"Es kann auch das Standesamt sein"

"Es kann auch das Standesamt sein": Bundespräsident Heinz Fischer im Interview

Bundespräsident Heinz Fischer im Interview

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Interview: Christian Rainer

profil: Herr Bundespräsident, drei Tage nachdem wir dieses Interview geführt haben, fliegen Sie nach Kuwait und Katar. Der durchschnittliche Staatsbürger vermutet hinter diesen Namen wahrscheinlich Joghurtsorten. Warum ist diese Reise in die beiden winzigen Emirate so wichtig?
Fischer: Sie sind klein an Fläche, aber riesig, was ihre Energiequellen Öl und Gas betrifft – und politisch sehr einflussreich. Wir verbinden mit dieser Reise daher vor allem zwei Ziele: erstens politische Gespräche zu führen und die aktuellen Themen im Nahen und Mittleren Osten zu erörtern und zweitens die wirtschaftlichen Beziehungen auszubauen. Das Interesse an wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit diesen Staaten ist größer denn je.

profil: Sie sprechen indirekt den Nahostkonflikt an, der auch im Zentrum Ihrer Reise nach Israel und in die besetzten Gebiete im Dezember 2008 stand.
Fischer: Seit dem Besuch in Israel hat es diese schrecklichen Militäraktionen in Gaza gegeben, es hat ein neuer US-Präsident sein Amt angetreten mit offensichtlich interessanten Ansätzen, was seine Nahostpolitik betrifft, es gab Wahlen in Israel, die die politischen Kräfteverhältnisse verändert haben, und es hat auch interessante Äußerungen von arabischer Seite gegeben.

profil: Sie sprechen wörtlich von „schrecklichen Militäraktionen“. Das Verhältnis der Toten, die hier zu beklagen sind, ist ein sehr ungleichgewichtiges – wenige israelische Soldaten und Zivilisten und sehr viele Palästinenser. Müsste nicht Israel angesichts seiner relativen zivilisatorischen Entwicklung eher militärisch Maß gehalten haben, also müsste das Verhältnis nicht ein umgekehrtes sein?
Fischer: In erster Linie sollte es überhaupt keine kriegerischen Auseinandersetzungen geben, und ich werde nicht müde zu sagen, dass man solche Probleme letzten Endes nur durch Verhandlungen lösen kann. Ich hätte mir auch kein umgekehrtes Opferverhältnis gewünscht. Die beiden Fixpunkte für mich sind: Israel hat das Recht, sich gegen die Raketenangriffe der Hamas zu verteidigen, aber es gilt auch im internationalen Recht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Vim vi repellere licet – man darf Gewalt mit Gewalt zurückweisen, aber eben mit angemessener.

profil: Und die Angemessenheit war nicht gegeben?
Fischer: Die Tatsache, dass UNO-Einrichtungen zerstört wurden und dass schrecklich viele Frauen und Kinder unter den Opfern sind, hat mich geschockt und wurde auch in den Gremien der EU sehr kritisch beurteilt.

profil: Also waren die militärischen Maßnahmen Israels unangemessen?
Fischer: Meine Meinung ist, dass hier eine Opferbilanz vorliegt, die nicht nur tragisch ist, sondern auch die Stimmung in der arabischen Welt in einer Weise beeinflusst, die dem Friedensprozess nicht förderlich sein kann.

profil: Können Sie für uns das grundlegende Problem des Nahostkonflikts in zwei Sätzen zusammenfassen?
Fischer: Das jüdische Volk, das in den letzten Jahrhunderten in Europa sehr viel gelitten hat, hat dann den historisch interessanten und sogar einmaligen Versuch gemacht, sich eine neue Heimat zu schaffen, in einer Region, wo das jüdische Volk vor 2000 Jahren schon einmal eine Heimat hatte und mit anderen Völkern zusammenlebte. Diese Rückkehr in ein altes jüdisches Siedlungsgebiet war mit einer Verdrängung von sehr vielen Palästinensern verbunden. Daraus resultierte ein Konflikt, der mit der Härte eines Bürgerkrieges geführt wird und bis heute kein Ende gefunden hat.

profil: Ist diese Landnahme durch den Zionismus ein ewiges Problem, oder wird die Erinnerung in zwei, drei Generationen verschwinden?
Fischer: Zunächst muss man dem Wort „Landnahme“ natürlich auch hinzufügen, dass der Holocaust dabei eine ganz besondere Rolle spielt.

profil: Nur die Palästinenser können nichts dafür. Sie haben sich daran nicht beteiligt.
Fischer: Der Holocaust spielt für die Israelis eine besondere Rolle. Gleichzeitig ist das Ganze auch für unschuldige palästinensische Flüchtlinge mit vielen Tragödien verbunden. Aber ich glaube, dass man jeden Konflikt letztlich lösen kann, wenn man ihn lösen will. Es gab ja in letzter Zeit schon Phasen, in denen man meinte, sehr nahe an einer friedlichen Lösung dran zu sein, und im letzten Moment treten neue Probleme auf, gibt es Rückschläge, sodass bisher ein Bild erweckt wurde wie in der Sisyphus-Sage: Der Stein wird immer bis fast hinauf gewälzt und stürzt dann doch wieder hinunter.

profil: Sie haben den Konnex zwischen Holocaust und Rückkehr in die alte Heimat genannt. Mir fiel der Zusammenhang besonders stark in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem auf, die wir gemeinsam besucht haben. Dort wird betont, dass Überlebende der Shoah im Unabhängigkeitskrieg kämpften und der Holocaust direkt zur Gründung Israels führen musste.
Fischer: Tatsache ist aber, dass in dem Friedensvorschlag der Arabischen Liga die Bereitschaft zur Anerkennung der Existenz Israels enthalten ist, also die Existenz Israels innerhalb der Grenzen von 1967 von führenden arabischen Ländern und von der Arabischen Liga anerkannt wird, unter bestimmten Voraussetzungen, deren wichtigste die Anerkennung des Existenzrechtes eines palästinensischen Staates ist. Das heißt, wir sind insofern schon ziemlich weit, als die schreckliche Leidensgeschichte des jüdischen Volks im 20. Jahrhundert, die Shoah, unbestritten ist, die Existenz Israels in den Grenzen von 1967 für die arabischen Staaten akzeptabel ist und jetzt noch der dritte Schritt notwendig ist, nämlich für die Palästinenser auch Gerechtigkeit zu schaffen und einen lebensfähigen palästinensischen Staat zu ermöglichen. Tragisch ist, dass in letzter Zeit noch eine Schwierigkeit dazugekommen ist, die sich die Palästinenser leider selber geschaffen haben, nämlich in Form des Konfliktes zwischen Hamas und Fatah.

profil: Sie bereisen zwei Länder, die man in keiner Weise als Demokratie bezeichnen kann. Ist es für das Staatsoberhaupt der Republik Österreich nicht problematisch, mit so einem Staatsbesuch – erlauben Sie mir den Ausdruck – Diktaturen zu beehren und zu legitimieren?
Fischer: Ich hätte ein Problem, wenn zum Beispiel in unserem Kulturkreis eine Demokratie gestürzt würde. Die Entwicklung in Kuwait und Katar weist hingegen deutliche Fortschritte auf, was Präsident Sarkozy erst vor wenigen Tagen ausdrücklich hervorgehoben hat.

profil: Italien mit einem Berlusconi auf Lebenszeit würden Sie nicht besuchen?
Fischer: Vielleicht würde ich irgendwo in Venedig oder in Florenz Halt machen. Aber im Ernst: Die Entwicklung in Kuwait und Katar geht in die richtige Richtung. Diese Staaten haben ja erst zu Beginn der sechziger Jahre ihre Unabhängigkeit erreicht, waren Zivilisationen, die auf Nomadentum und Stammestraditionen beruhten, haben sich in unglaublich raschem Tempo entwickelt und organisiert.

profil: Die Gesellschafts- und Politikformen der islamischen Staaten färben aber umgekehrt auf Österreich ab. Vor einigen Wochen wurde eine Umfrage publik, wonach die islamischen Religionslehrer nicht allzu viel von Demokratie halten, und vor einigen Tagen wurde einer dieser Lehrer suspendiert. Ist die Zuwanderung aus Ländern mit islamischer Bevölkerung eine Bedrohung der europäischen Aufklärung?
Fischer: Man darf nicht sagen: „die islamischen Religionslehrer“. Auch nach dieser Umfrage trifft das auf eine große Mehrheit der islamischen Religionslehrer nicht zu. Man muss das Problem aber dennoch ernst nehmen. Ich mache hier der Unterrichtsministerin das Kompliment, dass sie die gesetzliche und verfassungsgesetzlich verankerte Schulaufsicht sofort wahrgenommen und konkret rea­giert hat. Sie hat damit auch ein Symbol gesetzt, und das lautet: Wir betrachten Zuwanderung per se nicht als eine Bedrohung. Österreich, unser Gesellschaftsmodell und unsere Grundwerte sind stark und stabil. Aber unsere Gesetze müssen akzeptiert und eingehalten werden.

profil: Die Möglichkeiten des österreichischen Staates hängen am Religionsunterrichtsgesetz aus dem Jahr 1949. Ist es die Aufgabe eines laizistischen Staates im Jahr 2009, Religionslehrer zu kontrollieren und die Infrastruktur für den Religionsunterricht zur Verfügung zu stellen?
Fischer: Das Religionsunterrichtsgesetz hat ja eine Vorgeschichte, nämlich die Grund- und Freiheitsrechte in Österreich, das Staatsgrundgesetz vom Jahr 1867 und das dann folgende Gesetz über die Religionsfreiheit und die damit verbundene staatliche Aufsicht im Unterricht. Das sind sehr alte und bewährte Regelungen. Und die sagen, Österreich ist ein Land, in dem es Glaubens- und Gewissensfreiheit gibt. Es kann unterschiedliche Religionen geben, die unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich anerkannt werden.

profil: Ist es legitim, eine Diskussion über diese Frage zu führen?
Fischer: Eine Diskussion zu führen ist natürlich legitim. Ich selbst bekenne mich zu diesem System des Religionsunterrichts. Ich war unglücklich mit Phänomenen wie Kardinal Groer. Ich war im Dissens mit der katholischen Kirche zum Thema Fristenlösung, und ich war betroffen, als der in Aussicht genommene Weihbischof Wagner die Fristenregelung als „mörderisches Gesetz“ bezeichnet hat, nur weil es keine Strafen für den Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten vorsieht. Aber ich habe kein Problem mit der Tatsache, dass es Religionsunterricht gibt, der einer staatlichen Aufsicht unterliegt.

profil: Es gibt Aufruhr in der katholischen Kirche, es gab eine Art Streik gegen den von Ihnen genannten Pfarrer Gerhard Maria Wagner. Es erscheint verwunderlich, dass man gegen den Nachfolger Petri rebellieren darf – und das mit Erfolg.
Fischer: Ich habe die Diskussionen der letzten Wochen genau verfolgt. Offenbar gibt es ein großes Interesse an den innerkirchlichen Vorgängen und auch ein großes Engagement bei bestimmten Themen, das ja auch positiv gesehen werden kann. Aber Sie werden verstehen, dass ich mich da nicht weiter einmische.

profil: Was sagen Sie zu dem Satz „Homosexualität ist heilbar“?
Fischer: Homosexualität ist natürlich keine Krankheit. Dazu möchte ich mit aller Deutlichkeit sagen: Ich wünsche mir, dass wir auch in Österreich die konstruktiven Diskussionen der letzten Jahre fortsetzen und mit konkreten Entscheidungen und Beschlüssen abschließen, und zwar dahingehend, dass die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen definitiv beendet wird.

profil: Inkludiert das die Eheschließung im Standesamt?
Fischer: Das inkludiert eine Formalisierung vor den zuständigen Behörden. Es kann auch das Standesamt sein. Es gibt aus meiner Sicht kein gewichtiges Argument, diesen Wunsch nicht zu erfüllen.

profil: Sie bezeichnen sich als Agnostiker und nicht als Atheisten. Was ist für Sie persönlich der Unterschied?
Fischer: Ein gläubiger Mensch vermeint, für sich die Existenz eines Gottes beweisen zu können. Ein Atheist vermeint, beweisen zu können, dass es kein höheres Wesen gibt. Und ein Agnostiker ist jemand, der meint, dass letzte exakte wissenschaftliche Sicherheit in diesem Bereich nicht erzielbar ist. Das habe ich einst manchmal mit Bruno Kreisky diskutiert, der sich ja auch als Agnostiker bezeichnet hat.

profil: Sie halten es also für möglich, dass wir beide einander und auch Bruno Kreisky in 50 Jahren wiedersehen?
Fischer: Ich kann Ihnen nicht beweisen, dass das unmöglich ist, und Ihnen auch keine Sicherheit verschaffen, dass es so sein wird.
profil: Die kürzere Perspektive: Wo werden wir in einem Jahr sein? Wird die Welt durch die Wirtschaftskrise völlig anders aussehen?
Fischer: Ich denke, dass wir langsam und im wachsenden Maße mehr Klarheit gewinnen, wie die Welt in einem Jahr ausschauen wird: Wir sind im Laufe des vergangenen Jahres in eine tief reichende globale Finanz- und Wirtschaftskrise geraten. Die Weltwirtschaft wird im Jahr 2009 sehr nahe bei einem Nullwachstum liegen, es wird einige Regionen geben, die noch Wachstumsraten haben, aber auf sehr reduziertem Niveau. Und die europäischen Staaten werden 2009 mit einem Minuswachstum in der Größenordnung von etwa zwei Prozent existieren müssen.

profil: Und Österreich?
Fischer: Die Prognose für Österreich ist etwas günstiger, liegt aber auch im Minusbereich, und das ist eine sehr ernste Situation. Aber es gibt keinen Grund, jetzt Katastrophentheorien aufzustellen und daran zu zweifeln, dass wir uns eine gut entwickelte Volkswirtschaft aufgebaut haben. Es wird sehr schwierig werden, wir werden uns anstrengen müssen, aber Österreich und Europa werden die Trendwende schaffen.