EU-Geldpolitik

EU-Geldpolitik: Das Ende des Höhenfluges

Das Ende des Höhenfluges

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Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl sitzt im Kleinbus von Tel Aviv nach Jerusalem und liest. Wir schreiben den 27. Februar 2004. Leitl ist nach Israel gefahren, um den bilateralen Handel anzukurbeln. Der Blattaufmacher der „Financial Times Deutschland“ fesselt seine Aufmerksamkeit: „Jetzt kämpft auch der Schröder dafür, dass die Europäische Zentralbank endlich die Zinsen senkt“, meint er begeistert und hält gleich ein engagiertes Referat, warum die Wirtschaft dringend niedrigere Zinsen braucht.

Österreichs Kammerchef hat die Zentralbanker in Frankfurt schon mehrfach öffentlich zum Handeln aufgefordert. Seit auch der deutsche Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, Frankreichs Ministerpräsident Jean-Pierre Raffarin, der Chef der EU-Kommission, Romano Prodi, und nun auch der deutsche Kanzler Gerhard Schröder den Zinssenkungs-Chor prominent verstärken, schöpft Leitl ernsthaft Hoffnung: „Ich könnte mir vorstellen, dass Präsident Jean-Claude Trichet eine weniger rigorose Zinspolitik im Sinn hat als sein Vorgänger Wim Duisenberg“, sagt er.

Doch Leitl verkennt den Franzosen an der Spitze der EU-Zentralbank (EZB). Zurufe von Politikern, die den Notenbanken sagen wollen, was an der Zinsfront Not tut, mag er ebenso wenig wie der Holländer mit dem charakteristischen weißen Haarschopf. Wenn Politiker allzu laut etwas fordern, stellt die EZB sich gern taub – schon um ihre Unabhängigkeit zu beweisen.

Enttäuschung. Wenig überraschend beschloss der Zentralbankrat in Frankfurt am 4. März, den Euro-Leitzins von zwei Prozent unverändert zu belassen. Dass die US-Zentralbank mit einem Dollar-Leitzins von nur einem Prozent den verschuldeten Wirtschaftsunternehmen das Leben etwas leichter macht, konnte den Rat nicht beeindrucken. Mancher Politiker, der eine Zinssenkung verlangt hatte, ging daraufhin schulterzuckend wieder zur Tagesordnung über. Christoph Leitl ärgerte sich.

Ob eine Zinssenkung mehr als bloß symbolische Wirkung gehabt hätte, ob dadurch ein spürbarer Nachfrageschub innerhalb des Euro-Raums ausgelöst worden wäre, wird von Experten freilich bezweifelt. Angesichts der labilen und stark von psychologischen Faktoren abhängigen Konjunkturentwicklung wäre eine Leitzinssenkung jedoch mit Sicherheit als belebendes Signal gut angekommen. Dem Euro-Höhenflug hätte sie tendenziell entgegengewirkt.

In der letzten Februarwoche, als eine österreichische Delegation potenzieller Israel-Exporteure durch das (Dollar-dominierte) Heilige Land reiste, hatten neue Gerüchte den Euro-Dollar-Wechselkurs in heftige Schwankungen versetzt. Die Fama wollte nicht nur von Zinssenkung, sondern auch von bevorstehenden Interventionen der EZB am Devisenmarkt wissen: Frankfurt, hieß es, werde durch Dollar-Käufe in Milliardenhöhe dem rasanten Ansteigen des Euro-Kurses endlich entgegenwirken und damit der europäischen Exportwirtschaft auf die Sprünge helfen.

Fama. Ganz gegen den mittelfristigen Trend legte der Dollar nach diesen Gerüchten zu, mit anderen Worten, die Gerüchte wurden auf dem Finanzmarkt ernst genommen. Die Interventionen, an welche die EU-Währungshüter in Wahrheit entweder gar nie gedacht oder von denen sie letztlich doch Abstand genommen hatten (die EZB hält sich in dieser Frage bedeckt), fanden jedoch anderswo statt: Tokios Zentralbank hatte schon im Vorjahr rund hundert Milliarden Dollar in den Markt gepumpt, um den Yen niedrig zu halten. Heuer schob sie zu diesem Zweck angeblich schon 30 Milliarden Dollar nach.

Die Bemühungen der Japaner, ihre Exportwirtschaft auf diese Weise zu stärken, dürften freilich bald an Grenzen stoßen: Trotz aller Interventionen steigt der Yen nach und nach mit dem Euro mit.

In der Direktoriums-Etage der EZB in Frankfurt sitzt Chefökonom Otmar Issing und deutet – für einen Notenbanker typisch – bloß kryptisch an, in welche Richtung die Überlegungen der EZB gehen. Dass sie hohe Amplituden bei den Wechselkursschwankungen nicht schätzt, hat die Bank sowohl den Amerikanern als auch den europäischen Politikern deutlich signalisiert. Im profil-Interview stellt Issing klar, dass er das heurige Kursniveau (zunächst 1,25 Dollar/Euro plus/minus zwei Cent, zuletzt 1,22 Dollar) als eine Art Plafond betrachtet und nicht weiter angehoben sehen möchte. Die große Frage dabei ist allerdings, bis zu welchem Euro-Niveau die EZB das Geschehen noch tatenlos, wenngleich immer missmutiger, beobachten und ab welchem sie zu Taten schreiten wird.

Das ist insofern von Bedeutung, als sich die Märkte durch bloße Äußerungen von Zentralbank-Repräsentanten anfangs durchaus beeindrucken lassen und diesen Äußerungen gemäß reagieren. Wenn allerdings der Eindruck entsteht, es mangle der EZB an der nötigen Entschlusskraft, dann wird das verbale Instrument bald stumpf.

Issing hat deshalb allen Grund, seine Worte auf die Goldwaage zu legen.