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Eine Frage der Ehre

Eine Frage der Ehre

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Eine Abordnung des Ringes Freiheitlicher Jugend hat am Grab des Jagdfliegers Walter Nowotny – „… letzter Feindflug am 8. November 1944“ – Kränze deponiert. Damit niemand an den Motiven zweifelt, hieß es in der zugehörigen RFJ-Einladung weiter: „Im Zuge der ‚Aberkennung‘ des Ehrengrabes Major Walter Nowotnys durch Teile des Wiener Gemeinderates rufen wir alle heimattreuen Verbände, Vereine und Privatpersonen auf, der letzten Ruhestätte des gefallenen Heimatschützers einen Besuch abzustatten und damit unter Beweis zu stellen, dass seine Heldentaten unauslöschlich im Bewusstsein unseres Volkes verankert sind … denn jene Provokateure sollen sehen, was ein echtes Ehrengrab ist …“

Ich kenne es gut, denn es liegt am Wiener Zentralfriedhof nicht weit von dem Grab, das meiner Mutter von der Stadt ehrenhalber gewidmet wurde, weil sie, während Nowotny alliierte Flugzeuge abschoss, Juden vor dem Tod zu retten suchte. Der RFJ legt klar, wem „echte“ Ehre gebührt.
Das wäre kein wirkliches Thema, wenn der RFJ ein winziges Neonazigrüppchen wäre – aber er ist die Jugendorganisation der FPÖ, und die FPÖ ist Regierungspartei.

Die Jungen denken, wie die Alten sungen: Warum sollte Johann Gudenus, der Bundesobmann des RFJ, die Welt anders sehen als FPÖ-Bundesrat John Gudenus, der an die Existenz von Gaskammern nur glaubt, weil dies „dogmatisch vorgeschrieben“ sei, oder Ewald Stadler, der nicht meint, dass Österreich von den Alliierten „befreit“ wurde.

Nach einer Zwischenphase mit pseudoliberalem Anstrich bekennt die FPÖ wieder offen Farbe: Zum Teil sind ihre Funktionäre extreme Rechtsnationale, zum Teil fühlen sie extrem rechtsnational, zum Teil sind sie so unpolitisch, dass sie diese Farbschattierungen im freiheitlichen Blau nicht wahrnehmen.

Das Fatale ist, dass halb Österreich ihn kaum wahrnimmt. Sonst hätte Wolfgang Schüssel die neuerliche, zu ihrer Bloßstellung nicht mehr nötige Koalition mit dieser Partei nicht mehr durchsetzen können; sonst hätte Andreas Mölzer in der „Presse“ die Bomben der Alliierten nicht den Bomben der Wehrmacht gleichsetzen können; sonst schriebe die „Kronen Zeitung“ nicht, wie sie schreibt. In Österreich ist auch 2003 noch immer nicht klar, welcher Unterschied zwischen Hitlers Krieg und dem Kampf gegen Hitler besteht.

Man kann dieses Defizit mit Schüssel für weniger wichtig als das Nulldefizit halten. Man kann darin aber auch das Risiko sehen, noch einmal auf der falschen Seite zu kämpfen.
Natürlich ist es denen, die gegen die Aberkennung des Ehrengrabes für Nowotny polemisiert haben, nie um die „Totenruhe“ gegangen, denn es war von Anfang an klar, dass der Sarg an seinem Platz belassen würde. Es hat auch niemand Nowotny zur Unperson gestempelt: Er hat vermutlich mit kaum mehr politischer Überlegung auf gegnerische Flugzeuge gezielt wie ein Bogenschütze auf farbige Ringe – das ist für einen sportbegeisterten 20-Jährigen in keiner Weise unehrenhaft. Nur haben die Geschwister Scholl, hat der nirgends geehrte Student Wolfgang Treichl, hat mein nirgends geehrtes Kindermädchen Betty im gleichen Alter versucht, Hitler Widerstand zu leisten und Menschen vor der Vernichtung zu bewahren.

Nicht um die Ehrlos-Erklärung des Walter Nowotny geht es, sondern lediglich um die Klarstellung darüber, was die Stadt Wien und die Republik Österreich für außergewöhnlich ehrenswert halten. Auch wenn ich befangen bin: Eine gewisse Unterscheidung zwischen der Leistung meiner Mutter und der Leistung Walter Nowotnys scheint mir angebracht.

In Wirklichkeit war der Vorschlag einiger Grüner der mit Abstand sinnvollste, nämlich vor dem Grab Nowotnys eine Tafel aufzustellen, auf der es in etwa heißt: „1944 wurde Walter Nowotny mit diesem Grab dafür geehrt, dass er 281 gegnerische Flugzeuge abgeschossen hat. Das war zweifellos eine außergewöhnliche militärische Leistung. Leider wurde sie im Dienste eines Regimes erbracht, das die Welt in einen Krieg mit 53 Millionen Toten, darunter etwa sieben Millionen Ermordeten, gestürzt hat. Deshalb hat die Stadt Wien die Widmung als Ehrengrab aufgehoben. Der Soldat Walter Nowotny ruhe in Frieden.“

Inzwischen hat der Verfassungsdienst der Stadt Wien ein Gutachten erstellt, wonach sämtliche in der NS-Zeit vorgenommenen Ehrungen sowieso nichtig sind, und der Gemeinderat hat diese Rechtsansicht zur Kenntnis genommen. Eine Historikerkommission überprüft zurzeit die Auswirkungen, die sich daraus für Ehrengräber, Ehrenringe und Ehrenbürgerschaften ergeben: Ehrenbürger Wiens sind immerhin Hermann Göhring und Ernst Kaltenbrunner.

In einigen Fällen wird die Beurteilung freilich heikler sein. So wurde 1940 etwa auch ein Ehrengrab für den – im Jahr zuvor der NSDAP beigetretenen – Psychiater Julius Wagner-Jauregg errichtet, dem abseits seiner bahnbrechenden wissenschaftlichen Entdeckungen (Malariatherapie gegen Paralyse) auch problematische Äußerungen zur Rassenhygiene zugeschrieben werden. Ist seine – mit dem Nobelpreis ausgezeichnete – wissenschaftliche Leistung jetzt keiner Ehrung durch die Stadt mehr würdig?

Die Komission wird etwas tun müssen, was in Österreich besonders schwer fällt: differenzieren – sorgsam abwägen, wo die im Dienst der Allgemeinheit erbrachte Leistung schwerer wiegt als eine allfällige Schützenhilfe für das NS-Regime oder gar der bloß zufällige Zusammenfall von Ehrung und NS-Zeit wie etwa beim Wunderteam-Fußballer Matthias Sindelar.

„Haben wir keine anderen Sorgen?“, werden viele Leute und wird sicher die „Kronen Zeitung“ fragen. Kann schon sein, dass die Rate des Wirtschaftswachstums aktueller ist. Aber das ewige Problem des richtigen politischen Verhaltens in Extremsituationen wird immer eine Frage der Ehre sein.