Fernreisen: Luxus im Nostalgiezug

Eisenbahn: Nostalgie auf Schienen

Die kreativsten Destinationen der Saison

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Fünf Jahre lang war ich in Dar“, sagt Ernest Stickland. Dar ist Daressalam in Tansania. Und Ernest Stickland, früher für British Telecom tätig, lebt schon lange in Afrika. „Vor Dar war ich in Nairobi. Davor, noch vor Idi Amin, in Kampala, später auch noch in Indien.“ Nur in Südafrika war er noch nie. Das mussten er und seine Frau Edna nun nachholen. Jetzt, im Ruhestand.

„In Afrika“, sagt Stickland und bestellt noch ein Glas Champagner, „in Afrika muss man sich entscheiden. Für die Realität oder den Traum.“ Mit der Realität haben er und seine Frau sich in den Town-ships von Port Elizabeth konfrontiert. „Wir haben eine Schulpatenschaft für ein Kind übernommen“, sagt sie. Für 100 Rand im Monat, etwa 12,50 Euro.

Der Rest der Reise steht im Zeichen des Traums. Also haben die Sticklands eine Fahrt mit dem „Pride of Africa“ gebucht, einem eisenbahnnostalgischen Traum auf Schienen. Von Durban nach Pretoria, in alten, restaurierten Pullmanwaggons durch die schier endlosen Zuckerrohrfelder KwaZulu-Natals, vorbei an sanft anschwellenden Hügeln, durch dichte Wälder, durch den Busch, in Wildreservate von Weltrang, durch Tunnels und über Kurven und Kehren hinauf auf das südafrikanische Hochplateau, vorbei an majestätischen Wasserfällen. Von der Küste des Indischen Ozeans über das Lowveld in das Highveld. Drei Tage für 10.950 Rand (rund 1370 Euro) pro Person.

Die Waggons des Zuges rollen und schaukeln, ächzen und jammern. „Das ist Geschichte“, sagt Stickland. „Die Geschichte der Eisenbahn und Afrikas. Denken Sie nur an Cecil Rhodes, der Kapstadt und Kairo mit der Bahn verbinden wollte. Was für ein Visionär.“

Ein Visionär war Rhodes, zudem Politiker und skrupelloser Geschäftsmann. Auch Rohan Vos war Unternehmer und Visionär. Vor 15 Jahren gründete er sein Unternehmen Rovos Rail, das Dampflokomotiven vor alte, restaurierte, liebevoll bis ins kleinste Detail wiederhergestellte Waggons aus den zwanziger und dreißiger Jahren spannt. Die Zeiten indes schienen wenig Platz für derartige Sentimentalitäten zu bieten. 1993 stand Vos vor dem Aus. Von seinen beinahe 15 Unternehmen war ihm keines geblieben. Sein Flugzeug musste er verkaufen, gerade ein Fahrrad nannte er noch sein Eigen. Sowie eine Hand voll Waggons mitsamt dazugehörigen Dampflokomotiven. Die Banken gewährten ihm keinen Kredit mehr. Denn wer glaubte partout in jenen Tagen, in denen sich das alte Südafrika anschickte, dem neuen zu weichen, wirklich an die Zukunft des Landes? Und wie viele Reisende setzen sich in unsicheren Zeiten in einen alten Zug?

Doch die Nostalgie hat bis heute überlebt und nimmt die Passagiere binnen kürzester Zeit gefangen. Macht sie unschlüssig. Soll man in der Suite bleiben? Ausgestreckt auf dem überdimensionalen Bett die Landschaft an sich vorüberziehen lassen? Oder sollte man doch den Observationcar am Zugende aufsuchen? Um sich dort auf der Plattform im Freien die durchaus eigenwillige Geruchskombination von Eisenbahn und Afrika um die Nase wehen zu lassen?

Zeitlosigkeit. Dort sind sie schon alle versammelt, die Mitreisenden. Unvermittelt fällt einem Agatha Christie und deren „Mord im Orient-Express“ ein, ihre Schilderungen, ihre Protagonisten. Da sind zwei betagte Damen, zwei ältere Ehepaare, eine vierköpfige Familie und die frisch Verheirateten, allesamt aus Großbritannien. Dazu zwei junge Deutsche, ein finnisches Juristenpaar auf Weltreise. Und sind die Franzosen nun Mann und Frau oder Mutter und Sohn?

Mrs. Stickland führt Buch. Wer wissen will, wer zu wem gehört, wer welchem Beruf nachgeht, findet bei ihr die Antworten auf alle Fragen. Ernest Stickland hat inzwischen in Michael Tyrer einen Bruder im Geiste gefunden. Beide sind bereits mit fast allen der großen Luxuszüge gefahren: mit dem Eastern Oriental Express oder mit dem „echten“ Orient-Express.

„So etwas, diese Mischung aus Nostalgie und zeitgemäßer Effizienz und Annehmlichkeit, habe ich bisher noch nie erlebt“, sagt Stickland. So große Suiten. Mit eigenem Badezimmer. Mit Dusche, teils mit Badewanne.

Nur möge man bitte sehr doch darauf achten, merkt das Personal an, beim Benutzen des Badezimmers die Jalousie tunlichst zu schließen. Dann und wann sei es schon passiert, dass sich einer der Passagiere, notabene im Adamskostüm, von feixenden Reisenden auf den Bahnsteigen der Bahnhöfe habe betrachten lassen müssen.

Die Bahnhöfe aber werden seltener und seltener. Außerhalb des Zuges wird Farmland zu Buschland. Schirmakazien lösen die Plantagen ab, die Sonne neigt sich dem Horizont zu, der Himmel verfärbt sich, wird dunkel. Die Gespräche werden leiser.

Der Zauber der Reise entfaltet sein Wesen: die Zeitlosigkeit. Nichts drängt, nichts eilt. Viel wichtiger ist es, sich dem sanften Rhythmus des Zuges hinzugeben, in einem der Fauteuils zu sitzen, geruhsam an einem Drink zu nippen und eins zu werden mit der Stimmung. Und zu wissen, dass man Zeit hat. Alle Zeit der Welt.

Aufschwung. Ende 1993 hatte Rohan Vos keine Zeit mehr. Eine große Fahrt konnte er noch durchführen, jene von Daressalam nach Kapstadt. Ein Klassiker durch unberührtes Land, zu den schönsten Flecken Ost- und Südafrikas. Und er offerierte, gleichsam in letzter Minute, die Fahrt von Pretoria nach Victoria Falls.

Eine Tour, die sich als Renner entpuppte. 1994, inzwischen war Nelson Mandela Präsident Südafrikas und alles ganz anders gekommen, als es die Pessimisten meinten, 1994 also hatte Rohan Vos es geschafft. Rovos Rail ist seither ein Erfolg, und der kommt nicht von ungefähr. So perfekt die Waggons und ihre Einrichtung, so unaufdringlich präsent das Personal, so vollkommen ist auch das Drumherum.

Das dezente Ersuchen etwa, zum Dinner möge das p. t. Publikum bitte in Abendkleid respektive in Anzug und Krawatte erscheinen. Was im gedämpften Licht der Art-déco-Lampen, umgeben von Porzellan und Kristall, nur zu sinnig ist. Umso mehr, wenn die Schätze der Weinkarte präsentiert werden, wenn aus der engen, schlingernden Küche die Gaumenfreuden der jungen südafrikanischen Cuisine serviert werden.

Die gesamte Fahrt ist auf Genuss ausgerichtet, in Maßen freilich und niemals über die Stränge schlagend. Doch eben auf Genuss wie auf Muße. Auch im Fall der Ausflüge, die vom Zug aus unternommen werden. In den Busch hinein. Dorthin, wo er am dichtesten ist. In Swasiland zum Beispiel nach Mhkaya, wo die Passagiere mit Elefanten und Nashörnern gleichsam auf Tuchfühlung gehen, wo für kurze Zeit die holzgetäfelten Waggons gegen die Weite Afrikas getauscht werden. Um dann später, nunmehr durch das kleine Königreich zwischen Südafrika und Mosambik ratternd, Beobachtungen auszutauschen. Oder um sich mit einem Buch zurückzuziehen. Oder um die vorbeiziehende Landschaft mit den Augen zu trinken.

Was da draußen sonst noch passieren mag, was in der Welt geschieht, im Zug kümmert das niemanden. Abgeschnitten vom steten Fluss der Nachrichten sind die Passagiere. Stattdessen wird der Zug zum Mittelpunkt wenn schon nicht des Universums, so doch Afrikas. Und Afrika, seine Landschaften, seine Vegetation, seine Tiere, selbst seine Menschen werden zu einer Kulisse, durch die sich der Zug bewegt.

Erst am letzten Tag (Wie lange befindet man sich eigentlich schon in diesem Zug? Zwei Tage, drei oder vier?) macht sich eine gewisse Spannung bemerkbar. Während der Zug nun über Kurven und Kehren, vorbei an schroffen Felswänden, entlang tiefer Täler sich auf das südafrikanische Hochland müht, weiß man, die Reise geht ihrem Ende zu.

Einmal noch hält der Zug auf offener Strecke. Es ist kühl. Ein leichter Schauer ist niedergegangen. Edna Stickland tritt mit einem Glas Champagner in der Hand ins Freie auf die Plattform des Observationcar. Augenblicklich tauchen Kinder auf, fragen nach „candies“ und nach „money“. Mrs. Stickland blickt ihnen entgegen. Blickt auf sie herab, von der Plattform. „I have no money“, sagt sie. „I have no candies.“ Sie macht eine Pause: „And you are too young for champagne.“ Im Inneren des Waggons herrscht Schweigen.

Zehn Minuten später setzt der Zug sich wieder in Bewegung. Die Kinder haben aus dem Küchenwaggon Speisereste bekommen.

Dann tauchen die Vorstädte Pretorias auf. Townships und kleine Villensiedlungen. Eine Biegung noch, dann kann man den ganzen Zug sehen, mitsamt der Lok. Dann wird er langsamer und kommt in der Rovos-Station Capital Park zum Stehen.

Abschiedsworte werden laut, ein letztes Mal werden Hände geschüttelt, da oder dort Visitkarten ausgetauscht. Das Gepäck wird gezählt und ein weiteres Mal verstaut. Dienstbare Geister allüberall, nichts, worum sich die Passagiere selber zu kümmern bräuchten. Noch nicht. Ernest Stickland nützt die letzte Gelegenheit und trägt sich in das Gästebuch ein, schreibt: „You made a dream come true.“ Jetzt beginnt wieder die Realität.