlicher Definition, so die Sprachwissenschafterin Ruth Wodak, handelt es sich um negative Äußerungen oder Handlungen, die der Gruppe der Juden zugeschrieben werden: Dazu gehören alte antisemitische Klischees wie zum Beispiel: Habgier, überdimensionaler Einfluss im Banken-, Geld- und Geistesleben, Christusmord und neuerdings auch das Shoa-Business (siehe Story auf Seite 160). Von Jörg Haider persönlich, sagt Wodak, seien ihr - ganz im Gegensatz zu seinen Parteifreunden - keine "explizit antisemitischen Äußerungen" bekannt. "Anspielungen darauf und geschichtsrevisionistische Behauptungen aber eine ganze Menge."

Der Ton macht die Musik. Dass Haider ehemalige SSler als "anständige Menschen, die trotz Gegenwinds ihrer Überzeugung treu geblieben sind", bezeichnet, würde Opfergruppen, so Wodak, naturgemäß "vor den Kopf stoßen, beleidigen und ängstigen".

Auch war Haider nie besonders zimperlich, wenn es darum ging, antisemitische Äußerungen von Parteifreunden zu entschuldigen. Was etwa sein alter Freund Andreas Mölzer, den er sich zuletzt als Kulturberater ins Landeshauptmann-Büro holte, zum Thema "Juden" verfasst hatte, regte Haider nie wirklich auf. Ob Mölzer nun von "Wirtsvölkern" und "entwurzelten Juden" schrieb, ob in der Zeitung, die Mölzer herausgab, der Holocaust als "Dogma" und "Mythos" abgehandelt oder die Ritualmordlegende vom "Anderl von Rinn" - die "blutigen Verbrechen jüdischer Vertreter an katholischen Christen" - abgedruckt wurden. Vorerhebungen gegen Mölzer nach dem Verhetzungsparagrafen seien, so Haider kalt, "ein Randthema".

Antisemitismus, unverhohlen. Haider hat auch nie etwas dabei gefunden, wenn in seiner Gegenwart der frühere Kunstminister Rudolf Scholten mit dem Beinamen "Pfefferkorn", einem antisemitischen Lieblingsmotiv, belegt wurde.

Als in den achtziger Jahren die ersten Gerüchte über jüdische Verbindungen seines Konkurrenten Norbert Steger die Runde machten, sah Haider darin eine Beleidigung, die er wohl zu nutzen wusste. "Die persönliche Ehre" eines freiheitlichen Politikers sei in Gefahr, stellte Haider fest, wenn "man ihn unter vorgehaltener Hand als Freimaurer oder Halbjuden ins Gerede bringt".

Seinen alten, mittlerweile verstorbenen Mentor Raimund Wimmer hat Haider bis zuletzt hofiert. Dieser alte Frontkämpfer hatte 1986 kräftig mitgeholfen, Haiders Machtübernahme am Innsbrucker Parteitag zu organisieren. Später war es still um ihn geworden, weil er vor laufenden ORF-Kameras von den "Peikelesjuden" geredet hatte, die bald "überall in Wien herumrennen" würden, sobald die Ostgrenzen offen wären.

Das hielt Haider nicht davon ab, Wimmer bei einer FPÖ-Jubiläumsgala als treues Vorbild im Dienst der Partei zu ehren.

In eigener Sache bemühte sich Haider um die richtigen Worte. Er legt Wert darauf, dass sein Erbe, das Bärental, nicht "arisiert", sondern nur "entjudet" wurde. Der Vermittler des Geschäfts, so sagte er einmal - wohl im Glauben, sich damit in ein besseres Licht zu setzen -, sei sogar ein "Jude" gewesen. "Der Jude Löw - vom Namen her, nehme ich es an. Is ja keine Diskriminierung, oder?" (Der angebliche Jude war kein Jude.)

Keine Worte, keine Taten?
Freiwillig hat Haider in den ersten Jahren seines politischen Lebens jedenfalls nie von den Opfern des Nationalsozialismus gesprochen. Das Wort "Jude" ging ihm nur schwer über die Lippen. Den Holocaust nannte er in einem mittlerweile berühmt gewordenen profil-Interview im Jahr 1985 "Vorgänge, die nicht zu akzeptieren sind". Auf Nachfrage des Interviewers sagte er: "Wenn Sie so wollen, dann war es halt Massenmord."

Man könnte achselzuckend sagen, dass Haider in einem solchen Meinungsklima eben aufgewachsen sei. Wenn Haiders Eltern daheim vom KZ redeten, dann war damit kein Vernichtungslager gemeint - die hießen Straflager - sondern Glasenbach, das Lager für Schwer- und Minderbelastete. In der Schülerverbindung Albia debattierte Haider unter Anleitung der alten Herren, durchwegs ehemaligen Nationalsozialisten, wie das denn technisch möglich gewesen sein soll, sechs Millionen Juden zu ermorden. "Wir glaubten einfach nicht, was mit den Juden angeblich passiert sein soll", sagt Helmut Peter, Haiders ehemaliger Freund aus diesen Tagen.

Persilschein
Das sportliche Fechten, so erzählen Haiders Mitstreiter von damals, wurde an so genannten Paukermandeln, Puppen aus Stroh, geübt. Zu Haiders Zeiten soll an einem dieser Strohmänner monatelang eine Binde mit dem Namen "Simon Wiesenthal" befestigt gewesen sein. Haider kann sich daran nicht erinnern.

Er verteidigt sich: "Antisemitismus, also das war bei uns nie ein Thema. Nein, wirklich nicht. Ich hab da wirklich ein entspanntes Verhältnis." Später, in den siebziger Jahren, trafen sich die beiden Schulfreunde Peter und Haider in der Korporation Südmark wieder. Auch der neue Justizminister Böhmdorfer war mit von der Partie. Peter trat schließlich aus der Verbindung aus, weil dort "ein rabiater Antisemitismus" geherrscht habe - Haider quittierte Peters Abschied später mit der flapsigen Bemerkung, dass der Jugendfreund bloß zu feig gewesen sei, eine Mensur zu fechten.

Erwachsen geworden, versuchte Haider, sich - wie übrigens viele aus der Generation seiner Eltern - vom Vorwurf des Antisemitismus zu befreien, indem er sich von Juden einen "Persilschein" ausstellen ließ. So zitiert er gern Simon Wiesenthal, der einmal in einem Interview bestätigte, dass "Haider niemals etwas gegen Israel oder etwas Antisemitisches geäußert habe".

Dieses Muster verordnete er später auch seiner Partei. 1995 begann das Liebeswerben der Freiheitlichen um die Juden. Die nationalen Kreise um den jetzigen Kärntner Kulturberater Andreas Mölzer und den Historiker Lothar Höbelt versuchten, jüdische Zeugen für deutschnationale Politik zu rekrutieren. Der Opernführer Marcel Prawy durfte etwa für einen Sammelband einen Aufsatz über Richard Wagner "aus jüdischer Sicht" bereitstellen - was er später bereute, weil er sich "als Alibi für die Judenfreundlichkeit der FPÖ" benutzt fühlte.

Haider höchstpersönlich bemühte sich um Juden, die ihm versöhnlich schienen. Er zitiert gern Viktor Frankls Rede von den zwei Rassen der "anständigen und unanständigen Menschen". Als er wegen seines Krumpendorf-Auftritts vor SS-Veteranen in die Bredouille kam, outete er Frankl im Fernsehen als "seinen persönlichen Freund, der auch nichts Böses darin sähe". Frankl distanzierte sich prompt in einem offenen Brief und philosophierte darin sarkastisch über den leichtfertigen Umgang mit dem Begriff Freundschaft.

1996 stieß Haider schließlich auf seinen wichtigsten jüdischen Vertrauten: den Journalisten und Schriftsteller Peter Sichrovsky. Wie eine besonders schöne Trophäe hatte Haider in einer Pressekonferenz den Überraschungskandidaten für das EU-Parlament präsentiert: einen Intellektuellen, einen Schriftsteller und einen Juden noch dazu. Haider habe ihn ausgewählt, sagte Sichrovsky damals, "weil er mich als Juden braucht". Im damaligen Europawahlkampf pflegte Haider in seinen Reden die "Geldgeschenke an Israel" anzuprangern. Wenn Sichrovsky anwesend war, änderte er das Wort "Israel" in "Palästina" um.

Wandlung zum Philosemiten
Seit sich Haider ernsthaft im Spiel um die Kanzlerschaft befindet, drängt es ihn, sich als einen Politiker darzustellen, der Freunde in der jüdischen Welt besitzt. So ließ Haider in den vergangenen Wochen keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, dass er es war, der dem Sohn des letzten Kärntner Landesrabbiners die Staatsbürgerschaft verliehen habe. Die kanadische Mission, wegen der er sogar eine wichtige Sitzung in Brüssel versäumte, soll, wie er sagt, "ein großer Erfolg" gewesen sein. Der orthodoxe Rabbiner, den Haider dort treffen wollte, zeigte sich allerdings unangenehm berührt, als Haider plötzlich vor der Tür stand, und wollte nichts mehr von einer Hochzeitseinladung an Haider wissen. Die Mitarbeiter des Holocaust-Museums in Montreal stellten vorsorglich Wachen auf, um Haider am Eintritt zu hindern. Eine Einladung von "prominenten jüdischen Anwälten" entpuppte sich als eine hastig zusammengestellte Runde, für die Haider die Hotelsuite sowie Speis und Trank bezahlen musste. Die "prominenten" Teilnehmer blieben im Dunkeln.

Nach Israel durfte Haider nicht, obwohl von dort angeblich Einladungen vorliegen. In Israel hat Haider Einreiseverbot.

Der Besuch eines ehemaligen Konzentrationslagers bei Triest musste auf unbestimmte Zeit verschoben werden, weil die jüdische Gemeinde gegen den Haider-Besuch protestierte.

In dieser Verwirrung der Gefühle springt ihm Peter Sichrovsky bei. Er leistet Beistand, indem er Dinge ausspricht, von denen er glaubt, dass sie Haider nie sagen könnte. So beschimpfte Sichrovsky Muzicant als "unglaublich geldgierigen Berufsjuden, der tote Verwandte ausnützt, um im Fernsehen zu erscheinen". Bald darauf konnte er sich nicht daran erinnern, das so gesagt zu haben, dann reaktivierte er sein Gedächtnis und steht schließlich ganz tapfer seinen Fauxpas, weil damit zumindest "die philosemitische Heuchlerei in diesem Lande" aufgedeckt werden könne (siehe Interview).

Sichrovsky legt allerdings großen Wert darauf, dass seine Äußerungen als innerjüdische Angelegenheit und nicht als Standpunkt der FPÖ gewertet werden. Das hat sich allerdings noch nicht bis zu allen Funktionären durchgesprochen. Der Vorarlberger FPÖ-Chef Hubert Gorbach, der immer schon einmal für ein Ministeramt im Gespräch war, hält die Angelegenheit "für eine sehr grundsätzliche Auseinandersetzung zwischen der FPÖ und der Kultusgemeinde", und er zeigt sich "sehr froh", dass Sichrovsky diesen Part übernimmt. Schließlich sei der "ein namhafter FPÖ-Vertreter, der weiß, dass alles, was er sagt, ohnehin auf die Goldwaage gelegt wird". Gorbach sieht keinen Grund, sich von Sichrovskys Insultationen zu distanzieren, wenn er auch "einzelne Ausdrücke nicht bewerten" wolle.

Vor kurzem wurde Sichrovsky in einem Kommentar als "Haiders Hofjude" bezeichnet. Diesen Titel trugen die Juden vor zwei Jahrhunderten am Kaiserhof durchaus als Ehrenzeichen. Mittlerweile bezeichnet der Begriff freilich eher eine verhängnisvolle Affäre zwischen Sichrovsky und seinem Chef-Goi. So bestreitet der EU-Abgeordnete, dass er jemals versucht habe, Haider Kontakte zu Juden zu verschaffen - vielleicht auch deshalb, weil diese Bemühungen nicht gefruchtet haben. Beim mittlerweile verstorbenen Zentralrat der Juden Deutschlands, Ignatz Bubis, hatte sich Sichrovsky zum Beispiel schon 1996 die erste Absage geholt. Bubis lehnte es ab, sich mit Haider zu treffen, weil er "keine Kulisse abgeben" wollte.

Beim New Yorker Marathon arrangierte Sichrovsky für seinen Parteiobmann zwar eine Reihe von Terminen, doch wussten die Gesprächspartner damals nicht so recht, mit wem sie es zu tun hatten. Noch in New York kündigte Sichrovsky frohgemut an, er werde mit Haider bald nach Israel zum "berühmten Rabbiner Halberstadt" fahren. Diesen orthodoxen Rabbiner ruft Haider gern als Kronzeugen auf, wenn er Vorwürfe des Antisemitismus entkräften will. Bei seiner Imagetour nach Paris und London sagte Haider: "Namhafte Leute in Israel unterstützen die FPÖ-Politik, zum Beispiel der angesehene Rabbi Halberstadt."

Keiner will ihn
Tatsächlich brachte Sichrovsky den greisen, strenggläubigen Orthodoxen dazu, mit ihm einen "Bund gesetzestreuer Juden Deutschlands" zu gründen. Sichrovsky suchte den 92-Jährigen, der in einem Vorort von Tel Aviv lebt, dann doch allein auf. Die mitgereisten Journalisten überraschte Itzhak Halberstadt mit der Meldung, er habe "überhaupt kein Interesse an der österreichischen Politik" und auch "keine Meinung darüber, ob der Herr Haider nun in eine österreichische Regierung gehöre oder nicht". Jetzt klagt Haider darüber, dass seine Bemühungen nicht ernst genommen werden. Er verstehe das nicht. Warum soll er sein Leben lang "im Büßergewand durch die Welt" gehen und sich "mit irgendwelchen Vergangenheitsproblemen belasten?", fragte er jüngst in einem "Spiegel"-Interview. "Die ganze Entschuldigerei", sagte er in der "Zeit", führe letztlich nur dazu, dass "Emotionen aufkommen und gefragt wird: Was soll das Ganze eigentlich noch nach so vielen Jahrzehnten?" In diesem Licht wird Jörg Haider wohl keine Freude damit haben, wenn von den Nachkommen der seinerzeitigen jüdischen Besitzer seines Bärentals eine Klage ins Haus flattert. Noch weniger wird er verstehen, dass sein Gesinnungsfreund Sichrovsky eine solche Klage "jedenfalls unterstützen" werde. Denn Sichrovsky heißt alle Anstrengungen zur Wiedergutmachung gut.

Von Christa Zöchling
"profil" Nr. 11/2000 vom 13.3.2000