Der afoche Mensch

Nachruf Ernst Hinterberger: Der afoche Mensch

Nachruf. Roland Neuwirth zum Tod von Ernst Hinterberger

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Ich kenne keinen Menschen, der so uneitel war wie Ernst Hinterberger. Dabei hätte er sich – als Erfolgsautor – durchaus wichtig machen können. Nicht so der Ernstl. Er hatte keine Flausen, blieb immer bescheiden. Seine 44 Quadratmeter kleine Gemeindewohnung am Margaretengürtel hatte ihm und seiner Frau stets genügt; eine Zeit lang besaßen sie eine Kabine im Gänsehäufelbad – ein Luxus. Die beiden waren Sozialisten vom alten Schlag. „Kleine Leute.“ So nannte er auch eines seiner wichtigsten Bücher.

Seltsam nur, dass Ernst Hinterberger Buddhist war. Ausgerechnet er, als Urwiener. Der Buddhismus hatte ihm wahrscheinlich diese würdevolle Gelassenheit gebracht, die ich heimlich an ihm bewunderte. Ich bin mir sicher, sie ist ihm bis zum Tod im Alter von 80 geblieben. Der Tod beschäftigt ja den Wiener deshalb, weil er Angst hat. Als Genießer fällt es ihm schwer loszulassen. Was wäre beispielsweise ein Wienerlied ohne das Todesmotiv seiner letzten Strophen?

Der Hinterberger hatte was übrig für „unsere Musi“. Dass wir bei der Verleihung des Goldenen Verdienstzeichens der Stadt Wien an ihn spielen mussten, war Ehrensache. Umgekehrt ließ er es sich nicht nehmen, die Laudatio zu halten, wenn ich geehrt wurde. Als Fan meiner Lieder tauchte er immer wieder bei unseren Konzerten auf. Er meinte, der Text, gerade wo es um die vielen Ausdrücke fürs Sterben geht, gefalle ihm so gut. Mein Heimatlied „Jeder Ratz liebt sein Kanäu“ hielt er für die eigentliche Hymne der Wiener. Wir mussten es gleich in einer der ersten Folgen des „Kaisermühlen Blues“ spielen. (An dem Titel der TV-Serie war ich übrigens nicht unschuldig.) Ich sollte auch die Signation beisteuern, sie wurde aber nicht genommen. Dennoch, die Mitwirkung in der Serie hat uns einem breiteren Publikum bekannt gemacht. Dafür bin ich ihm dankbar.

Ich musste bald feststellen, dass Hinterbergers Drehbücher ungleich witziger waren als deren filmische Umsetzungen. Schon bei den „Ein echter Wiener geht nicht unter“-Folgen setzte sich der ORF eigenmächtig über die Vorgaben des Autors hinweg. Ich habe seinen Ärger noch im Ohr: „Was mir am Mundl nie gfalln hat: A Wiener schreit ned so, der Merkatz is ja aus Wiener Neustadt.“ Das wusste ich nicht. Mir gefiel, wie die Rolle angelegt war. Dass gerade durch Karl Merkatz die Serie massentauglich wurde, war für Hinterberger zweitrangig. Ihm ging es um sprachliche Genauigkeit, den richtigen Tonfall. Dem ORF schien das weniger wichtig. Die Typen mussten passen. Jedenfalls hatte es Ingrid Burkhard als Toni Sackbauer, da waren wir uns einig, besonders souverän hingekriegt.

Für einen Dichter hielt er sich nicht. Ein Schriftsteller, Drehbuchschreiber war er und darauf bedacht, Milieu und Figuren möglichst authentisch wiederzugeben. Dem Ernst war es ernst mit den Leuten der sozialen Unterschicht: „Leut erfindn – des könnt i gar ned. Des hätt ja a kan Sinn. Die Typen, die bei mir vorkommen, gibt’s alle wirklich.“ Auf das vulgär-breite Vorstadtwienerisch legte Hinterberger zwar Wert, doch war es ihm nie Selbstzweck. Er sagte: „Die Leut fragn mi immer, warum der Wiener bei mir immer so ordinär daherredt. Aber der afoche Mensch hat ned so a großes Vokabular. Deswegn miassn halt viel Kraftausdrücke herhaltn. Die kriagn dann, je nach Betonung und Situation, a andere Bedeutung.“

Beide aus dem Gemeindebau, haben wir uns auf Anhieb verstanden. Als Sprachfanatiker, als „Blutsbrüder“, als Raucher. Ich erschrak, als ich ihn plötzlich mit umgehängter Sauerstoffflasche sah. Er bemerkte dazu: „I hab ja nur mehr a halbe Lungen. Von der Fabriksarbeit und dem Staub.“ Darauf zog er die Plastikschläuche aus der Nase und zündete sich eine Zigarette an. Ich musste ­lachen. Er aber kam zu dem Schluss: „Wenn mia Lungenkrebs kriagn, kömma wenigstns sagn, mia ham graucht.“ Selbst starker Raucher, war ich fasziniert von seinem Fatalismus. Es imponierte mir jedes Mal aufs Neue, mit welcher Gelassenheit er sein Schicksal hinnahm. „Das Lebn is ja ned wirklich von Bedeutung“, gab er mir zu verstehen. Und wenn der Ernstl das sagte, dann meinte er es auch so.
In Anbetracht all dessen erachtete er es als nebensächlich, welchem Milieu man entstammte. Kleine Leute – na und? Von Belang ist, ob man anständig ist. Seine Herkunft nie verleugnend, immer aufrechten Herzens, ist Ernst Hinterberger der Schutzpatron dieser kleinen Leute. Er hat ihnen Gewicht gegeben, eine Stimme. Weil sie es verdienen, gehört zu werden. Ernst Hinterberger ist ein Großer unter diesen Kleinen. Das bedeutet mehr, als ein Kleiner unter den Großen zu sein. Viel mehr.

Roland Neuwirth, 61, ist Autor, Sänger, Komponist und Gründer der Wienerlied-Band „Extremschrammeln“.