Erwin Schrott. Bizeps und Belcanto

Netrebkos Verlobter singt in Salzburg

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Die Gattung Oper lässt die Muskeln spielen: Wo immer der Südamerikaner Erwin Schrott im vergangenen Jahr die Bühne betrat, baten ihn die Regisseure, seinen gut gebauten Oberkörper frei zu machen. 2007 zeigte der Sänger seinen trainierten Torso beispielsweise in Los Angeles, Washington und am Londoner Covent Garden: Wenn Schrott Arien stemmt, strotzt die Tonkunst vor Testosteron.
Praktischerweise ist das Opernrepertoire mit Erotomanen gespickt: Mozarts Don Giovanni, der berühmteste Schwerenöter der Musikgeschichte, brüstet sich gar mit 2065 Eroberungen. Die Rolle des lüsternen Potenzprotzes ist Schrotts Spezialität: Seit er sie 2003 zum ersten Mal gesungen hat, ist die Partie das Prunkstück in seinem Repertoire.

Er geht laufen, er geht ins Fitnessstudio, er schwimmt regelmäßig seine Längen: Erwin Schrott, geboren 1972 in Uruguay, ist die Sportskanone unter den Opernsängern. Das Ergebnis blieb von seinen Fans nicht unbemerkt: Als „Barihunk“ wird er in englischsprachigen Blogs bezeichnet – der Bariton als kraftstrotzender Adonis. Der „Daily Telegraph“ lobt Schrotts „straffe Muskeln“, selbst die dis­tinguierte „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schwärmt vom „knackigen Latin Lover“.

Verführer. Gutes Aussehen zählt längst nicht mehr nur in Hollywood, sondern lässt auch in der Hochkultur die Kassen klingeln: Das Londoner Edel-Label Decca bringt dieser Tage Schrotts erste Arien-CD auf den Markt. Am Cover erscheint der Sänger als Idealbild des Verführers: mit vollen Lippen, glutvollen braunen Augen und dunk­lem, dichtem Haar. Ein erstklassiges Orchester oder einen namhaften Dirigenten hat Decca dem Sänger freilich noch nicht spendiert. Ihn begleitet das städtische Orches­ter von Valencia, am Pult steht ein gewisser Riccardo Frizza. Die CD, so scheint es, ist ein kostenoptimierter Testlauf.

Dabei sind diesen Sommer alle Augen auf den Bariton gerichtet: Schrott wird bei den Salzburger Festspielen in Mozarts „Don Giovanni“ die Rolle des gewitzten Dieners Leporello singen. Im Premierenpublikum wird auch Anna Netrebko sitzen: Die erfolgreichste Operndiva der Welt ist mit Erwin Schrott verlobt. Im Herbst erwartet die Russin ein Kind von ihm.
Die Liaison machte Schrott vergangenen Winter über Nacht international bekannt. Nun steht Schrott vor einer ungewöhnlichen Herausforderung: Er muss der Opernwelt beweisen, dass sein Bekanntheitsgrad auch künstlerisch gerechtfertigt ist.

Doch keine Angst: Schrotts voluminöser, sinnlicher Bariton ist von hoher Qualität. „Einen hämischeren, verführerischeren, witzigeren und launenhafteren Don Giovanni als Erwin Schrott habe ich noch nie gesehen“, streute ihm die „New York ­Times“ Rosen. Schrotts neue Arien-CD belegt: Unheimlicher als er kann man Verdis düstere Banco-Arie („Macbeth“) nicht singen, Mozarts „Figaro“ scheint ihm auf den Leib geschrieben.

Zum ersten Mal auf einer Bühne stand Schrott im Alter von acht Jahren: In Puccinis „Tosca“ gab er den Statisten. „In diesem Moment ist etwas mit mir passiert“, erinnert sich Schrott: Er wurde die Begeisterung für die Gattung Oper nicht mehr los. Doch dann brach in den achtziger Jahren die Wirtschaft von Uruguay zusammen, und Schrotts Familie rutschte in die Armut ab. Der Elfjährige wusch in den Straßen von Montevideo Autos, putzte Schuhe und jobbte als Verkäufer. Schrotts Biografie ist die Geschichte eines Außenseiters, der über kein Geld, kaum Ausbildung und keine Privilegien verfügte, aber es dennoch zu Lehrern nach Italien, zum Vorsingen bei Placido Domingo und schließlich 1998 zum renommierten Operalia-Wettbewerb nach Hamburg schaffte, wo er den ersten Preis gewann.

Mit seinem Debüt bei den Salzburger Festspielen ist Schrott nun im Epizentrum der Klassikwelt angelangt. Er besteht darauf, kein Sexsymbol und kein Marketingprodukt, sondern ein Kämpfer zu sein. „Die Oper ist kein Schönheitswettbewerb. Der einzige wirkliche Vorteil für einen Sänger besteht darin, eine schöne Stimme zu haben und zu wissen, wie man mit ihr Gefühle und Farben vermitteln kann.“
Claus Guth, der Regisseur des Salzburger „Don Giovanni“, hat bereits verraten, Schrott nicht als Latin Lover in Szene setzen zu wollen. Ob er sein Kos­tüm also diesmal anbehalten dürfe? „Ja“, schmunzelt Guth. „Zumindest die meiste Zeit."

Von Peter Schneeberger