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EU: Feuer und Ähnliches

Feuer und Ähnliches

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Der Kommissionspräsident hatte seine Gelassenheit schnell wieder gefunden. „Die haben das wohl ironisch gemeint“, witzelte Romano Prodi, nachdem eine Paketbombe in seiner Wohnung in Bologna in einer Stichflamme aufgegangen war. Anlass für Prodis Bemerkung war die Tatsache, dass die mysteriösen Bombenbauer dem italienischen Ex-Premier ein Buch von Gabriele d’Annunzio (1863– 1938) beigelegt hatten. Der Schriftsteller mit Hang zum Nationalschwulst wird bekanntlich eher von Kreisen geschätzt, die den Faschisten nahe stehen.

Derweil haben die Brüsseler Politiker ihren Sinn für Sarkasmus verloren. Sieben explosive Sendungen sind innerhalb von elf Tagen bei europäischen Institutionen eingegangen – zuletzt bei drei EU-Parlamentariern.

In einem Bekennerschreiben brüstet sich eine bisher unbekannte „Informelle Anarchistische Föderation“ (FAI) als Urheberin der Aktionen. Zwar waren die Bomben recht unprofessionell zusammengebastelt worden – doch zumindest schwere Körperverletzungen wären durchaus möglich gewesen. Jetzt soll eine Task-Force von Ermittlern aus Griechenland, Holland, Italien, Spanien, Deutschland, Frankreich und Belgien Jagd auf die Anarchos machen.

Die italienischen Behörden verdächtigen Ultraradikale, die sich von anarchistischen Sekten abgespalten hätten. Dafür spricht, dass die mysteriöse „informelle“ FAI das Kürzel der „Anarchistischen Föderation Italiens“, einer radikal antiautoritären, aber strikt gewaltfreien Gruppe, plagiiert hat.

In ihrem Bekennerschreiben stoßen die Aktivisten wüste Verwünschungen aus, gegen die „ökonomischen und militärischen/repressiven“ Praktiken eines europäischen Superstaates, gegen „Kerkersystem“ und „hemmungslosen Imperialismus“. Vorrangig gehe es den Attentätern darum, Aufsehen zu erregen, meint der zuständige italienische Staatsanwalt Enrico di Nicola: „Sie haben damit ihr Ziel wohl erreicht.“

Verschwörungen. Nebenbei haben die Bombenbauer auch in globalisierungskritischen Kreisen tiefe Verwirrung ausgelöst. Dass Aktivisten am radikalen Rand der Bewegung vom Protest zum Terrorismus übergingen, will man hier nicht recht glauben. Die Bomben seien wahrscheinlich von Rechtsradikalen oder gar der Geheimpolizei abgeschickt worden, um die Linken im Allgemeinen und die Gegner Silvio Berlusconis im Besonderen zu diskreditieren – so die beinahe einhellige Meinung im antiglobalistischen Milieu. Schon in den siebziger Jahren sei es gängige Übung der italienischen Rechten und der Geheimdienste gewesen, Anschläge zu verüben, „die linken und anarchistischen Gruppen in die Schuhe geschoben“ wurden, wird jetzt in „Indymedia“, dem globalen Internet-Netzwerk der Globalisierungskritiker, argumentiert.

Tatsächlich haben die Machenschaften der italienischen Geheimdienste in Zeiten des Kalten Krieges Anhängern von Verschwörungstheorien viel Material geliefert. Berüchtigt wurde die Vorgehensweise unter dem Begriff „strategia della tensione“ („Strategie der Spannung“). 1969 war sie erstmals praktiziert worden. Damals forderte ein Anschlag auf die Nationale Landwirtschaftsbank in Mailand 17 Tote. Später stellte sich heraus, dass er von Rechtsradikalen und Geheimdienstlern verübt wurde, um die Notwendigkeit eines starken Staates zu unterstreichen.

Rechte Kreise verschworen sich in der Geheimorganisation „Propaganda 2“ (P2) gegen eine Regierungsbeteiligung der Kommunisten. Linksradikale Gruppen, auch die terroristischen Roten Brigaden, waren von Geheimdienstkräften durchsetzt – und, wie viele glauben, sogar gesteuert. Bis heute hält sich hartnäckig die Theorie, die Entführung und Ermordung des christdemokratischen Premierministers Aldo Moro im Frühling 1978 sei von dessen innerparteilichen Gegnern inszeniert worden, um den „historischen Kompromiss“ – eine Koalition von Christdemokraten und Kommunisten – zu verhindern.

Anarcho-Insurrektionalisten. Bis weit ins linksliberale Lager herrscht in Italien auch heute die Überzeugung vor, dass der Staat solchen Praktiken im Grunde nie abgeschworen habe. Schon als im Vorfeld der militanten Proteste der Globalisierungskritiker in Genua im Sommer 2001 mehrere Bomben auftauchten (ein Carabinieri wurde beim Öffnen einer Paketbombe sogar schwer verletzt), kursierten düstere Gerüchte: „Immer wenn in Italien eine Bewegung wächst, die die Frage nach einer Veränderung im Land stellt, gibt es Bomben, oder es schießt jemand. Die Strategie, Spannung zu erzeugen, ist eine Konstante im italienischen politischen System, das durch die undurchsichtige Rolle der Geheimdienste noch komplizierter wird“, meinte aus diesem Anlass Gianfranco Bettin, ein führender Grünen-Politiker und Vizebürgermeister von Venedig.

Zuletzt haben sich die explosiven Sendungen wieder gehäuft. So wurde im November ein römischer Polizist beim Öffnen der Post schwer verletzt. Wenig später wurden Sprengsätze in einer Polizeistation in Viterbo entdeckt – eine Neuauflage der „Strategie der Spannung“, sind jetzt viele überzeugt.

Sie werden bestärkt durch den Verweis auf die Adressaten der jüngsten Briefbombenserie: Der Linkskatholik Romano Prodi, der als innenpolitischer Herausforderer Silvio Berlusconis gilt, sei wahrlich kein „natürliches“ Ziel für linken Terrorismus. Nur vereinzelt werden Stimmen aus dem Anti-Berlusconi-Lager laut, die anmerken, der feste Glaube, Linke wären zu solch gefährlichem Blödsinn nicht fähig, beweise „entweder Naivität oder Borniertheit“.

Ganz unwahrscheinlich ist es jedenfalls nicht, dass die gefährliche Post von durchgeknallten Anarchos verschickt wurde. In Kreisen junger Globalisierungskritiker in Italien hat in den vergangenen Jahren ein Prozess der Radikalisierung eingesetzt. Auf die Proteste in Genua vor zwei Jahren reagierte die Polizei mit großer Härte. Immer wieder machten in der Folge „Anarcho-Insurrektionalisten“ von sich reden, die für Gegenangriffe auf „das System“ plädierten und auch mit viel Häme über die friedfertige Linie des globalisierungskritischen Mainstreams herzogen. Dem Sprecher des Genueser „Sozialforums“ wurden gar zwei Pistolenkugeln geschickt – zur Warnung.

So finden zwar regelmäßig Polizeirazzien bei Initiativen statt, in deren Mitte gefährliche Anarchisten vermutet werden. Doch Täter zu überführen ist bisher noch nicht gelungen.

Auch jetzt wird vollmundig behauptet, man kenne die Namen von 25 Verdächtigen. Eine „Euroopposizione“ habe sich gebildet, die horizontal vernetzt, aber untereinander unabhängig agiere, doziert etwa Innenminister Beppe Pisanu. Möglich sei auch, dass sich links- und rechtsradikale Wirrköpfe in ihrer Euro-Kritik zusammengefunden hätten; eine Kooperation mit sardischen Separatisten wird sogar für wahrscheinlich gehalten.

Fantasienamen. Eine der Teilorganisationen von „Euroopposizione“ sei die FAI, die selbst wieder aus vielen Untergruppen besteht: aus der „Kooperative Feuer & Ähnliches (gelegentlich Spektakuläres)“ etwa oder den „Fünf C“ („Zellen gegen Kapital, Kerker, Kerkermeister und Haftzellen“) – Fantasienamen, die in der Regel nur einmal auftauchen, wenn irgendwo mal wieder ein Brandsatz hoch- und ein Bekennerschreiben eingeht.