Markus Rogan über 8 Jahre USA

„Es ist schön, an gar nichts zu denken“

Österreichs derzeit bester Schwimmer über sein Ziel

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profil: Nach den zwei Titeln bei der Europameisterschaft erwarten die Österreicher jetzt eine Olympiamedaille von Ihnen. Sie selbst haben die Stimmung noch angeheizt, indem Sie erklärten, dass der Einzug ins Finale Ihnen nicht reichen würde. War es gescheit, sich so viel Druck zu machen?
Rogan: Ja, auf jeden Fall. Ich bin jemand, der mit Druck viel mehr machen kann als ohne. Druck ist ja nichts anderes als die Erwartung von jemand anderem. Wenn mir jemand sagt, du kannst das, dann gibt mir das eine Bestätigung, dass es nicht nur ein Traum ist, sondern möglich.
profil: Das heißt, je mehr Leute glauben, dass Sie eine Medaille gewinnen werden, umso realistischer wird es auch für Sie?
Rogan: Ja, genau.
profil: Der Amerikaner Aaron Peirsol, Favorit über 200 Meter Rücken, hat vor vier Wochen einen neuen Weltrekord aufgestellt, der fast drei Sekunden unter Ihrer eigenen Bestleistung liegt. Irritiert Sie das nicht?
Rogan: Nein, ich kenne Aaron gut, und bei ihm ist es öfter so, dass er sehr früh schon sehr stark ist. Natürlich ist er der haushohe Favorit und auf der Strecke seit vier Jahren ungeschlagen. Aber Gold ist mir nicht so wichtig. Bei den Olympischen Spielen in Sydney war ich 27., wenn ich diesmal Fünfter werde, freu ich mich auch.
profil: Auch vor Sydney waren Sie sehr selbstbewusst. Hat der Totalabsturz damals ein Trauma hinterlassen?
Rogan: Auf jeden Fall, vor allem ein Trauma fürs Ego. Ich bin hingekommen, hab mir gedacht: Wow, jetzt werde ich alle niederreißen. Und dann haben die anderen mich niedergerissen. Das war eine irrsinnige Enttäuschung.
profil: Kann das diesmal nicht auch passieren?
Rogan: Nein, das glaube ich nicht. 2000 habe ich mich zu wenig auf den Wettkampf konzentriert, ich war viel zu stark abgelenkt durch das Drumherum von Olympia. Aber in Wirklichkeit ist es ein Wettkampf wie jeder andere.
profil: Wie lässt es sich eigentlich erklären, dass bei einem Sport wie Schwimmen, der völlig ohne Geräte auskommt, jedes Jahr neue Weltrekorde aufgestellt werden? Eigentlich sollte man denken, der menschliche Körper hat irgendwo seine Grenzen.
Rogan: Das liegt auch an der Erwartungshaltung. Als zum ersten Mal jemand die hundert Meter unter zehn Sekunden gelaufen ist, konnten es plötzlich ein paar andere auch. Man kann ja immer noch mehr trainieren, man lernt von den anderen, und vor allem hat man gesehen, dass es möglich ist. Ich glaube, Schwimmen ist noch lange nicht ausgereizt, es ist kein so erwachsener Sport wie die Leichtathletik, wo die Leistungsgrenze beinahe erreicht wurde. Ein weiterer Grund für die Rekorde ist, dass es für den Sport immer mehr Geld gibt. Deshalb wird die Organisation kommerzieller, es kommen mehr Talente rein, und die Leistungen werden besser.
profil: Der australische Olympiasieger Ian Thorpe hat vor kurzem kritisiert, dass es bei den Schwimmern zu wenig Dopingkontrollen gibt. Stimmen Sie ihm zu?
Rogan: Ja, sicher, es kann gar nicht genug Kontrollen geben. Meiner Erfahrung nach finden sie sehr unregelmäßig statt. In manchen Wochen werde ich zweimal kontrolliert und dann wieder lange überhaupt nicht.
profil: Rechnen Sie damit, dass in Athen wieder ein paar Dopingsünder erwischt werden?
Rogan: Ich glaube eigentlich, dass Schwimmen sauberer ist als viele andere Sportarten. Und ich vertraue darauf, dass meine Kollegen fair bleiben.
profil: Sie schwimmen im Training rund 70 Kilometer pro Woche. Für den Laien hört sich das nach einer schrecklichen Plagerei an. Die Verlockung, mit Chemie ein wenig nachzuhelfen, muss doch enorm sein.
Rogan: Sicher, es ist verlockend. Ich habe einmal eine Studie gelesen, wonach ungefähr 50 Prozent aller Spitzensportler eine Droge einnehmen würden, die ihnen hilft, in den nächsten fünf Jahren alle Wettkämpfe zu gewinnen, auch wenn sie nachher daran sterben könnten.
profil: Halten Sie das Ergebnis für glaubwürdig?
Rogan: Das war vielleicht eine skurrile Studie. Aber ich glaube schon, dass manche den Sport zu ernst nehmen. Und Doping wird es immer geben. Vor allem weil man durch Doping viel mehr verdienen kann als durch Dopingkontrollen. Das heißt, die Doper werden den Kontrolloren immer voraus sein.
profil: Was geht Ihnen durch den Kopf, während Sie Ihre 70 Kilometer abspulen?
Rogan: Manchmal ist es irrsinnig schön, an gar nichts zu denken. Als ich auf der Uni gerade schwere Arbeiten vor mir hatte und voll im Stress war, war es toll, ins Becken zu hüpfen und nichts mehr zu denken. Und manchmal, wenn ich persönliche Probleme habe, komme ich beim Schwimmen auf watscheneinfache Lösungen.
profil: Zum Beispiel?
Rogan: Als Kind ist mir im Becken einmal klar geworden, dass ein Ehestreit zwischen meinen Eltern nicht meine Schuld war, wie ich gedacht hatte. Aber meistens geht es um banale Dinge, wie ich zum Beispiel mein Wochenende organisieren soll und Ähnliches.
profil: Die österreichische Läuferin Steffi Graf hat während ihrer aktiven Karriere oft über die Schmerzen im Training geklagt und über die geringe Lebensqualität eines Sportlers. Kennen Sie dieses Gefühl, vor der Schinderei regelrecht Angst zu haben?
Rogan: Nein, da muss ich nur vergleichen: Freunde von mir, die gerade mit der Uni fertig geworden sind, arbeiten jetzt 80, 90 Stunden in der Woche. Ich trainiere, wenn es sehr viel ist, 30, 35 Stunden. Ich sehe es mehr so, dass ich trainieren darf, es mir leisten kann und keine Verpflichtungen habe, die mich davon abhalten. Schwer ist manchmal nur, dass ich am Freitagabend früh ins Bett gehen muss, wenn andere unterwegs sind.
profil: Sie haben die vergangenen acht Jahre in den USA verbracht und zuletzt an der kalifornischen Eliteuniversität Stanford studiert. Fühlt es sich nicht seltsam an, jetzt für Österreich bei den Olympischen Spielen anzutreten – also für ein Land, das Ihnen doch ziemlich fremd geworden sein muss?
Rogan: Es ist mir nicht fremd geworden. Meine Eltern und Geschwister wohnen hier, ich war im Schnitt drei Monate pro Jahr in Wien, und einige meiner besten Freunde sind Österreicher. Vielleicht identifiziere ich mich sogar mehr mit Österreich und mit dem kitschigen Patriotismus, weil ich eine Zeit lang nicht da war.
profil: Und wie sind Sie mit dem amerikanischen Patriotismus zurecht gekommen?
Rogan: Also der ist vollkommen übertrieben. Da sind auch manche meiner Freundschaften auf der Strecke geblieben, weil ich diesen zum Teil blinden Patriotismus nicht aushalte. Sogar Intellektuelle sagen oft von sich, dass sie zwar eigentlich wissen, dass manches blödsinnig ist, was Amerika tut, sie aber trotzdem ihr Land unterstützen müssen. Nach dem 11. September 2001 ist das natürlich noch viel schlimmer geworden, weil die Regierung es ja richtig gepusht hat.
profil: Sie haben einmal gesagt, man müsse aufpassen, dass man in Amerika seinen Charme nicht verliert. Worin besteht die Gefahr?
Rogan: Die Amerikaner sind auf der einen Seite irrsinnig prüde, auf der anderen Seite haben sie dieses Bullshit-Konzept, dass sie am liebsten nur ganz locker miteinander scherzen. Auf die Dauer ist das ein bisschen fad. Wenn man zu viel Smalltalk macht, vergisst man, wie man eine richtige Unterhaltung führt. Das macht, glaube ich, den Wiener Charme aus, dass man mit wenigen Sätzen in ein richtiges Gespräch fallen kann, was in Amerika sehr schwer geht.
profil: 2002 haben Sie in Stanford den so genannten Al Masters Award bekommen – als bester Student und bester Sportler eines Jahrgangs. Sind Sie der Typ Musterknabe?
Rogan: Ich bin zunächst einmal sehr eitel, das treibt mich an. Das andere ist, dass mir Schwimmen eine tolle Struktur im Leben gibt, die das Studieren einfacher gemacht hat. Ich habe durch den Sport gelernt, mir meine Zeit einzuteilen und Deadlines einzuhalten. Aber so besonders waren meine Noten auch nicht. Manchmal habe ich mich wirklich dumm gefühlt im Vergleich zu anderen Genies dort. Der Award wird für die Kombination zwischen Sport und Studium vergeben. Und ich habe halt zufällig in dem Jahr den besten Schnitt der Sportler gehabt und war amerikanischer Meister im Schwimmen.
profil: Sie haben in Stanford unter anderem „International Relations“ studiert, sich also zumindest am Rande mit Politik beschäftigt. Wenn Sie in Amerika wählen dürften: Würden Sie für George Bush votieren oder für John Kerry?
Rogan: Oh, das ist schwierig. Im Moment tendiere ich in Richtung Kerry. Er ist der geborene Politiker und imponiert mir schon. Bush dagegen ist mehr der Cowboy, der von Außenpolitik wirklich keine Ahnung hat. Dafür hat er wirtschaftlich ein paar ganz gute Sachen gemacht.
profil: Sie haben angekündigt, dass Sie Ihre Karriere beenden wollen, wenn die Olympischen Spiele mit einer Niederlage enden, also wenn Sie nicht einmal das Finale erreichen. Bleiben Sie dabei?
Rogan: Ja, wozu soll ich mich abrackern, wenn es nichts bringt? Das Schwimmen macht mir Spaß, weil ich den Bewegungsablauf mag und die Ruhe im Wasser. Aber das harte Training muss ich für mich durch Siege und Höchstleistungen rechtfertigen. Wenn ich merke, dass ich die Fähigkeit zu tollen Leistungen nicht mehr habe, dann höre ich auf.
profil: Vor ganz wichtigen Wettkämpfen schwören Sie angeblich auf eine Ganzkörperrasur. Hilft das wirklich, oder hat es mehr den Charakter eines Rituals?
Rogan: Das machen eigentlich alle Schwimmer. Es geht aber nicht um die Haare, die vom Gewicht her natürlich nichts bringen, sondern um die Haut. Direkt nach dem Rasieren ist die Haut leicht gereizt und man hat mehr Gefühl für das Wasser. Ich spüre dann viel besser, wo ich gerade im Wasser bin und welcher Körperteil was macht.
profil: In den Medien wird derzeit das österreichische Schwimmwunder gefeiert. Wie viel Anteil hat Österreich wirklich an Ihren Erfolgen?
Rogan: Ich finde das überhaupt interessant. Mirna Jukic hat kroatische Eltern, Maxim Podoprigora ist unter anderem wegen der Tschernobyl-Katastrophe hierher gekommen, ich bin ein amerikanischer Student, und wir drei sind das österreichische Schwimmwunder. Ich habe bis vor kurzem in Amerika trainiert, da konnte der österreichische Verband nicht sehr viel beitragen. Aber Österreich hat schon einen Anteil, indem es die perfekte Plattform für uns Schwimmer bietet. Die Leute sind beim Sommersport ganz ausgehungert nach Stars, weil es zu wenige gibt. Für uns sind sämtliche Türen offen, sie tragen uns alles nach, und wir bekommen jede Unterstützung. Es ist auch ein schönes Gefühl, auf einmal wichtig zu sein. Ich glaube, das gefällt jedem, obwohl es natürlich absurd ist, dass man wichtig ist, nur weil man schnell hin und her schwimmt.
profil: Sollte es bei Olympia nicht klappen, wird die Zuneigung schnell wieder weg sein.
Rogan: Ja, das ist vollkommen klar. Ich schimpfe ja auch über die Fußballer, wenn sie schlecht spielen, und freue mich, wenn sie gut sind. Das ist das Gesetz des Sports, das muss man akzeptieren. Leute, die jammern, dass sie auf einmal weniger Freunde haben, wenn sie schlecht sind, hängen einer Illusion nach.
profil: Wie viel haben Sie schon mit dem Schwimmen verdient?
Rogan: Ich kann mich nicht beklagen.
profil: Als Stanford-Student durften Sie ja keinen Sponsor haben. Mussten Sie von den Preisgeldern leben?
Rogan: Nein, Preisgelder durfte ich bisher auch nicht nehmen. Aber das Schwimmen hat mir zum Stipendium in Stanford verholfen, das waren 160.000 Dollar. Außerdem gab es Geld von der Sporthilfe und der Topsportförderung. Und jetzt hab ich eine Basis gelegt, dass ich in Zukunft gut verdienen kann. Aber ums Geld geht es ohnehin nicht.
profil: Mirna Jukic steht seit kurzem bei Wüstenrot unter Vertrag. Haben Sie schon einen Sponsor gefunden?
Rogan: Ich habe mehrere Angebote, werde aber noch nichts unterschreiben. Mein Marktwert kann sich bei Olympia zu stark ändern.
profil: Zum Beispiel könnte er sinken.
Rogan: Ich habe mir das durchgerechnet: Sinken kann er um, ich weiß nicht, zehn oder 20 Prozent. Das Risiko gehe ich ein, denn steigen kann er um 200 Prozent.
profil: Wollen Sie jetzt in Österreich bleiben?
Rogan: Ja, bis auf weiteres. Ich kenne keine Stadt, die schöner ist als Wien. Vor allem der Winter in Wien ist wirklich toll.
profil: Finden Sie? Die meisten Wiener sehen das anders und wären im Winter lieber in Kalifornien.
Rogan: Das hatte ich lange genug. Ich freue mich schon auf einen richtigen Schneesturm.