"Es bleibt eine schmerzliche Wunde"

"Es bleibt eine schmerzliche Wunde": profil im Gespräch mit Kardinal Schönborn

profil im Gespräch mit Kardinal Schönborn

Drucken

Schriftgröße

profil: Herr Kardinal, Sie sind seit dreizehn Jahren im Amt, und das ist – trotz vieler Anfragen – das erste profil-Interview. Warum haben Sie uns immer abgesagt?
Schönborn: Sie haben damals diese Geschichte über meinen Vorgänger Kardinal Groer gebracht. Das war für mich der Grund, Ihnen kein Interview zu geben, weil ich das aus Loyalität meinem Vorgänger gegenüber – bei aller Kritik, die man haben kann – für richtig gehalten habe.

profil: Unsere Darstellung war ja korrekt. Es ist in der Causa Groer nie zu einer ­Entgegnung oder einem medienrechtlichen Verfahren gekommen.
Schönborn: Das ist auch nie angestrebt worden.

profil: Damit ist diese Geschichte ausgeräumt?
Schönborn: Es bleibt eine schmerzliche Wunde. Mir wäre lieber gewesen, es wäre auch von kirchlicher Seite besser gelungen, die Sache offen und klar zu behandeln. Aber Verstorbene haben das Recht, dass man auch das Gute, das sie getan haben, hervorhebt. Und mein Vorgänger hat sehr viel Gutes getan.

profil: Glauben Sie, dass die Medien die Kirche oft missverstehen?
Schönborn: Viele unserer Kernanliegen sind provokant, weil man Dinge aus der Glaubensperspektive anders sieht als aus einer glaubensfernen Perspektive. Ich bin immer wieder verwundert zu sehen, dass viele Menschen sehr negative Eindrücke und Vorurteile gegenüber der Kirche haben. Ich selbst habe das Glück, das Gute und Schöne und Starke an der Kirche im Vordergrund zu sehen. Ohne mir allerdings Illusionen zu machen, dass sie auch sehr menschliche Seiten hat. Ich habe Barbara Stöckl in unserem Interview-Buch am Schluss gesagt, dass ich froh bin, dass die Kirche nicht eine Kirche der Vollkommenen ist, denn auf diese Weise habe auch ich einen Platz in ihr.

profil: Das ist sehr demütig.
Schönborn: Das ist sehr realistisch.

profil: Sie haben im März in einer Rede Kritik an den österreichischen Bischöfen des Jahres 1968 geübt, weil die der Anti­babypillen-Enzyklika des Papstes eher dis­tanziert gegenübergestanden sind. Das sei einer der Gründe für die niedrige Geburtenrate, argumentierten Sie. Wäre die höher, hätten die Bischöfe das damals anders gesehen?
Schönborn: Ich erinnere an den Kernsatz meiner Rede: Hätten wir Bischöfe damals gewusst, was wir heute wissen, hätten wir wohl anders formuliert.

profil: Sie selbst waren ja nicht dabei.
Schönborn: Ich meine das im Sinne der ­Solidarität der Bischöfe. Wir sehen heute viele Dinge anders, kritischer als vor 40 Jahren. Wir wissen heute, dass Paul VI. prophetisch gesehen hat, dass mit der Entkopplung von Sexualität und Lebensweitergabe Gefahren auf uns zukommen. Eine dieser Gefahren ist die dramatische demografische Entwicklung in Europa. Dass heute eine immer schmäler werdende junge Generation eine immer größer werdende ältere Generation erhalten wird müssen.

profil: Gäbe es weniger Empfängnisverhütung, gäbe es sicher mehr Kinder. Aber wären das glückliche Kinder in glücklichen Familien?
Schönborn: Natürlich gibt es in der Familie auch alle Dramen des menschlichen Lebens – Missbrauch, Unterdrückung, Gewalt, Eifersucht, Neid. Trotzdem ist sie das Basisnetzwerk der Solidarität, ohne das eine Gesellschaft nicht leben kann.

profil: Die Leute haben auch Sex, ohne dabei Kinder zeugen zu wollen. Das wird ihnen die Kirche nicht ausreden können.
Schönborn: Die Kirche will überzeugen zum „Ja zum Leben“. Jeder von uns stellt sich die Frage: Was macht mein Leben wertvoll? Dazu sind zweifellos Kinder ein ganz wesentliches Element. Und Österreich gehört zu den Ländern, in denen die Kinderfreundlichkeit entwicklungsbedürftig ist.

profil: Sie haben in der schon zitierten Rede auch gemeint, eine Art „Homo-Ehe“ würde dazu beitragen, dass die Geburtenraten weiter sinken. Aber homosexuelle Paare kriegen keine Kinder, ob sie jetzt in einer Ehe leben oder nicht.
Schönborn: Das stimmt. Deshalb sagen wir auch von kirchlicher Seite: Bitte reden wir nicht von Ehe, wo es nicht um eine Ehe geht. Dass auch solche Partnerschaften zivilrechtlich ihre Absicherung verdienen, verstehe ich, aber dazu brauchen wir nicht die Symbolik einer so genannten Homo-Ehe.

profil: Soll dieser Pakt am Standesamt geschlossen werden?
Schönborn: Wir haben sehr dafür plädiert, dass solche Abmachungen zivilrechtlich abgesichert werden sollen, also beim Notar und nicht beim Standesamt.

profil: Laut einer profil-Umfrage von dieser Woche sagen nur zwölf Prozent, die Kirche soll bei Fragen der Sexualmoral mehr mitreden, 81 Prozent sind dagegen. Zeigt das nicht, dass die Menschen selbst entscheiden wollen?
Schönborn: Jeder muss selbst entscheiden. Die Frage ist: Woran orientiere ich meine Gewissensentscheidung? Wie gehe ich mit meiner Verantwortung um, auch für die nächste Generation? Professor Zulehner hat eine interessante Statistik veröffentlicht: Daraus ersehen wir, dass unsere Sonntagskirchgänger eine durchschnittliche Kinderzahl von 2,66 haben. Das ist weit über dem, was notwendig ist, um den Bevölkerungsstand zu halten. Ich habe mich sehr über diese Zahl gefreut. Sie ist ein gutes Zeichen.

profil: Praktizierende Katholiken folgen Ihren Appellen, aber die werden immer weniger.
Schönborn: Aber sie haben eine erfreulich hohe Kinderzahl.

profil: Das gibt Ihnen Hoffnung, dass auch die Zahl der Gläubigen wieder steigt?
Schönborn: Das hoffe ich natürlich.

profil: Sie betonen immer wieder – etwa bei der Frage des Zölibats –, die Kirche müsse zeigen, dass Grenzen zu ziehen sind. Aber Grenzen werden immer wieder neu gezogen. Ist die Kirche nicht zu furchtsam im Ziehen neuer Grenzen?
Schönborn: Grenzen ermöglichen erst Kontur. Ein menschlicher Körper, der nicht begrenzt ist, ist kein menschlicher Körper. Die katholische Kirche hat eine sehr ausdrückliche Gestalt, und in einer Zeit, in der so vieles diffus und dem Diktat des Relativismus unterworfen ist, ist die katholische Kirche auch etwas Widerständiges. Brauchen wir nicht Instanzen in unserer Gesellschaft, die gegen den Mainstream widerständig sind und Überzeugungen vertreten, die minoritär sind? Ich halte es für sehr viel gefährlicher, wenn man sich konturlos jeder Modeströmung hingibt.

profil: Diese Gefahr besteht bei der katholischen Kirche ja wirklich nicht.
Schönborn: Das ist ja auch gut so. Wie oft wird zum Beispiel von gewissen Kreisen die Caritas kritisiert. Aber sie ist ein wesentlicher Teil der Kirche, weil sie beharrlich und lästig auf Fragen der Gerechtigkeit und der Solidarität hinweist. Sie ist widerständig.

profil: 2005 ist in der „New York Times“ ein viel beachteter und viel kritisierter Artikel von Ihnen zum Thema Darwin und die Evolution erschienen. Wie kam es dazu?
Schönborn: Ich habe mich sehr über diese Möglichkeit gefreut. Wer freut sich nicht, wenn er in einem Blatt wie der „New York Times“ einen Artikel unterbringt? Dieser Artikel hat eine enorme Debatte ausgelöst und mir viel Kritik eingebracht, aber diese Debatte war gut.

profil: Sie haben darin sinngemäß argumentiert, die Arten hätten sich durchaus so wie von Darwin dargestellt entwickelt, aber Gott habe dabei die Regie geführt.
Schönborn: Ich habe gesagt, die von Darwin begründete wissenschaftliche Evolutionstheorie könne sehr viele gute Gründe für sich anführen. Auf naturwissenschaftlicher Ebene gibt es keine wirkliche alternative Theorie dazu. Aber ich lehne die ideologische Ausweitung des Modells Evolution ab. Man hat ja versucht, damit alles zu erklären, das Entstehen der Ethik und der Religion zum Beispiel. Natürlich gibt es biologische Entstehungsbedingungen für die Vernunft, für das Ethos, selbst für die Religion. Aber zu behaupten, man habe das Phänomen Religion damit erklärt, ist ein Fehlschluss.

profil: Sie argumentierten auch, es sei kein Zufall, dass sich die Kette vom Einzeller bis zum Menschen so entwickelt hat. Es gebe eine lenkende Hand Gottes. Naturwissenschafter sehen das anders.
Schönborn: Sicher nicht alle! Kann das alles Zufall sein? Der Präsident der Akademie der Wissenschaften und Professor für theoretische Chemie Peter Schuster hat in seinem Vortrag vor dem Papst gesagt: Das Leben auf unserem Planeten und seine Höherentwicklung bis zur Entstehung des Geistes ist auf einem unwahrscheinlich schmalen Grat entstanden: „Durch eine nicht kleine Zahl von Nadelöhren.“ Wäre etwa nur eine kleine thermische Gegebenheit anders gewesen, gäbe es bis heute kein Leben. Das ist für Professor Schuster ein Faktum, das den Gedanken an einen Schöpfer sehr nahelegt.

profil: Sie gehen damit von einer gottgewollten Privilegiertheit unseres Planeten und des Menschen aus. Wenn einmal irgendwo im All intelligentes Leben gefunden wird – bricht dann Ihr Gedankengebäude zusammen?
Schönborn: Nein, dann sind wir immer noch die wunderbar privilegierten Menschen, die über all das nachdenken können. Es ist doch wohl angebracht, auch die Intelligenz dessen anzuerkennen, der unsere Intelligenz geschaffen hat und der es uns ermöglicht, die Werke seiner Intelligenz in der Natur zu entziffern und immer tiefer in sie vorzudringen und immer mehr zu staunen und dafür dankbar zu sein, dass es diese Schöpfung gibt.

profil: Es gibt jetzt in Genf diesen Teilchenbeschleuniger, der versucht, den Urknall zu simulieren und vielleicht sogar einen Schritt vor den Urknall zu gehen. Begrüßen Sie solche Versuche?
Schönborn: Bei so großen Experimenten fragt sich, ob die Kosten verantwortbar sind angesichts der Probleme, die wir auf der Welt haben. Aber diese Frage könnte man bei den Rüstungsausgaben noch viel berechtigter stellen. Dass die menschliche Intelligenz das Bedürfnis hat herauszufinden, was die Welt im Innersten zusammenhält, das finde ich großartig!

profil: Lässt das nicht immer weniger Raum für den Glauben?
Schönborn: Im Gegenteil. Ich habe noch nie eine wissenschaftliche Entdeckung kennen gelernt, die meinen Glauben vermindert hätte. Mein Staunen über die Natur hat mit jeder Entdeckung zugenommen. Gott ist mir größer geworden durch alles, was ich durch die Wissenschaft erfahren habe.

profil: Die Religion ist doch gegenüber der Wissenschaft auf dem Rückzug. Noch vor hundert Jahren haben die Menschen geglaubt, die Schöpfung habe bloß sechs Tage gedauert und dann seien Adam und Eva dagestanden.
Schönborn: Stört uns das, dass wir wissen, dass dieses grandiose Werk in Millionen, Milliarden Jahren entstanden ist? Das hat uns doch den Schöpfer nicht kleiner gemacht. Das hat ihn uns größer gemacht. Was wussten die Menschen zur Zeit, als die Bibel aufgeschrieben wurde, über das, was wir heute das Genom nennen? Das ist doch faszinierend.

profil: Halten Sie es für vorstellbar, dass die Naturwissenschaft bei einem ihrer Versuche plötzlich zur Entdeckung kommt: Hoppla, da steht ja der liebe Gott!
Schönborn: Mit den Mitteln der Naturwissenschaft werden wir immer nur noch genauer die Konstitution der Materie erforschen können. Die Frage, woher das alles kommt, warum das alles da ist und wohin das Ganze führt – die wird mir die Naturwissenschaft nicht beantworten können. Das ist auch nicht ihre Aufgabe.

profil: Gott wird sich der Wissenschaft immer verborgen halten?
Schönborn: Gott wird sich dem Naturwissenschafter nur dort zeigen, wo dieser selbst staunt und sich die Frage stellt: Was sagt mir das, was ist der Sinn meines Lebens? Das ist der Ort, wo dann die Gottesfrage auch zu einer Antwort werden kann.

Interview: Herbert Lackner

Christoph Schönborn, 64
Der Kardinal entstammt einem deutschen Adelsgeschlecht, wuchs in Schruns (Vorarlberg) auf und trat 1963 in den Dominikanerorden ein. Theologie studierte Schönborn in Paris, Wien und Regensburg (dort bei Professor Joseph Ratzinger). Ab 1975 lehrte er in Freiburg (Schweiz). 1991 ernannte Papst Johannes Paul II. Schönborn zum Weihbischof, 1995 folgte er Hans Hermann Groer als Erzbischof von Wien und ein Jahr später auch als Kardinal nach.