Erderwärmung: Globale Schattenspiele

Erderwärmung: Schattenspiele

Wie lässt sich der Tem- peraturanstieg bremsen?

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Nebojsa Nakicenovic kennt die Prozedur genau, er hat sie schon mehrmals erlebt: Bevor der UNO-Klimabeirat einen neuen Report zum globalen Klimawandel öffentlich präsentieren darf, müssen die Autoren des Berichts ihre Standpunkte gegenüber Regierungsvertretern aus aller Welt verteidigen. „Da wird um einzelne Formulierungen, manchmal sogar um Worte gerungen“, sagt Nakicenovic, Energie- und Klimaexperte am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien. Allein mit der Klärung der Frage, ob eine Maßnahme ergriffen werden „sollte“ oder „könnte“, kann ein ganzer Nachmittag vergehen. Der Sinn des zähen Ringens: Wenn auch die Regierungsvertreter das Dokument akzeptieren, steigen die Chancen, dass der Report nicht in Schubladen verstaubt.

Derzeit wird wieder verhandelt, diesmal in Bangkok. Dort soll am kommenden Freitag, um 12 Uhr Ortszeit, der jüngste Klimabericht präsentiert werden. Kurz vor seinem Abflug schwante Nakicenovic bereits: „Es werden besonders schwierige Verhandlungen. Wir werden bis spät in die Nacht um Kompromisse ringen.“ Der Grund: Diesmal geht es nicht um Klimamodelle, um Meeresspiegel oder Lebensräume von Gämsen, Eisbären, Insekten und Skifahrern, sondern ums Geld. „Wir wollen die Frage beantworten, wie wir die Wirtschaft verändern müssen, um den Klimawandel auf ein erträgliches Maß zu beschränken.“

Gerade noch akzeptabel. Einige Details aus dem Entwurf drangen schon vor Verhandlungsbeginn an die Öffentlichkeit: Ab dem Jahr 2030 soll die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre nicht mehr weiter steigen. Gelingt das, so das Resultat aufwändiger Berechnungen, so steigt die globale Durchschnittstemperatur nur um zwei Grad. Das ist ein Wert, den Klimaexperten als gerade noch akzeptabel ansehen.

Doch um das zu schaffen, braucht es eine radikale Treibhausgas-Diät. Verkehr und Energieversorgung, Heizung und Industrie müssen in 23 Jahren so verändert werden, dass sie nur noch einen Bruchteil der heute üblichen Mengen an Kohlendioxid produzieren.

Ob das zu schaffen ist, darüber sind sich die Experten uneinig. Schließlich steigen Jahr für Jahr immer mehr Klimagase in den Himmel. China und Indien verstärken mit ihrem rasanten Wachstum den Trend noch weiter. Auch im selbst ernannten Umweltmusterland Österreich nahmen die Emissionen zu, im Vergleich zum Jahr 1990 um mehr als 18 Prozent. Und das, obwohl die Bevölkerung im selben Zeitraum nur unwesentlich gewachsen ist.

In der Zwickmühle zwischen ständig steigenden Emissionen einerseits und ständig strengeren Sparvorgaben bleibt nur noch die Flucht nach vorne: Jetzt sollen neue Technologien den gewohnten Lebensstandard erhalten und gleichzeitig die Atmosphäre schonen. Hybridautos, wärmegedämmte Häuser, intelligente Stromnetze und optimierte Kraftwerke – jeder Lebensbereich wird nach Sparpotenzialen abgeklopft. Nach einer Kalkulation von Nebojsa Nakicenovic müssten in den kommenden Jahren die weltweiten öffentlichen Ausgaben für Energieforschung zumindest auf 24 Milliarden Dollar pro Jahr verdreifacht werden.

Sollte das alles nicht ausreichen, bleibt immer noch Plan B. Das zumindest behauptet eine kleine Schar von Erfindern, die mit teils bizarren Erfindungen die Welt vor einem Klimakollaps bewahren wollen.

Einfrieren. Zum Beispiel Klaus Lackner. Der aus Deutschland stammende und an der Columbia-Universität in New York forschende Physiker entwirft turmhohe Konstruktionen, die von Natronlauge überspült werden. Die Flüssigkeit soll Kohlendioxid aus der Luft fangen, anschließend wird das Treibhausgas abgetrennt, die Lauge für die nächste Runde wieder nach oben gepumpt. Das abgeschiedene Kohlendioxid könnten japanische Forscher entsorgen: Sie frieren das Treibhausgas zu riesigen Blöcken und versenken diese an den tiefsten Stellen des Pazifiks. Temperatur und Druck am Meeresboden sollen sicherstellen, dass das Gas nie wieder hochkommt.

Ozeanografen vom deutschen Alfred Wegener Institut in Bremerhaven wiederum verfolgen ein grüneres Konzept: Sie wollen ein ganzes Ökosystem zum Klimaschutz vergattern: 2004 kippten sie von Bord des Forschungsschiffes „Polarstern“ sieben Tonnen Eisensulfat in antarktische Gewässer. Das Eisen wirkte wie Dünger und löste ein rasantes Algenwachstum aus. Die Pflanzen banden rund 7000 Tonnen Kohlendioxid aus dem Wasser, sodass das Wasser die nochmals gleiche Menge des Treibhausgases aus der Luft aufnehmen konnte. Nach vier Wochen starben die Algen ab und sanken zu Boden. Hatten sie die 7000 Tonnen allesamt mit sich genommen? Die genaue Analyse lieferten die Forscher erst Anfang April nach, sie fiel ernüchternd aus: Lediglich ein Prozent des gebundenen Treibhausgases verschwand nachhaltig. Dafür entstand beim Verwesen der Algen Methan, und das ist für das Klimageschehen noch schädlicher als Kohlendioxid.

Die Optimisten unter den kreativen Klimaschützern bezeichnen ihre Konzepte selbstbewusst als „Geo-Engineering“, gerade so, als könnte man an einem Planeten kurz mal ein wenig tunen. Die Forscher des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) wischten derlei „spekulative“ Konzepte bis vor Kurzem jedoch ziemlich pauschal vom Tisch: „Die Kosten sind völlig unklar und die möglichen Nebenwirkungen unabsehbar.“ Manch einer fühlte sich auch unangenehm an die Sowjetära erinnert, als die Maiparade am Roten Platz in Moskau durch Wettermanipulationen vor Regengüssen bewahrt wurde.

Geisteswandel. Doch viele dieser Dünkel sind mittlerweile verflogen. Den Geisteswandel verdanken die Erfinder eigentlich nur einem Mann: Paul Crutzen. Der Chemie-Nobelpreisträger präsentierte im vergangenen August in einem renommierten Wissenschaftsblatt ein astreines Geo-Engineering Konzept – und brach damit den Bann, der seit jeher auf den eher scheel betrachteten Proponenten dieser Zunft lag. Schließlich gilt der in Deutschland forschende gebürtige Niederländer als Doyen der Atmosphärenforscher. Schon 1970 hatte Crutzen allein aufgrund theoretischer Überlegungen die Entstehung von Ozonlöchern über den Polkappen der Erde vorhergesagt und war dafür 1995 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden. Nun schlug er vor, die Erde mit einem künstlichen Schwefeldunstschleier zu überziehen.

Sofort setzte ein Sturm der Entrüstung unter den Wissenschaftern ein. Einige meinten, solche Überlegungen sollten glatt verboten werden; schließlich wäre es sogar für Crutzen nur schwer möglich, die komplexen Auswirkungen des Experiments abzuschätzen. Absehbar wäre lediglich, dass das gelbe Zeug bald zur Erde rieseln und hier sauren Regen verursachen würde. Geo-Ingenieure dagegen sahen sich durch den unerwarteten Schulterschluss des hoch angesehenen Forschers aufgewertet und mit einem Schlag aus der wissenschaftlichen Schmuddelecke befreit. „Sein Vorschlag hat zu einigem Umdenken geführt“, meinte der Klimaforscher Kenneth Caldeira von der Stanford University in Kalifornien. „Man kann jetzt offen über Geo-Engineering sprechen, ohne sich lächerlich zu machen.“ Dass Crutzen selbst seinen Vorschlag mehr als Fingerzeig verstanden wissen wollte, mit dem er auf das Versagen der Klimapolitik aufmerksam machen wollte, ging freilich bald unter.

Schon im vergangenen September konnte Roger Angel, Astronom an der Universität Arizona, seinen Vorschlag zur Rettung der Welt ebenfalls in einem renommierten Fachblatt präsentieren: Er will einen 20 Millionen Tonnen schweren Sonnenschirm im All aufspannen, der sollte der Erde 1,8 Prozent des Sonnenlichts ersparen. Klingt zu kompliziert? Angel hat noch eine weitere Idee: Wie wäre es, einige Millionen kleiner Objekte ins All zu schießen? Ein Gramm leichte, jeweils einen Quadratmeter große „Flyer“ sollten sich im All autonom zu einem 100.000 Kilometer langen wolkigen Schattenspender formieren. All das sei machbar, meint Angel, die Kosten würden sich schlimmstenfalls auf einige wenige Billionen Dollar belaufen.

Trotz solcher nicht ganz unwichtiger Details verlangten US-Verhandler im vergangenen Jänner allen Ernstes, das IPCC solle die Entwicklung solcher Sonnenschutzkonzepte offiziell empfehlen.

Seither gibt es kein Halten mehr: Vor allem amerikanische Forscher beglücken die Welt mit immer neuen Ideen zur Weltklimaverbesserung: Genmanipulierte Bäume oder Algen sollen Treibhausgase aus der Luft saugen; eine Wolke von Mondstaub soll im Erdorbit geparkt werden, damit sie einmal pro Monat die Sonne verdeckt. Alternativ könnte als Rohstoff auch ein eingefangener und zertrümmerter Asteroid herhalten. Reflektierende Alustreifen in höchsten Luftschichten könnten die Erde ebenso beschützen wie ein Geschwader von abertausenden glänzenden Ballonen. Jüngste Idee: Von großen Booten aus könnten Wasserpartikel durch hohe Schlote in die Luft geblasen werden. Dort wirken sie wie Kristallisationskeime für riesige Wolkendecken, die wiederum das einstrahlende Sonnenlicht reflektieren.

Ablenkung. Zumindest eignen sich derlei fantastische Projekte zur Ablenkung von den Niederlagen der realitätsnäheren Klimapolitik. Zum Beispiel bei den Kraftwerken zur Stromerzeugung: Bisher waren die IPCC-Prognostiker davon ausgegangen, dass technologische Neuerungen schon bald zu niedrigeren Treibhausgasemissionen führen würden. Neue Kohlemeiler etwa arbeiten bei höheren Temperaturen und können dadurch aus der gleichen Menge Kohle mehr Strom erzeugen als konventionelle Kraftwerke. Große Hoffnungen wurden in früheren IPCC-Studien auch in den verstärkten Einsatz von Gaskraftwerken gesetzt, die arbeiten nämlich noch effizienter. Doch der Fortschritt ist langsamer als erwartet – die Studienautoren hatten ökonomische Faktoren, die gegen die Einführung der neuen Technologie sprechen, schlicht unterschätzt. „Jetzt haben wir das korrigiert“, sagt der Klimaforscher und Mitautor beim IPCC-Report, Bernhard Schlamadinger von Joanneum Research in Graz. Zwei bunte Schautafeln wurden für den neuen Bericht angefertigt, aus denen sich Energiequellen und Energieverbrauch ablesen lassen. Die erste Tafel zeigt die Situation im Jahr 2005, die zweite bildet die Voraussage für das Jahr 2030 ab. „Da gibt es eigentlich keine wesentlichen Unterschiede“, so Schlamadinger. Einzige Ausnahme: Die Ölvorräte sind im Zukunftsszenario bereits zur Hälfte ausgebeutet. Von den gesamten Kohlereserven fehlen jedoch gerade erst einmal fünf Prozent.

Als Ausweg bietet sich hier eine ebenfalls leicht Science-Fiction-verdächtige Technologie an: Gleich im Schornstein könnte Kohlendioxid abgeschieden und dann in ausgebeutete Erdöl- oder Erdgasfelder gepresst werden. Schon läuft ein erster Test in der Nähe von Berlin, doch selbst die Proponenten der Technologie wissen, dass es nicht leicht sein wird, ausreichend sichere Endlager für den Klimakiller zu finden.

Kohle wird also auch in Zukunft reichlich und daher billig verfügbar sein. Damit wird der Markt auch in absehbarer Zukunft in Richtung klimaschädlicher Stromerzeugung drängen. Alternativen können sich nur schwer durchsetzen – es sei denn, eine Gesellschaft überlässt die Frage der Energiequelle nicht dem freien Spiel der Marktkräfte, sondern setzt eine bewusste politische Entscheidung. Das klingt nach Öko-Idyll, ist aber derzeit in Schweden live zu verfolgen. Politiker, Umweltverbände und Industrielle haben beschlossen, das Land bis 2020 völlig unabhängig von fossilen Brennstoffen wie Kohle, Erdöl oder Erdgas zu machen. Statt dessen soll Biomasse aus den endlosen schwedischen Wäldern zum Heizen, Beleuchten und sogar Autofahren verwendet werden.

Energieautark. Im kleineren Maßstab gibt es eine solche Insel der Nachhaltigkeit bereits: Der südburgenländische Bezirk Güssing ist dank mehrerer Biomasse-Heizwerke energieautark. Geheizt werden kommunale Einrichtungen sowie fast alle Privathäuser und Betriebe des Bezirks durch Fernwärme. Verheizt wird ausschließlich Holz aus den Wäldern ringsum. Lediglich zum Tanken brauchen die Güssinger noch Erdölprodukte, doch auch das könnte sich bald ändern. Gemeinsam mit Wissenschaftern des Instituts für Verfahrenstechnik der Technischen Universität Wien hat die Gemeinde ein weltweit einzigartiges Biomassekraftwerk errichtet. Die Anlage verheizt mehr als zwei Tonnen Holzhackschnitzel pro Stunde und zwar in zwei miteinander verbundenen Wasserdampf-Wirbelschichtöfen. Anstatt Luft wird in den Ofen Wasserdampf eingeblasen, bei 900 Grad Celsius und Sauerstoffmangel vergast das Holz. Es entsteht erstens Abwärme, die via Fernwärme in Haushalte zum Heizen oder in nahe gelegene Industriebetriebe verschickt wird. Zweitens produziert der Ofen ein Biogas, und das nutzen die Betreiber je nach Bedarf: Entweder befeuern sie damit einen Stromgenerator, oder sie verwandeln das Gas in Diesel. „Denkbar wäre auch, verschiedene Kunststoffe daraus zu machen“, sagt TU-Verfahrenstechniker Christoph Pfeifer. „Wir könnten aber auch Methan herstellen und dann eine Erdgas-Tankstelle eröffnen.“ All das wäre klimaneutral, weil bei der Verbrennung von Holz nur exakt jene Menge Kohlendioxid frei wird, die zuvor von der Pflanze aus der Luft aufgenommen worden ist.

Energieeffizienz. Peter Hennicke vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie lässt sich von solchen Erfolgsgeschichten kaum euphorisieren. Viel billiger als Energie auf neue Art zu produzieren wäre es, die vorhandenen Energieformen effizienter zu nutzen, so das gebetsmühlenartig wiederholte Mantra des Umweltexperten. Allein der Einsatz modernster Geräte senkt den Stromverbrauch in einem Haushalt auf ein Fünftel.

Dass noch viel mehr möglich ist, zeigt die im Dezember fertig gestellte größte Passivhauswohnanlage Österreichs im 11. Wiener Gemeindebezirk. In den 114 Wohnungen gibt es keinen einzigen Heizkörper. Extrem sorgfältige Wärmedämmung, ein ausgeklügeltes Lüftungssystem und Erdwärme sorgen dafür, dass in diesen Gebäuden nur ein Zehntel der sonst üblichen Energiemenge für Heizung und Warmwasser benötigt wird.

Spartechnologien wie diese sind es, von denen sich nüchterne Experten die größte Unterstützung im Kampf gegen eine Klimakatastrophe erhoffen. Doch helfen können auch diese nur bei raschem Einsatz, wie der britische Ökonom Nicholas Stern errechnete. Maßnahmen zum Klimaschutz, die jetzt ergriffen werden, kosten nur rund ein Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Bleibt dagegen alles beim Alten, könnten die Folgen des Klimawandels laut Stern die Weltwirtschaft mittelfristig um 20 Prozent schrumpfen lassen. „Wir müssen jetzt handeln“, sagt der Wifo-Ökonom Stefan Schleicher, „sonst wird die Geschichte extrem teuer.“

Von Gottfried Derka