„Das wäre die Atombombe“

Peter Gauweiler: „Das wäre die Atombombe“

Interview. Peter Gauweiler, deutsches Polit-Urgestein, über Rettungsschirme und Atombomben

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Interview: Martin Staudinger und Robert Treichler

profil: Frankreich und Italien wollen, dass der neue Rettungsschirm ESM ohne Limit von der Europäischen Zentralbank finanziert wird, um Staatsanleihen in unbegrenzter Höhe kaufen zu können. Die bisherigen Mechanismen zur Rettung des Euro wurden bereits als „Bazooka“ oder in Anspielung auf die legendäre Kanone „Dicke Berta“ bezeichnet: Was wäre jetzt ein angemessener Vergleich?
Gauweiler: Wenn man diese verräterische Sprache benutzt, die nicht die meine ist, dann wäre das die Atombombe. Bazooka, Dicke Berta – das sind doch Mechanismen, die auf Vernichtung angelegt sind.

profil: Der ESM ist aber nicht zur Vernichtung gedacht, sondern zur Abschreckung.
Gauweiler: Schon gut. Nur: Gut gemeint ist ja noch lange nicht gut. In der aktuellen Debatte geht es für Deutschland doch darum, ob das Haftungsvolumen und das damit verbundene Gesamtrisiko noch verantwortbar sind. Unserer Meinung nach …

profil: … Sie sprechen im Namen der Kritiker …
Gauweiler: … ist es völlig unverantwortbar. Der deutsche Kapitalanteil am ESM beträgt jetzt mindestens 190 Milliarden Euro. Unser Argument ist, dass man die Haftungsrisiken, die Deutschland eingegangen ist, zudem in der Summe sehen muss.

profil: Wie setzt sich diese Summe zusammen?
Gauweiler: Sie ergibt sich aus beiden Griechenland-Rettungspaketen plus dem ESM und EFSF. Dazu kommen unsere Anteile an den Zahlungen des IWF, den Anleihenkäufen der EZB und den so genannten ­Target-2-Krediten, die fällig werden, wenn einzelne Euromitglieder ausscheiden, zum Beispiel ein Ausfall aus dem Kreis der so genannten „GIPSI“-Staaten, Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, Italien. Wenn sich Deutschland potenziell so hoch verbürgt und verschuldet, läuft die Haushaltsautonomie praktisch vollständig leer. Außerdem kollidiert ein solches uferloses Haftungsvolumen mit der Schuldenbremse unseres Grundgesetzes. Letztlich geraten wir selbst in vorinsolvenzartige Zustände und sind nicht mehr handlungsfähig.

profil: Auch wenn Ihnen das missfällt: Es zeichnet sich eine Tendenz in Richtung einer Vergemeinschaftung der Schulden ab.
Gauweiler: Die Vergemeinschaftung der Schulden haben Sie vor Augen, wenn Sie Ihre Steuererklärung anschauen.

profil: Wir sprechen von der Vergemeinschaftung auf gesamteuropäischer Ebene.
Gauweiler: Die Tendenz ist: Schuldenfinanzierung mittels Aufkäufen von Staatsanleihen durch die Europäische Notenbank immer attraktiver zu machen und Staaten, die ihre Zahlungsfähigkeit längst verloren haben, durch Bürgschaften in die Lage zu versetzen, Zinsen und Zinseszinsen an ihrerseits überschuldete Banken zu zahlen. Ich sage: Man kann Drogenkranke nicht mit der Dicken Berta behandeln. Das System des ESM gibt Banken weiterhin die Möglichkeit, darauf zu setzen, dass die Investition in Staatspapiere überschuldeter Problemstaaten für sie risikofrei wird und dass man an dieser Spirale ewig weiterdrehen kann. Griechenland hat heute mehr Schulden als vor zwei Jahren. Die Gelder, die aus Österreich, Finnland oder Deutschland gezahlt werden, haben ja nicht dazu gedient, irgendwelche Investitionen anzukurbeln oder irgendwelche Wachstumseffekte zu erzielen. Sie haben im Gegenteil zur völligen Entmündigung und einer Depression der Bevölkerung geführt, womit jeder Anreiz sowohl zur Konsolidierung der Staatshaushalte als auch zu einer Investitions- und Wachstumspolitik genommen ist, was – Beispiel Griechenland – die Wirtschaft noch mehr geschwächt hat.

profil: Die FDP hat diese Woche angedroht, die EZB vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen. Sie werfen der EZB vor, sich entgegen ihrem Auftrag nicht um Geldwertstabilität zu kümmern, sondern Staatsanleihen aufkaufen zu wollen. Weder der Bundestag noch das Bundesverfassungsgericht können die EZB stoppen – ist das Ihr Albtraum?
Gauweiler: Ich vermute, dass Sie Verständnis für den Ansatz der EZB haben, aber letztlich bedeutet das: Adieu, Demokratie! Einst haben EU-Kritiker den bösen Satz gebraucht: „Das Zentralkomitee zieht von Moskau nach Brüssel.“ Die Frage ist heute: Wer hat denn euch gewählt? Wem seid ihr verantwortlich? Hier entsteht eine Finanzdiktatur!

profil: Die USA haben mit der Federal Reserve, der US-Notenbank, eine Institution, die ähnlich handelt, wie die EZB es gern tun würde. Dennoch herrscht in Washington keine Finanzdiktatur.
Gauweiler: In den USA können einzelne Bundesstaaten oder auch Städte pleitegehen. Sie haften für ihre Schulden selbst. Die Insolvenz fungiert als Gesundungsprozess, durch den jeder Staat neu anfangen kann. Unabhängig davon: Ihre Überziehungsschulden, die mit den Target-Salden vergleichbar sind, müssen die US-Bundesstaaten mit marktgängigen Wertpapieren tilgen. Wir in der EU wären froh, wenn wir diese Verpflichtung hätten und nicht das Target-System der EZB.

profil: Sie haben bereits versucht, den ersten Rettungsschirm per Klage zu verhindern. Wo würde Europa heute stehen, wenn das durchgegangen wäre?
Gauweiler: Wir hätten zum Beispiel all die Gelder, die für die Rettungspolitik in Sachen Griechenland ausgegeben wurden, nicht verloren bzw. verschleudert. Griechenland wurde ja nicht gerettet, es steht heute ärmer und kaputter da als zu Beginn der Rettungsaktion. Nicht einem einzigen armen Griechen wurde geholfen. Die Denkschule der „Bazooka und Dicken Berta“ hat sich hier bereits als Desaster erwiesen. Diese Denkschule will unbegrenzt virtuelles Geld den Banken in der Hoffnung zur Verfügung stellen, dass damit die Spekulation ins Leere läuft. Die Gegenmeinung sagte, dass dies der beste Weg ist, Geld als Wertaufbewahrungsmittel radikal zu entwerten und damit die Basis der eigenen Realwirtschaft zu zerstören. Diese Positionen stehen immer noch einander fast unversöhnlich gegenüber.

profil: Richtig, allerdings hat erstere Denkschule – die Sie ablehnen – bisher die Mehrheit. Sie argumentieren, dass es bei Ihren Klagen um die Bewahrung der Demokratie geht. Wenn es damit ernst ist, müssen Sie das wohl anerkennen.
Gauweiler: Wollen Sie bestreiten, dass es demokratisch ist, dagegen mit den Mitteln des Rechts anzugehen? Dass sich das deutsche Parlament überhaupt mit dem Vollzug des Europäischen Stabilisierungsmechanismus befassen darf, liegt nur daran, dass ich und andere gegen die geplante Ausschaltung der Parlamente geklagt haben. Ohne juristische Intervention wäre die Frage, ob diese immer größere Kreditfinanzierung zulasten der Staaten beziehungsweise ihrer Steuerzahler fortgesetzt werden soll oder nicht, nur von der Exekutive entschieden worden. Die Parlamente, so meinte man, ginge das nichts an. In Deutschland behauptete die Regierung sogar, der ESM und seine Beratung durch den Gesetzgeber sei kein Anwendungsfall für jenen Artikel des Grundgesetzes, der für die Übertragung von Rechten in europäischen Angelegenheiten besondere Mehrheiten und Verfahren vorschreibt. Auch um das zu widerlegen, bedurfte es der Einschaltung des Verfassungsgerichts, das in diesem Fall von den Grünen angerufen worden war.

profil: Sollte Ihre Klage gegen ESM und Fiskalpakt zurückgewiesen werden, erkennen Sie dann die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse an?
Gauweiler: Wenn unabhängige Richter sagen, dass der ESM mit unserer Grundordnung vereinbar ist, dann muss ich den Kopf senken – ich bin zwar politisch immer noch anderer Meinung, aber dann ist der Demokratie, zu der ja auch die Einhaltung des Rechts gehört, Genüge getan.

profil: Haben Sie Verständnis dafür, dass derzeit bei den Maßnahmen, die den Euro oder einzelne Staaten retten sollen, solche Eile an den Tag gelegt wird?
Gauweiler: Nein.

profil: Ist es nicht notwendig, rasch zu handeln, wenn jedes Zögern der EU von den Finanzmärkten als Schwäche interpretiert wird und langwierige parlamentarische ­Debatten ein enormes Risiko darstellen können?
Gauweiler: Ich sehe genau darin den Fehler. Wir erleben seit der Lehman-Krise 2008 eine Politik übertriebener Hast und Hysterie. Man hat nicht das Gefühl, dass die zuständigen Amtsträger die Dinge durchdenken, sondern nur den Märkten – oder was sie dafür halten – nachlaufen. Das spiegelt sich in der Tatsache wider, dass die Politik alle ihre Entscheidungen innerhalb sehr kurzer Zeit wieder korrigieren musste.

profil: Würden Sie von Notstandsgesetzgebung reden?
Gauweiler: Ich hab mir manchmal überlegt, ob das Wort Ermächtigungsgesetz nicht zu hart ist, weil es mit dem Beginn der Diktatur in Deutschland zusammenhängt. Aber es ist schon bedenklich, wie die Parlamente derzeit ihre Rechte an anonyme supranationale Instanzen weggeben, sich damit selbst verstümmeln und den demokratischen Souverän enteignen.

profil: Riskieren Sie einen Blick in die Zukunft: Wenn die „Atombombe“ zwischen Frankfurt, Luxemburg und Brüssel gebaut wird …
Gauweiler: … dann wollen wir nicht Hiroshima sein!

profil: Wie sieht denn Ihr Katastrophenszenario aus, sollten Ihre Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht folgenlos bleiben?
Gauweiler: Ich sage Ihnen lieber, was ich mir wünsche: eine Änderung des Lissabon-Vertrags, damit Staaten, die nicht mehr zahlungsfähig sind, aus dem Euro ausscheiden müssen.

profil: Dann wäre der Euro ein Durchhaus, in dem permanent ein Kommen und Gehen herrscht.
Gauweiler: Kann sein. Weiter würde ich mir wünschen, dass solche Länder im Solidarsystem der EU bleiben können. Und ich bin schließlich im Gegensatz zu Ihnen absolut nicht der Meinung, dass man gewissen angelsächsischen Top-Ökonomen und Großspekulanten folgen sollte, die fordern, dass Deutschland generell, vor allem aber beim Schuldenaufkaufen, eine Führungsrolle in Europa übernehmen sollte. Da läuft es mir auch aus historischen Gründen kalt über den Rücken runter. Ich glaube, wir wären dann relativ schnell am „Schlund des Grundes“ angekommen, wie Thomas Mann formulierte.

profil: Sie meinen, dass auch Deutsch-
land wirtschaftlich in Probleme kommen ­könnte?
Gauweiler: Das sind wir ja längst. Es besteht ein Konsens aus allen gesellschaftlichen Richtungen, dass die Sache so nicht weitergehen kann.

profil: Noch stehen alle maßgeblichen Parteien hinter der Euro-Rettung, wie wir sie kennen.
Gauweiler: Sagen wir: Die Spitzen der politischen Klasse sind dieser Meinung; weil sie ihre Fehleinschätzung bei der Euro-Einführung – die Ursünde der heutigen Probleme – nicht zugeben wollen. Mich wundert bloß, dass sich die Normalverbraucher und Sparer nicht vehementer gegen diese Politik der Entwertung ihrer Währung wehren – sie werden durch solche Manöver ja um die Früchte ihrer Lebensleistung gebracht. In Spanien verschandeln verrottende Immobilien die Küsten des Mittelmeers. Die Gewinne, die damit gemacht wurden, wurden schon verdient und haben sich nicht in Luft aufgelöst – aber diejenigen, bei denen diese Gewinne gelandet sind, zahlen nicht für das Desaster. Das Zahlen übernimmt auf Wunsch der Regierungen in Berlin und in Wien stattdessen die ­Kassiererin beim Hofer in Innsbruck oder beim Aldi in Rosenheim, der bei 1500 Euro Einkommen mindestens 500 Euro Steuern und Abgaben abgezogen werden. Das ist jetzt, wenn Sie wollen, ein linkes Argument.

profil: Schön, von Ihnen auch ein linkes ­Argument zu hören.
Gauweiler: Die ganze Diskussion ist ja auch eine Rechts-links-Mischung. Ich bin kürzlich bei einem Vortrag in Brüssel gefragt worden, ob es der vergrämte deutsche Nationalismus ist, der aus mir spricht. Meine Antwort war: Vergessen Sie nicht, dass ich aus Bayern komme. Ob uns Berlin oder Brüssel vorschreibt, was wir zu tun haben, ist uns graduell wurscht. Nur beide zusammen und alle auf einmal, das schaffen wir in Bayern nervlich nicht mehr.


Peter Gauweiler, 63

hat aus seiner kritischen Haltung gegenüber der EU nie ein Geheimnis gemacht: Vergangenes Jahr stellte er sich am CSU-Parteitag als „berufsmäßiger Vertreter der Euroskeptiker“ vor. Das hätte er nicht tun müssen. Nicht nur die Delegierten kennen den gelernten Rechtsanwalt seit Jahrzehnten. Ob als jüngster Stadtrat Münchens (ab 1972), als Staatssekretär des bayerischen Innenministeriums (1986–1990), als Landtags- oder Bundestagsabgeordneter: Der politische Ziehsohn von CSU-Legende Franz Josef Strauß polarisierte durch markige Worte und Hardliner-Positionen. Bewusste Unpopularität war einerseits Teil seines Erfolgs, führte gleich­zeitig aber mehrfach zu Karriereknicks – vergangenen Herbst scheiterte etwa seine Bewerbung als stellvertretender CSU-Chef. Gauweilers Isolierung in den eigenen Reihen habe jedoch eine „Metamorphose“ ermöglicht, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ bereits 2003: „von einem rechten Law-and-Order-Fanatiker zu einem der ganz wenigen politischen Intellektuellen, die das bürgerliche Lager zu bieten hat“. Jetzt kämpft Gauweiler im Namen der Demokratie gegen das, was er als ein Zuviel an Europa betrachtet. Auf dem Klagsweg ist er bereits gegen den EU-Verfassungsvertrag und die Begleitgesetze zum Lissabon-Vertrag vorgegangen. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Eurokrise – den Rettungsschirm, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und den Fiskalpakt – hat er ebenfalls juristisch beeinsprucht.