Peter Michael Lingens

Eklatante Unterschiede

Eklatante Unterschiede

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Benedikt XVI. hat allen Grund, mit seinem Besuch in Österreich zufrieden zu sein: eine lächerlich kleine Gegendemonstration; kaum Medienecho für die Forderungen der Plattform „Wir sind Kirche“, die das Zölibat abschaffen und die Frauen gleichberechtigen will; und vor allem weit weniger die Kirche irritierende Aktivitäten des sozialdemokratischen Bundeskanzlers, als der Papst etwa in Spanien hinnehmen muss. Dort hat José Luis Zapatero nicht nur die Homo-Ehe samt Berechtigung zur Adoption zugelassen, sondern auch noch Gesetze eingebracht, die Sterbehilfe wie embryonale Stammzellenforschung erlauben und den Religionsunterricht zum bloßen Wahlfach degradieren.

Letzteres lässt die Kirche fast noch mehr erbeben als die mittlerweile 4500 gleichgeschlechtlichen Paare, denn sie fürchtet um ihren Einfluss auf die bildsame Seele der Kinder: Ab dem kommenden Jahr können Spaniens Eltern entscheiden, ob sie ihre Kinder einem Religionslehrer anvertrauen oder sie stattdessen lieber zu einem weltlichen Lehrer schicken, der ihnen im Rahmen des Faches „education para la Ciudadania“ (Erziehung zum Bürger) die Grundlagen einer bürgerlichen Gesellschaft auseinandersetzt. Im Zentrum des neuen Unterrichtsfaches stehen jedenfalls allgemeine bürgerliche Werte, die Menschenrechte, ethische Normen sowie staatliche Gesetze. Die christliche Religion und Spaniens katholische Tradition spielen nur insofern eine Rolle, als sie diese Normen und Gesetze beeinflusst haben, wobei die Franco-Ära wohl eher Anlass zu kritischen Diskussionen geben dürfte.

Die spanische Bischofskonferenz opponiert denn auch auf das Heftigste, und eine Reihe katholischer Vereinigungen hat zu Demonstrationen aufgerufen. „Statt zu erfahren, dass Homosexualität eine Todsünde ist“, lautet ihre verkürzte Argumentation in etwa, „lernen Jugendliche jetzt sogar in der Schule, dass Homosexuelle heiraten dürfen.“

„Dieses neue Fach ist nicht akzeptabel, denn es lehrt Inhalte, die der Entwicklung der Persönlichkeit schaden“, rief der Erzbischof von Toledo in einer Sonntagsmesse von der Kanzel und forderte katholische Eltern auf, die Teilnahme ihrer Kinder an der Bürgererziehung „aus Gewissensgründen zu verweigern“. Im benachbarten Villanueva löste er damit geistliche Aktivitäten aus, die er anderntags nur mit Mühe zurückpfeifen konnte: Der Pfarrer des 800-Seelen-Dörfchens drohte Eltern, ihre Kinder nicht auf die Erstkommunion vorzubereiten, wenn sie sich für das neue Fach entscheiden sollten.

Doch gerade weil sie in Spanien einmal so unglaublich stark war, ist die katholische Kirche dort heute erstaunlich schwach: Nirgends werden Schwangerschaften so energisch verhütet, sind Frauen so wenig bereit, „zu Hause am Herd“ zu bleiben, wie in der einstigen katholischen Hochburg. Vor allem die Jungen springen ab: Die zivilen Eheschließungen sind zahlreicher als die kirchlichen geworden. Man will sich von der Kirche nicht bevormunden lassen: Als Zapatero die Homo-Ehe ins Gespräch brachte, reagierte die Bevölkerung in ersten Umfragen eher kritisch – aber als die Bischofskonferenz sich energisch dagegen aussprach, schnellte die Zustimmungsrate über 50 Prozent.

Auch das neue „Bürgerrechts“-Fach stößt längst nicht auf die von der Kirche erhoffte Ablehnung. Allenfalls reagieren die Eltern mit einer gewissen Verunsicherung: Sie wissen nicht, ob sie ihrem Kind nicht am Ende doch schaden, wenn sie es nicht zum Religionsunterricht schicken.

Der Unterschied zu Österreich ist jedenfalls eklatant: Heide Schmidts Liberale holten sich mit der Idee, den Religionsunterricht durch einen Ethik-Unterricht zu ersetzen, so kalte Füße, dass die SPÖ das Thema nicht einmal ernsthaft diskutierte. Obwohl die Verfassung die klare Trennung von Kirche und Staat festschreibt, prangt das Kreuz noch immer an den Wänden zahlreicher Klassenzimmer, selbst wenn ein erheblicher Teil der Schüler islamisch ist.

Die Chance, Jugendlichen im Rahmen des Ethik-Unterrichts beizubringen, wie viele Werte Christentum, Judentum und Islam gemeinsam haben, wird ebenso vergeben wie die Chance, allen Seiten klarzumachen, dass nur der Respekt vor den „bürgerlichen Werten“ der Toleranz und der Meinungsfreiheit ein friedliches Zusammenleben sichert.

PS: Nach Langem ausnahmsweise wieder ein Tipp aus einem Bereich, für den ich keinerlei Zuständigkeit besitze: Falls Sie den zurückliegenden Urlaub im Juli oder im August auch als zu stressig und zu heiß empfunden haben, empfehle ich für das kommende Jahr Dubrovnik im September: Die Menschenmassen, die die herrliche Küstenstadt an der Adria im Sommer heimsuchen, haben sie dann so weit wieder freigegeben, dass man sich seinen Weg zum Rektorenpalast ohne Machete bahnen kann.

Und dort findet auch im kommenden Jahr zwischen dem 5. und dem 16. September ein Kammermusik-Festival statt, das seinesgleichen sucht. „Rachlin & friends“ präsentieren Weltklasse-Musiker vom Range des Cellisten Mischa Maisky, der Geigerin Janine Jansen oder des Klarinettisten Martin Fröst in einem ebenso originellen wie anspruchsvollen Programm, und man kann beim Zuhören außerdem noch patriotischen Stolz empfinden: Festival-Gründer Julian Rachlin ist Österreicher, und ein Gutteil der Musiker, die wie er aus der ehemaligen Sowjetunion stammen, hat in Österreich zumindest ein vorübergehendes Zuhause gefunden.