Trio grande in der Europäischen Union

EU: Trio grande

Es dürfte wieder Bewe- gung in die EU kommen

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Zwei Jahre döste die EU vor sich hin. Seit dem deutlichen „Non“ der Franzosen (und Niederländer) zum europäischen Verfassungsentwurf schien die Union paralysiert zu sein. Der französische Präsident Jacques Chirac – im eigenen Land schwer angeschlagen – zeigte sich auf europäischer Ebene nicht mehr handlungsfähig. Auch die Ära von Premier Tony Blair, dem einstigen Strahlemann der britischen Politik, neigte sich dem Ende zu. Und sehr aktiv in der EU war er schon in seinen großen Zeiten nicht gewesen, geschweige denn in der Periode vor seinem Abgang. Nur Angela Merkel – die Regierungschefin von Deutschland, dem neben Frankreich und Großbritannien dritten mächtigen Staat der Union – gab der EU ein Gesicht, nur sie personifizierte im Alleingang Europa: ein Europa, das sich zu seiner Karikatur eines bürokratischen Gebildes, in dem es nur um Paragrafen und Institutionen geht, zu entwickeln schien.

Seit Sonntag vergangener Woche ist alles anders. „Jetzt ist Frankreich wieder zurück in Europa“, rief Nicolas Sarkozy in der Stunde seines Triumphes. Nun werde von Paris aus wieder europäische Politik gemacht, verkündete der vielfach als „neuer Napoleon“ bezeichnete Neogaullist, der demnächst als Chiracs Nachfolger im Elysée-Palast einziehen wird.

Da mögen so manchem die nationalistischen Töne, die Sarkozy im Wahlkampf angeschlagen hat, Sorge bereiten. Auch die überaus US-freundlichen Äußerungen irritierten. Dennoch herrscht angesichts der französischen Ereignisse in den europäischen Eliten Optimismus. Sie sind elektrisiert. Sie wissen, dass der Urnengang in Frankreich das wichtigste europäische Ereignis dieses Jahres ist. „Von Herrn Sarkozy erwartet man, dass er nach der langen Chirac’schen Agonie eine neue Reformdynamik Europas bringt“, frohlockt der britische „Guardian“.

Selbst scharfe Kritiker des autoritären Law-and-Order-Kurses von Sarkozy machen in Europa-Optimismus, wie etwa der prominente Pariser Politikwissenschafter Dominique Moisi, der meint, die Wahl des französischen Rechtspolitikers sei „kein schlechtes Omen für Europa“. Die französisch-deutsche Allianz werde, so glaubt er, wieder die führende Rolle übernehmen – wie seinerzeit unter Helmut Kohl und François Mitterrand. Auch Martin Schulz, der deutsche Fraktionsführer der Europäischen Sozialdemokraten im Straßburger Parlament, glaubt, „dass Sarkozy jetzt eine Chance hat, Frankreich wieder ein Stück in die Mitte des Handelns in Europa zu führen“.

Generationswechsel. Aber nicht nur eine möglicherweise wiederhergestellte Achse Paris–Berlin lässt die Hoffnung aufkeimen, dass Europa wieder in Schwung kommt. Ein zweites Ereignis nährt ebenfalls entsprechende Hoffnungen. Tony Blair machte Donnerstag vergangener Woche endgültig seinem Schatzkanzler und langjährigen Rivalen Gordon Brown den Weg frei: Dieser soll demnächst Blair als Labour-Chef und als Premierminister ablösen. Damit vollzieht sich nicht nur in Paris ein politischer Generationswechsel, sondern auch in London.

Mit Merkel, Brown und Sarkozy werden erstmals Politiker die EU anführen, die allesamt in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts geboren wurden und sich nicht mehr, wie etwa Chirac, an den Zweiten Weltkrieg und damit jene Katastrophe erinnern können, die zur Gründung der EU führte. Das neue französisch-britisch-deutsche Trio wird in der britischen „Financial Times“ geradezu als „dream team“ gepriesen, das pragmatisch und ohne alte Ideologien das Projekt Europa wieder in Gang bringen könnte. (Hinzugefügt sei, dass auch außerhalb der EU wichtige Personalwechsel ins Haus stehen: Kommendes Jahr finden sowohl in den USA als auch in Russland Präsidentschaftswahlen statt.)

Der Verdacht kann freilich aufkommen, dass in all den Lobpreisungen des kommenden EU-Triumvirats ein gerüttelt Maß an Zweckoptimismus steckt. Denn wie europäisch gesinnt die Neuen sind und welche Politik sie in der EU machen werden, ist keineswegs klar.

Multikulti-Präsident. Der Herkunft nach wäre Nicolas Sarkozy der Paradeeuropäer schlechthin. Der Vater des kleinen Nicolas, Pal Sarkozy, der frühzeitig die Familie verlassen hatte, sagte einmal zu seinem immer schon ehrgeizigen Sprössling: „Ein Sarkozy wird nie und nimmer französischer Präsident.“ Nicolas wollte es seinem Vater offenbar zeigen. Nun ist der Sohn eines ungarischen Edel- und Lebemanns und einer aus Griechenland stammenden jüdischen Mutter der Herr im Elysée-Palast. Ein europäischer Multikulti-Präsident.

Auch kann „Sarko“, wie er genannt wird, darauf hinweisen, dass er vor dem Referendum über die europäische Verfassung mit Eifer für das „Oui“ warb. Tatsächlich hätte es eine sozialistische Präsidentin Ségolène Royal im Zweifelsfall schwerer gehabt, europäische Politik zu treiben, als er: Schließlich ist der Anteil der Europaskeptiker bei der französischen Linken weitaus größer als bei der Rechten.

Im Wahlkampf aber war Europa kaum Thema. Weder Sarkozy noch Royal erwähnten bei der großen TV-Abschlussdebatte kurz vor dem Urnengang die EU auch nur mit einem Wort. Und im Wahlkampf klang es nicht gerade freundlich, als Sarkozy in Marseille rief: „Wir müssen den Mut haben zu sagen, dass Europa unsere nationale Krise verschärft hat.“

Die europäische Verfassung, für die Sarkozy einst gestritten hatte, wolle er heute auf einen „Minivertrag“ zusammenstreichen, verkündete er im Wahlkampf. Und seiner Liebe zu Amerika gab er lautstark und mit Verve Ausdruck. Daniel Vernet, Chefanalytiker der französischen Tageszeitung „Le Monde“, registriert eine Nähe Sarkozys zu George W. Bush und dessen Ideologen. Zwar sei der künftige französische Präsident ein Gegner des US-Irak-Kriegs, aber „gerade jetzt, wo die amerikanischen Neokonservativen absacken, nähert er sich ihren Thesen an“, mokiert sich Vernet. „Die Distanzierung von den ,Sixties‘ – in Sarkozys Version: von 1968 – ist eine der wesentlichen Grundlagen des amerikanischen Neokonservativismus, der Arbeit, Ordnung, Autorität, Nation preist und gegen moralischen Relativismus wettert.“ Just damit aber hatte Sarkozy im Wahlkampf gepunktet.

Unberechenbar. So emphatisch er sich am Wahlabend auch als „begeisterten Europäer“ präsentierte, so muss seine Haltung zu Europa zumindest als widersprüchlich eingeschätzt werden. Was die EU betrifft, ist der brillante Machtpolitiker und Taktiker – wie auch in anderen Bereichen – unberechenbar. Der deutsch-französische Grün-Abgeordnete im EU-Parlament, Daniel Cohn-Bendit, sieht in Sarkozy einen Egomanen, der „alles benutzt, was ihm dienen kann: auch Europa. Der neue Präsident hat ein instrumentelles Verhältnis zu Europa.“

Berechenbarer scheint da auf den ersten Blick Gordon Brown zu sein, der voraussichtlich ab Sommer die Geschicke Großbritanniens lenken wird. Zunächst gilt der schottische Pfarrerssohn als Euroskeptiker par excellence. Viele Anhaltspunkte dafür, wie ein Premier Brown gegenüber Europa agieren wird, gibt es freilich nicht. Außenpolitisch hat sich Brown in den vergangenen Jahren kaum geäußert. Die Einschätzung, Brown sei Brüssel grundlegend feindlich gesinnt, basiert auf der Rolle, die Brown bei der britischen Entscheidung spielte, der Eurozone nicht beizutreten, auf seinem zähen Ringen um den Briten-Rabatt und auf generellen Meinungsimpressionen aus dem Umfeld des Schatzkanzlers. Demnach hat Brown keine persönliche Verbindung zu Europa, dem er weder kulturell noch politisch irgendwie nahesteht. „He doesn’t like it“, sagt einer seiner Berater.

Auch heißt es, dass dem streng analytisch veranlagten Brown die grundlegenden Entscheidungsmechanismen der EU – Kompromisse, Tauschgeschäfte und Verhandlungslösungen – nicht liegen. In seinem wirtschaftsliberalen und britisch-patriotischen Weltbild gebe es, so analysiert der britische Europa-Spezialist Mark Leonard, „für Europa als strategische Wirtschafts- und politische Einheit keinen Platz mehr, nachdem ökonomische Entgrenzungsprozesse und der Aufstieg Asiens die Geschäftsgrundlagen nationaler und internationaler Politik in einer globalisierten Welt dramatisch verändert haben“. Außerdem will Gordon Brown seine heute daniederliegende Labour Party 2009 oder 2010 wieder zum Sieg führen. Dabei wäre ein proeuropäischer Kurs äußerst hinderlich.

Euroskeptisch. Ganz so ausgeprägt sei Browns Euroskeptizismus auch wiederum nicht, meint hingegen der britische Soziologe und Blair-Berater Anthony Giddens. Der zukünftige britische Regierungschef wisse ganz genau, dass „wir in einer zusammenwachsenden Welt immer mehr mit Problemen wie Erderwärmung, Energiesicherheit, internationaler Kriminalität und Migration konfrontiert sind, denen Staaten nicht auf eigene Faust begegnen können“. Hier biete die EU einen sehr brauchbaren Rahmen. Brown hat in einer seiner wenigen Schriften zu Europa, in einem Thesenpapier mit dem Titel „Global Europe“ aus dem Jahr 2005, moniert, dass Europa immer eher nach innen als nach außen blicke. Die Union müsse daher endlich „den Anschluss an den Rest der Welt vollziehen“ und in den Bereichen Technik, Wissenschaft und Bildung die Spitze markieren. Eine Antwort auf die Frage, wie dies bewerkstelligt werden könnte, blieb Brown jedoch schuldig.

Welches Europa sich unter dem Dreigestirn Sarkozy, Merkel, Brown entwickeln wird, ist somit höchst ungewiss. Dass die Union nach der zweijährigen Phase des Stillstands nun wieder in Bewegung kommt, scheint jedoch klar. Dafür wird schon die politische Gruppendynamik der drei Protagonisten sorgen.

Atlantiker. In Großbritannien wurde Sarkozys Wahlsieg freudiger und auch breiter begrüßt als anderswo. Kein Wunder: Der Franzose ist ein Briten-Fan. Er bewundert den Politiker Tony Blair, den er schon einmal als sein Vorbild nannte. Und als französischer Finanzminister verstand er sich blendend mit dem britischen Amtskollegen Brown. Die Chemie stimmt, heißt es. Die radikal-liberalen Reformen, mit denen Sarkozy dem jakobinischen Staat zu Hause den Garaus machen will, sind so recht nach dem Geschmack der Briten. London kann jedenfalls mit einer Verbesserung der Beziehungen zu Paris rechnen, die unter Chirac und Blair schwerst gestört waren: Die beiden können einander nicht ausstehen. Auch die USA-freundliche Haltung Sarkozys wird beim Atlantiker Brown Wohlgefallen finden. Gleichzeitig aber ist der wirtschaftsliberale Franzose, wenn es um die französische Industrie und Landwirtschaft geht, ein wüster Protektionist. Da kann er sich schon wie ein linker Globalisierungsgegner gebärden. Auf dieser Ebene wird er im begeisterten Freihändler Brown einen unerbittlichen Gegner finden.

Sarkozy und Merkel wiederum sind nicht nur – als Mitglieder der gleichen Politfamilie – ideologisch verbunden. Die beiden Konservativen können auch persönlich miteinander, und sie liegen in vielen Themen auf einer Linie: bei der Ablehnung des EU-Beitritts der Türkei, bei verschärften Regeln in der Einwanderungsfrage und nicht zuletzt auch in Wirtschaftsfragen. Bloß wenn es um den Euro und die Europäische Zentralbank geht, hört die Freundschaft zwischen den beiden auf: Sarkozy wettert immer wieder gegen den zu starken Euro, welcher der französischen Industrie schade, und erwartet von den Zentralbankern nicht bloß Währungsstabilität, sondern auch Wachstumsimpulse. Berlin aber ist pedantisch auf die Unabhängigkeit der europäischen Geldpolitik bedacht und sieht im starken Euro, der Deutschland nicht daran hinderte, Exportweltmeister zu werden, ein Asset. Konflikte sind auch politisch programmiert: Sollte Sarkozy versuchen, die EU zu benützen, um Frankreichs Gewicht in der Weltpolitik wieder zu erhöhen, dann „wird er sich nicht der Führungsrolle einer europäischen Politikerin unterordnen – und schon gar nicht einer Deutschen“, analysiert Cohn-Bendit. „Nur wenn er das Gefühl hat, dass er Merkel braucht, wird es funktionieren.“

Wenn auch völlig im Dunkeln liegt, wie sich das Verhältnis Merkel-Brown entwickeln wird – bisher hatten sie wenige Berührungspunkte –, scheint klar: In dem sklerotischen Zustand, in dem die EU in den vergangenen zwei Jahren verharrte, wird sie unter der Führung dieses Trios nicht bleiben. Dazu sind die beiden Neuen, vor allem Nicolas Sarkozy, zu sehr Tatmenschen.

Der erste Test, ob die Neuen europäisch etwas weiterbringen, wird die Frage des Verfassungsvertrags sein. In diesem Punkt kann man tatsächlich vorsichtig optimistisch sein. Alle drei wollen neuerliche Abstimmungen vermeiden. Sarkozy und Merkel dürften sich auf einen abgespeckten Text einigen können. Und die Briten, die ja unter Blair dem ursprünglichen Vertrag bereits zugestimmt haben, werden, so wird jetzt analysiert, hart verhandeln, aber letztlich nicht als Spielverderber in die EU-Geschichte eingehen wollen.


Von Georg Hoffmann-Ostenhof

Mitarbeit: Otmar Lahodynsky