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Eine Wette auf den Irak-Kurs

Eine Wette auf den Irak-Kurs

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In den Tagen, in denen die US-Truppen Bagdad stürmten, saß ich durch einen angenehmen Zufall mit dem ehemaligen Generalintendanten des ORF, Gerd Bacher, vor dem Fernsehschirm, und natürlich diskutierten wir über Wert und Unwert dieser Invasion.

Ich war zwar aus Angst vor einem unvergleichlichen Blutbad – das bekanntlich in diesem Ausmaß nicht stattfinden sollte – „eher dagegen“, hielt einige Ziele der USA aber für durchaus legitim: Es sei legitim, eine der übelsten Diktaturen der Erde militärisch zu beseitigen; es sei legitim, einen Mann, der zwei Kriege begonnen hat, an der Weiterentwicklung von Massenvernichtungswaffen zu hindern (von denen wir heute wissen, dass er sie gar nicht besaß), und es mache Sinn, den Versuch zu unternehmen, den Nahen Osten neu zu ordnen und der Phalanx der autoritären moslemischen Regime ein zumindest in Ansätzen demokratischeres gegenüberzustellen.
Sogar das zweifellos egoistische amerikanische Verlangen nach Kontrolle über die irakischen Ölreserven sei nicht ausschließlich negativ zu bewerten: Es verringere die Abhängigkeit vom Öl Saudi-Arabiens und eröffne daher die Möglichkeit, endlich mehr Druck auf das Königshaus auszuüben und es zu Reformen zu zwingen, ohne die es früher oder später von einer fundamentalistischen Revolution hinweggefegt würde.

Nicht zuletzt eröffne sich die Chance, endlich eine umfassende Friedenslösung für Israel zu erzielen, wenn Saddam Husseins Unterstützung für die PLO wegfalle und Syrien gleichzeitig besorgt sei, gleichfalls einer amerikanischen Invasion anheim zu fallen.

Wenn die Gefahr wochenlanger Straßenkämpfe mit hunderttausenden Toten in Bagdad nicht gegeben wäre, so damals meine Haltung, hielte ich den amerikanischen Vorstoß für durchaus segensreich.

Gerd Bacher hörte sich das alles mit der gewohnten disziplinierten Ruhe an und verwarf es dann in Bausch und Bogen: Bush trete das endlich errungene Völkerrecht mit Füßen, er entwerte die Vereinten Nationen, indem er sich selbst das Gewaltmonopol anmaße, entzweie Europa und die USA und die Europäer untereinander, es gehe ihm weder um die Demokratisierung des Irak noch Saudi-Arabiens, sondern ausschließlich um billiges Öl, um den Amerikanern weiterhin die Vergeudung der wichtigsten Ressourcen zu ermöglichen. Vor allem aber würde seine Strategie auch in keiner Weise funktionieren: Er würde ein Desaster ernten.

Von allen diesen Argumenten ist das letzte heute zweifellos das aktuellste, und ich möchte es mit Bachers Worten begründen: Die Amerikaner, so meinte er, glaubten, man könne Politik am Reißbrett planen – Grenzen verschieben, Regime auswechseln, Demokratie verfügen, so als hätte man es nicht mit gewachsenen Strukturen, sondern mit Dingen zu tun. Das liege daran, dass sie unfähig seien, andere Kulturen zu begreifen oder wenigstens zu achten. (Typisch, dass sie überhaupt nicht bedacht hätten, die irakischen Kunstschätze vor den Kriegswirren zu schützen.)

Was herauskäme, wenn die USA in einem fremden Raum, in dem sie jedoch beträchtliche wirtschaftliche Interessen haben, die Politik dominieren, hätte man in Lateinamerika beobachten können. Wie sollte eine Nation, die nicht einmal in ihrer nächsten Umgebung erfolgreich für Demokratisierung und Wirtschaftswachstum gesorgt habe, sich im Irak plötzlich als erfolgreicher Entwicklungshelfer bewähren?

Ich habe auf das Gegenbeispiel der höchst erfolgreichen Demokratisierung und wirtschaftlichen Stärkung Österreichs und Deutschlands oder Japans nach dem Zweiten Weltkrieg verwiesen, und wir sind wenigstens in einem Punkt einig geworden: dass wir gleichermaßen vehemente Zweifel daran hegen, ob George Bush sich mit Roosevelt oder Truman vergleichen lässt.

Ansonsten hat die Auseinandersetzung mit einer Wette geendet: In zwei, drei Jahren würde man sehen, wohin sich der Irak entwickelt habe, und wenn ich mit meiner optimistischen Sicht Recht behielte, würde Bacher mich zum besten Essen meines Lebens einladen. Wenn der Irak hingegen außer Kontrolle gerate, Israel sich vom Frieden entferne, der fundamentalistische Terror zunehme und der Nahe Osten ein autoritäres Armenhaus bliebe, dann sei ich am Zahlen.

Der Zwischenstand der Konkurrenz sieht Gerd Bacher leider klar in Führung: Der Terror ist explodiert, Israel ist von einem Frieden weiter entfernt denn je, lediglich der Westschwenk Libyens ist vermutlich durch den US-Vorstoß beschleunigt worden. Entscheidend ist aber natürlich die Entwicklung im Irak: Dort stehen der immerhin gemeinsam beschlossenen Verfassung – also vorerst einem Stück Papier – das allgemeine Chaos und der ausufernde Terror gegenüber. Wenn nicht wenigstens die wirtschaftliche Lage sich sehr bald sehr deutlich verbessert, werfe ich vorzeitig das Handtuch.