„Es macht vielen Angst …“

David Rowan, britischer Chefredakteur des renommierten Technologie-Magazins „Wired“ im Interview

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Interview: Rudi Klausnitzer

profil: Wie sieht der digitale Alltag des „Wired“-Chefredakteurs aus?
Rowan: Die „Runkeeper“-Applikation auf meinem iPhone sagt mir bei meinem täglichen Jogginglauf ins Büro, wie weit ich gelaufen bin und wie lange ich für jeden Kilometer gebraucht habe. Im Büro schaue ich mir dann via Tweetdeck an, was die Menschen über unser Magazin und unsere Themen zu sagen haben. Ich habe zwei Mobiltelefone, ein iPhone und ein Nexus 1, das Google-Phone. Dafür sehe ich nicht viel fern, und wenn, dann eher online. Ab und zu spiele ich mit der Xbox, aber dabei muss mir mein neunjähriger Sohn helfen. Der ist da viel geschickter als ich.

profil:
Sie haben drei Kinder, die alle schon als „digital natives“ zur Welt kamen. Wie sieht Ihre digitale Erziehungsstrategie aus?
Rowan: Meine zwölfjährige Tochter lebt ihr Leben mit Facebook. Man kann nicht alles kontrollieren, was die eigenen Kinder online machen. Man kann nur versuchen, ihnen bewusst zu machen, was ihre Aktivitäten bewirken. Meine Zwölfjährige weiß aber sehr wohl, dass ich ihre Internetaktivitäten bis zu einem gewissen Maß nachvollziehen kann. Ich habe nichts dagegen, dass sie mit ihren Freunden kommuniziert, sehr wohl aber, dass sie Fotos von sich hochlädt.

profil:
Trägt die Schule dazu bei, den richtigen Umgang mit den digitalen Medien zu lernen?
Rowan: Ich glaube, dass den meisten Lehrern nicht bewusst ist, wie viele Informationen unsere Kinder online von sich preisgeben und wie schnell das von der Gewohnheit zur Sucht werden kann. Wenn du 15 bist und Partyfotos für Freunde ins Netz stellst, ist das vielleicht lustig. Wenn du 20 oder 25 bist und dich um einen Job bewirbst, stehen die Fotos aber noch immer im Netz. Und wenn du 30 oder 40 bist und vielleicht ein öffentliches Amt oder einen Top-Job anstrebst, kannst du sie nicht einfach löschen. Das ist dann schon weniger lustig.

profil:
Besonders junge Menschen nützen das Internet als primäre Informations- und Wissensquelle. Führt das zu einer Verflachung unseres Wissens?
Rowan: Ganz im Gegenteil. Noch nie hatten wir so viele Quellen und Wissenstools zur Verfügung. Aber das funktioniert natürlich nur, wenn wir unseren Kindern zeigen, wie man diese Möglichkeiten effektiv nutzt und wie man den Unterschied zwischen seriösen Quellen und kommerziell motivierten Angeboten erkennt.

profil:
Wie klassifizieren Sie die Macht der Suchmaschine Google?
Rowan: Google hat uns fantastische Innovationen gebracht, aber das Ausmaß an Daten, das sie über jeden von uns zur Verfügung haben, ist enorm. Es macht vielen Angst, wenn ein einzelnes privates Unternehmen weiß, wo wir sind, was wir denken und wie das Haus aussieht, in dem wir wohnen. Google erklärt, dass solche Daten für sie völlig uninteressant seien und nur dazu dienen, den Suchalgorithmus zu verbessern.

profil:
Glauben Sie das?
Rowan: Google ist ein Unternehmen von hervorragenden Ingenieuren, die gewohnt sind, sehr rational zu denken. Aber die Öffentlichkeit reagiert eben emotional und entsprechend besorgt darüber, was mit persönlichen Daten geschieht oder geschehen könnte. Auch ich mache mir Sorgen, wenn meine Daten in der Hand eines einzelnen privaten Unternehmens sind, das keiner öffentlichen Kontrolle unterliegt.

profil:
Welche Rolle wird das mobile Internet in Zukunft spielen?
Rowan: Es ist erstaunlich, mit welcher Geschwindigkeit sich das mobile Internet und die damit verbundene Welt der Applikationen entwickelt und wie viel Geld im Augenblick in diesen Bereich fließt. In einem eigentlich gesättigten Markt werden plötzlich Milliarden nur in Software investiert. Aber irgendwas in unserem mobilen Konsumationsverhalten bringt uns offenbar dazu, uns diesbezüglich stärker zu engagieren und dabei auch mehr Geld auszugeben.

profil:
Wird damit die Gratis-Kultur des klassischen Internets verschwinden?
Rowan:
Die Leute sind es gewohnt, dass im Internet alles gratis ist. Aber für mobile Anwendungen zahlen sie. Der britische Musikdienst Spotify ist ein gutes Beispiel. Auf einmal sind viele Menschen bereit, zehn Pfund pro Monat dafür zu zahlen, Musik am Handy zu haben. Im mobilen Zustand gibt man leichter Geld aus.

profil:
Sehen Sie darin eine Chance für klassische Medien?
Rowan: Definitiv, aber es hat natürlich auch seine Risken. Der „Guardian“ hat für drei Euro eine Applikation mit einer Mobilversion seiner Homepage angeboten. Diese Applikation wurde von mehr als 100.000 Leuten erworben – auch von mir. Allerdings habe ich seither kein Bedürfnis mehr verspürt, die Printausgabe zu kaufen.

profil:
Einige Medienmoguln wie Rupert Murdoch oder Matthias Döpfner vom Springer Verlag wollen ihre Inhalte im Internet nur mehr gegen Bezahlung freigeben. Kann das funktionieren?
Rowan: Ich glaube nicht, dass das funktioniert, und ich glaube nicht einmal, dass sie es wirklich versuchen werden. Es wird immer jemanden geben, der die Inhalte gratis verteilt.

profil:
Können sich Politiker der digitalen Welt noch entziehen?
Rowan: Politiker wollen und müssen mit ihren potenziellen Wählern in Kontakt stehen. Und wenn diese potenziellen Wähler mehrere Stunden am Tag online und in sozialen Netzwerken verbringen, werden sie das wohl nicht vermeiden können.

profil:
Sie sind am Puls der neuen Entwicklungen. Was sind die nächsten Schritte?
Rowan: Es ist faszinierend, was bereits alles möglich ist, etwa wenn man sich künstliche Intelligenzen oder Stimmerkennungssoftware ansieht. Ich spreche mit meinen Geräten, und in acht von zehn Fällen verstehen sie mich auch. Erst vergangene Woche habe ich Microsofts neue Spielkonsole ausprobiert, die meine Bewegungen erkennt, ohne dass ich dafür noch ein Controller-Gerät bei mir tragen muss. Sie reagiert auf meine gesprochenen Kommandos, ich kann mit den Personen im Spiel sprechen und die virtuellen Personen mit mir. Aber noch sind diese Dinge nicht reif für das breite Publikum. Der Science-Fiction-Autor William Gibson hat es einmal so formuliert: „Die Zukunft ist schon da, sie ist nur ungleich verteilt.“

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David Rowan

Nach Engagements als Kolumnist und Redakteur der Londoner Qualitätsblätter „Times“ und „Guardian“ (sowie deren Websites) verantwortete Rowan im April 2009 den Start der britischen Ausgabe des Technik- und Digital-Lifestyle-Magazins „Wired“. Neben seiner Tätigkeit als Chefredakteur von „Wired UK“ reist Rowan als gefragter Vortragender um die Welt. Kommende Woche eröffnet er den Media & Lifestyle Summit im Zürserhof am Arlberg, bei dem unter anderem die Österreich-Chefs von Google und Apple, der Telekom, die Geschäftsführer der Verlagsgruppe News, des „Kurier“ und des „Zeit“-Verlags über die Auswirkungen des mobilen Internets auf klassische Medien und Marken diskutieren.