„Deswegen werde ich kein Sozialist”

Erwin Pröll: „Deswegen werde ich kein Sozialist”

Interview. Landeshauptmann Erwin Pröll über koalitionäre Schwächen und eigene Stärken

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Interview: Gernot Bauer

profil: Herr Landeshauptmann, Sie haben sich bereits am Wahlabend für eine Große Koalition ausgesprochen. Den verhandlungstaktischen Spielraum der ÖVP haben Sie damit eingeengt.
Pröll: Ich habe eine Grundsympathie für eine stabile Regierung. Warum sollte ich am Wahlabend etwas anderes sagen, als mir meine politische Erfahrung gezeigt hat? Ich bin aber niemandem gram, wenn er eine andere Konstellation will.

profil: Sie haben der Großen Koalition „ewige Streitereien, gegenseitige Blockade und wenig Fortschritt in der Arbeit“ vorgeworfen. Wissen Sie, wann?
Pröll: Das könnte vor fünf Jahren gewesen sein.

profil: Es war im November 2007. Was macht Sie optimistisch, dass es diesmal besser wird?
Pröll: Ich glaube an die Lernfähigkeit der handelnden Persönlichkeiten. Außerdem hat sich die Ausgangssituation geändert. Ohne eine neue Form des Regierens gibt es keine Mehrheit für ÖVP und SPÖ mehr.

profil: Ist es die letzte Chance für die Koalition?
Pröll: Das ist zu theatralisch. Aber jeder muss wissen, wo der Abgrund beginnt.

profil: Der frühere EU-Kommissar Franz Fischler forderte in der „Tiroler Tageszeitung“ von der Koalition eine Emanzipation vom Duo Erwin Pröll, Michael Häupl. Es könne nicht sein, dass die Landeshauptleute weiterhin als Aufsichtsrat der Bundesregierung agieren würden.
Pröll: Auch er hat ein Recht auf freie Meinung.

profil: Dass Sie und Michael Häupl Teilschuld am Zustand der Koalition tragen würden, sehen Sie nicht?
Pröll: Ich weiß nicht, was Fischler da gemeint hat. Dass er ein Zentralist par excellence ist, weiß man. Daher überrascht mich seine Kritik an Landespolitikern nicht. Er hat ja auch nichts zu verantworten.

profil: Vielleicht meint Fischler ja die Volksbefragung zur Abschaffung der Wehrpflicht, die zunächst Häupl und dann Sie ihren Parteien aufgezwungen haben, jeweils vor Landtagswahlkämpfen.
Pröll: Wie wichtig das Bundesheer ist, hat das Hochwasser gezeigt. Kein ernstzunehmender Politiker hält die Volksbefragung für falsch.

profil: Ist Werner Faymann ein guter Bundeskanzler?
Pröll: Darüber entscheiden in einer Demokratie die Wähler. Das Ergebnis der jüngsten Wahl zeigt, dass es hier Luft nach oben gäbe.

profil: Im Wahlkampf richtete Michael Spindelegger Werner Faymann aus, ihn nicht für einen guten Kanzler zu halten. Und umgekehrt.
Pröll: Zum einen wird in Wahlkämpfen pointierter formuliert. Zum zweiten billige ich beiden zu, dass sie einander besser kennen als ich beide kenne. Schließlich treffen sie ja jede Woche in Regierungssitzungen aufeinander. Wenn beide daher solches meinen, wird es eine Berechtigung haben.

profil: Daraus ist zu schließen, dass Sie Werner Faymann nicht für einen guten Kanzler halten.
Pröll: Daraus kann man schließen, dass ich beiden zubillige, dass sie einander besser kennen als ich beide kenne.

profil: Darin steckt eine subtile Botschaft des Landeshauptmanns.
Pröll: Die profil-Leser werden sich auskennen.

profil: Sie haben in Ihrer Wahlanalyse insofern überrascht, als Sie das Ergebnis der ÖVP gar nicht so übel fanden.
Pröll: In Niederösterreich hatten wir eine Wahlbeteiligung von 81 Prozent. Ein Drittel aller ÖVP-Stimmen kam aus Niederösterreich. Wir haben hier den Abstand zur SPÖ weiter ausgebaut. Das freut mich für Niederösterreich. Was den Bund betrifft, muss man hoffen, dass die Arbeitsmethodik und die Achse zur Bevölkerung besser funktionieren.

profil: Woran lag es?
Pröll: Ich habe keine wissenschaftliche Erklärung, aber es gibt Hinweise. Wo die Wähler ihre Kandidaten persönlich kennen, ist die Wahlbeteiligung deutlich höher. In Niederösterreich kümmern wir uns nicht erst drei Wochen vor der Wahl um die Wähler, sondern schon unmittelbar nach jeder Wahl. Die Bürger wollen durch die politischen Parteien serviciert werden.

profil: Was sollte denn Ihre Partei jetzt tun?
Pröll: Nach jeder Wahl diskutieren wir, die Parteien müssten sich öffnen. Oder sich ein neues Programm geben. Was soll das heißen? Das hieße doch nur, die Grundsätze über Bord zu werfen. Sich öffnen ist eine Stilfrage. Nehmen Sie die niederösterreichische Kulturpolitik. Ideologisch trennen mich etwa von Peter Turrini Welten. Wenn ich ihn aber anrufe und ein gemeinsames Projekt vorschlage, ist er dabei, sofern es ihm zusagt. Deswegen werde ich kein Sozialist und er kein Christdemokrat. Das nenne ich einen offenen Stil.

profil: Gerade die Städte sind aus ÖVP-Sicht Katastrophengebiet.
Pröll: Auch hier differenziere ich. Bei den Landtagswahlen haben tiefrote Städte in Niederösterreich wie Wiener Neustadt, Sankt Pölten oder Amstetten schwarz gewählt. Es ist kein Naturgesetz, dass die ÖVP in Städten schlechter abschneidet.

profil: Sie hatten in Niederösterreich auch keine ernstzunehmenden politischen Gegner. Da kann man leicht punkten.
Pröll: Auch das ist kein Naturgesetz. Jede Stimme, die ich in 21 Jahren als Landeshauptmann erhalten habe, ist von meinem Team erkämpft. Bei uns gibt es keinen Tag, wo nicht mindestens ein Spitzenfunktionär vor Ort bei den Menschen ist. Das ist hart, aber wenn es einfach wäre, bräuchte man uns nicht.

profil: Vor den niederösterreichischen Landtagswahlen im März sagte Ihr Landesgeschäftsführer wörtlich, wer Erwin Pröll angreife, greife das Land an. Das grenzt an Hybris.
Pröll: Das war eine pointierte Formulierung im Wahlkampf. Faktum ist, dass jemand, der über 20 Jahre für das Land arbeitet, auch gekannt wird.

profil: Man darf also Erwin Pröll kritisieren und Niederösterreich schätzen.
Pröll: Das Land Niederösterreich hat sich auch ohne Erwin Pröll entwickelt. Und es wird nicht stehen bleiben, wenn es den Erwin Pröll eines Tages nicht mehr gibt. Ich identifiziere mich mit Niederösterreich. Daher empört mich auch der Umgang von Bundesbehörden mit der Hypo Bank Niederösterreich dermaßen. Was in der Finanzmarktaufsicht verbrochen wurde, spottet jeder Beschreibung.

profil: Die FMA hat die Hypo 2011 wegen nach ihrer Auslegung rechtswidriger Großveranlagungen zu einer Strafzahlung von 58 Millionen Euro verdonnert. Der Verwaltungsgerichtshof hat diesen Bescheid vor zwei Wochen zwar aufgehoben. Die FMA wird aber voraussichtlich einen neuen Bescheid mit anderer Begründung, aber gleich hoher Strafe ausstellen.
Pröll: Das ist ein letzter Versuch eines Gegenangriffs, um eine Kette von schweren Verfehlungen zu verschleiern. Von den beiden verantwortlichen Geschäftsführern ist der eine, Kurt Pribil, mittlerweile in der Nationalbank, der andere, Helmut Ettl, noch in der FMA. Da besteht dringender Handlungsbedarf. Die beiden haben dem österreichischen Finanzmarkt und der Hypo mit dieser völlig verfehlten und rechtswidrigen Entscheidung schweren Schaden zugefügt. Soweit ich informiert bin, prüft die Bank nun Schadenersatzansprüche gegenüber der FMA. Ich erwarte mir, dass das zuständige Finanzministerium prüft, ob die beiden Herren in derart verantwortungsvollen Positionen noch tragbar sind.

profil: Sie fordern also deren Rücktritt.
Pröll: Ich erwarte mir, dass die amtierende Finanzministerin rasch handelt und diese Schwachstellen rasch beseitigt.

profil: Würden Sie Ihrem Parteiobmann Michael Spindelegger raten, nächster Finanzminister zu sein?
Pröll: Der Vizekanzler braucht von mir keinen Rat. Er bekommt das Pouvoir für eventuelle Koalitionsverhandlungen und für Personalentscheidungen.

profil: Geht es nach den ÖVP-Landeshauptleuten von Vorarlberg, Tirol und Salzburg, könnte die Volkspartei bei diesen Verhandlungen im Streit um die Gesamtschule gegenüber der SPÖ nachgiebiger sein.
Pröll: Wer Richtung Gesamtschule marschiert, schafft das Gymnasium ab. In Niederösterreich bevormunden wir Eltern nicht, weder in der Wahl der Schulform noch in der Frage der Ganztagsbetreuung. Wir haben den Bedarf erheben lassen. Wer Ganztagsbetreuung benötigt, bekommt sie garantiert. 80 Prozent der Eltern in Niederösterreich wollen aber keine zwangsweise Nachmittagsbetreuung. Ich sehe hier einen gesellschaftspolitischen Aspekt. Je intensiver Kinder in ein Korsett gesteckt werden, umso mehr werden sie von einer eigenen Freizeitgestaltung entwöhnt. Damit gehen Eigeninitiative und Freiwilligkeit verloren. Je intensiver man Zwang ausübt, umso geringer wird die Bereitschaft der zukünftigen Erwachsenen sein, sich in Freiwilligen-Organisationen zu engagieren.

profil: Damit setzen Sie den propagandistischen Vorwurf Ihrer Partei aus dem Wahlkampf fort, die SPÖ würde eine Art Zwangsbetreuung der Kinder nach früheren Ostblockmethoden einführen wollen.
Pröll: Ich werfe niemandem etwas vor. Ich skizziere meine Überlegungen, die sich mit Teilen der Bundes-ÖVP decken. Ich erwarte mir, dass meine Meinung toleriert wird, so wie ich auch andere Meinungen toleriere.

profil: Gerade Ihnen wird oft vorgeworfen, andere Meinungen nicht zu tolerieren. Die scheidende Unterrichtsministerin Claudia Schmied und die frühere Landeshauptfrau Gabi Burgstaller nannten Sie deswegen einen Macho.
Pröll: Es ist symptomatisch, dass die beiden sich in dieser Diktion finden.

profil: Mit dieser Formulierung rechtfertigen Sie eigentlich den Macho-Vorwurf.
Pröll: Dazu brauche ich nichts mehr zu sagen. Beide Damen sind Geschichte.

profil: Welche der folgenden Personen könnten Sie sich wie schon 2010 auch 2016 als Kandidat der Volkspartei für die Bundespräsidentenwahl vorstellen: Ex-Nationalratspräsident Andreas Khol, den früheren Rechnungshofpräsidenten Franz Fiedler, Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl?
Pröll: Diese Frage ist an den Bundesparteiobmann zu richten.

profil: Fehlen Sie nicht in der Liste?
Pröll: Ich wurde vor einem halben Jahr mit einem überzeugenden Votum zum niederösterreichischen Landeshauptmann gewählt. Bis 2018. Damit bin ich ausgefüllt. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Foto: Sebastian Reich für profil