Ein Fall für Swoboda

Mord in England: Ein Fall für Hannes Swoboda

Großbritannien. Schlammschlacht um einen Mord in England

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Von Tessa Szyszkowitz, London

Am 20. Oktober gegen elf Uhr Abend trat eine Gruppe von Litauern in Maidstone, der Hauptstadt der Grafschaft Kent, die Tür zu einer Kleinwohnung über dem italienischen Restaurant „Vesuvius“ ein und prügelte Joele Leotta, einen 20-jährigen Italiener, zu Tode. Dessen Freund Alex Galbiati überlebte mit schweren Verletzungen. Die vier mutmaßlichen Haupttäter stammen aus Litauen: Aleksandras Zuravliovas, 26, Tomas Gelezinis, 30, Saulius Tamoliunas, 23, und Linas Zidonis, 21 wurden des Mordes angeklagt. So weit, so schrecklich.

Dann aber löste das Verbrechen auch noch eine politische Schlammschlacht zwischen Brüssel und London aus. Als Erster meldete sich der Österreicher Hannes Swoboda, Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, zu Wort. Er stellte eine Kausalkette her, die vom politischen Mitbewerber stracks zum Tatort führte, und zwar so: „Das xenophobe und aggressive Klima, angeheizt von Populisten der UKIP und gefördert von der Rhetorik der Konservativen in der Regierung führt zum Mord auf den Straßen Britanniens.“

Tatsächlich hieß es anfangs, einer der Mörder habe vor der Tat „Ihr stehlt unsere Jobs!“ gerufen, aber bisher ist über das Tatmotiv der Angreifer wenig bekannt. Nigel Farage fand Swobodas Anklage impertinent. Der Chef der EU-skeptischen United Kingdom Independence Party (UKIP), der auch als Abgeordneter im EU-Parlament sitzt, reagierte entsprechend gereizt: „Hannes Swoboda ist so blind vor Hass gegen Leute, die nicht wie er für eine politische Union in der EU eintreten, dass er Anklagen vorbringt, ohne sie vorher zu verifizieren.“
Aber auch Swobodas Parteifreunde von der britischen Labour-Partei grenzten sich rasch ab: Swobodas Bemerkungen seien „deplorabel“, sagte ein Sprecher. Hannes Swoboda wiederum kann diese Reaktion nicht verstehen. „Warum bekämpft die Labour-Partei die rechtspopulistische Politik nicht stärker?“, rätselt er gegenüber profil: „Großbritannien war immer ein offenes Einwandererland. Das hat sich geändert. Jetzt wird permanent unterstellt, dass die Bulgaren und Rumänen nur kommen, um Geld und Jobs zu stehlen. UKIP und die konservative Regierung haben ein Klima geschaffen, das zur Gewalt führt. Irgendwann greift eben ein kranker Typ zur Mordwaffe.“

Die britischen Roten verbitten sich die Einmischung aber weiterhin: „Wie gesagt: Hannes Swoboda spricht nicht für die Labour-Party“, meint ein Sprecher auf Nachfrage von profil knapp.

„Es regnet ständig!“
Dass Labour dem EU-Genossen die kalte Schulter zeigt, hat seine Gründe. In Großbritannien ist seit der Wirtschaftskrise 2008 der Ton gegenüber der EU und den Immigranten härter geworden. Zu Beginn dieses Jahres hatte die Regierung sogar eine Plakat-Aktion in Bulgarien und Rumänien überlegt, die Jobsucher davon abhalten sollte, auf die Insel zu ziehen: „Es regnet ständig!“

Ab Jänner 2014 genießen die beiden neuen EU-Staaten Niederlassungsfreiheit. UKIP-Chef Farage heizt die Stimmung an, indem er behauptet, dass bis zu 400.000 Südeuropäer die Insel anpeilen könnten – eine Angstfantasie ohne empirische Grundlage. Der Think Tank Migration Watch spricht von künftig etwa 50.000 Arbeitssuchenden aus Bulgarien und Rumänien pro Jahr. Die „Regen“-Kampagne wurde abgeblasen, die Xenophobie aber ist geblieben.

Labour-Chef Ed Miliband, genannt Red Ed, hält sich vom heiklen Thema Immigration und EU tunlichst fern. Auf Swobodas gutgemeinte Ratschläge aus Brüssel kann er verzichten.

Die konservative Regierung versucht indessen weiterhin halbherzig, mit rechtspopulistischen Maßnahmen der UKIP die Schneid abzukaufen. Im Herbst wurde bereits eine andere Plakatidee in London getestet: Illegale Einwanderer wurden aufgefordert, Selbstanzeige zu erstatten, um kostenlos deportiert zu werden – oder im Gefängnis zu landen: „Text HOME to 78070“. Die Aktion wurde Ende Oktober schnell beendet. Die konservative Ministerin Sayeeda Warsi zeigte sich erleichert. Die Plakatserie hätte dazu beigetragen, dass manche Leute „illegale Immigranten und Mitglieder von ethnischen Minderheiten, die das Recht haben, hier zu leben“ nicht mehr voneinander unterscheiden können.

Joele Leotta war erst zehn Tage vor seinem gewaltsamen Tod nach Großbritannien gekommen. Auf Facebook erzählte der 20-jährige Italiener seinen Freunden begeistert, sein neues Leben sei „perfekt“: Er habe einen Job und lerne dabei Englisch. Vorvergangene Woche reisten seine Eltern von Nibionno in der Nähe von Mailand nach Maidstone, um die Leiche ihres Sohnes zu identifizieren.