„Nicht immer nur der Steuerzahler“

Michel Barnier: „Nicht immer nur der Steuerzahler“

Interview. Michel Barnier, EU-Kommissar für den Binnenmarkt, über die Lehren aus der Zypern-Krise

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Interview: Otmar Lahodynsky

profil: Zypern wurde vor einer Staatspleite gerettet, aber zu einem hohen Preis: Das Vertrauen der Sparer in die Sicherheit ihrer Spareinlagen wurde in ganz Europa nachhaltig beschädigt. Wie kann man es zurückgewinnen?
Barnier: Es stimmt, dass die Kosten der Rettung des Finanzsektors in Zypern hoch sind, schon weil die Situation in diesem Land außerordentlich schwierig und außergewöhnlich bleibt. Es gibt dort im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt einen hypertrophen Banksektor und gleichzeitig eine unzureichende Kontrolle und mangelhafte Governance. Eine solidarische Anstrengung für dieses Land wie auch ein Beitrag der Zyprioten erscheinen dennoch gerechtfertigt. Da es sich um ein Mitglied der Eurozone handelt, ist diese Hilfe auch ein Element dafür, die Stabilität der Eurozone zu festigen und Vertrauen zu schaffen.

profil: So, wie die Hilfsmaßnahmen zunächst beschlossen wurden, hat man aber eher das Gegenteil erreicht.
Barnier: In der ersten Ankündigung der Euro-Finanzminister gab es eine schlechte Bewertung bezüglich der Sparkonten unter hunderttausend Euro. Ich habe sofort klargestellt, dass die in der EU vereinbarte Garantie für die Einlagen kleinerer Sparer niemals und nirgends in Frage gestellt werden darf. Jetzt steht neuerlich fest: Die Einlagen von Sparern bei europäischen Banken unter hunderttausend Euro sind und bleiben geschützt, so wie es auch die EU-Richtlinie garantiert.

profil: Aber manche Länder könnten im Falle einer Pleite von Großbanken die Einlagensicherung gar nicht finanzieren.
Barnier: Die Garantie für Spareinlagen bis zu 100.000 Euro gilt in jedem EU-Land. Und jeder Mitgliedsstaat muss selbst sicherstellen, dass die von allen akzeptierte Richtlinie auch umgesetzt wird.

profil: Sollte es nicht besser eine gemeinsame Einlagensicherung für die gesamte Eurozone geben?
Barnier: Im Augenblick ist kein eigener europaweiter Fonds vorgesehen. Vor einem Jahr habe ich außerdem einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, der die Abwicklung einer Bank im Vorhinein so regeln soll, damit man sich nicht immer nur an den Steuerzahler wenden muss.

profil: Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem hat erklärt, dass die vereinbarte Lösung in Zypern für künftige Bankpleiten in anderen Ländern ein Vorbild sein kann. Nach dem von ihm ausgelösten Wirbel an den Börsen hat er dies wieder abgeschwächt. Was gilt denn jetzt?
Barnier: Zypern stellt einen gesonderten Fall dar, der auch ein spezielles Vorgehen notwendig macht.

profil: Es gibt Berichte, wonach trotz Aufhebung des freien Kapitalverkehrs viel Geld aus Zypern abgezogen wurde.
Barnier: Ich verfüge im Moment über keinerlei Informationen darüber. Vor dem Inkrafttreten der Maßnahmen war ein Geldtransfer natürlich möglich.

profil: Rechnen Sie damit, dass jetzt Geld von Zypern in andere Länder mit großem Banksektor wie Luxemburg oder auch Österreich transferiert wird?
Barnier: Solange die restriktiven Maßnahmen in Zypern angewendet werden, sind solche Transfers nicht möglich.

profil: Sollten die Maßnahmen gegen den aufgeblähten Bankapparats auch in anderen Euroländern greifen?
Barnier: Ich habe Ihnen kurz vorher gesagt, dass Zypern ein Sonderfall ist. Es gibt auch andere EU-Länder mit einem bedeutenden Finanzsektor im Verhältnis zum BIP, aber dort funktionieren Aufsicht und Governance.

profil: Sollten andere Steueroasen wie die Kanalinseln geschlossen werden?
Barnier: Zypern ist bislang ein Offshore-Finanzplatz und nicht ein Steuerparadies im Sinne der OECD. Es hat sich dort eine gewaltige Finanzblase entwickelt. Der jetzt vereinbarte Rettungsplan erlaubt ein Ende dieser Blase, was eine gute Nachricht für die Stabilität des Euro ist.

profil: Sollte Österreich sein Bankgeheimnis aufgeben?
Barnier: Das zu bewerten liegt nicht in meiner Zuständigkeit. Aber jedes Land sollte sich an die Regeln halten.

profil: Wird die von Ihnen vorgeschlagene Richtlinie zur Beschränkung der Boni für Bankmanager das Zocken erschweren?
Barnier: Wir wollen damit keinesfalls Bankmanager beschuldigen. Aber wir gehen damit strikt und rigoros auf ein Problem der aus den USA importierten Finanzkrise ein, nämlich dass Risiken exzessiv von bestimmten Bankern eingegangen werden und sie umso mehr Bonus-Geld erhalten, je höhere Risiken sie einzugehen bereit sind. Und wer bezahlt letztendlich für die Risiken? Der Steuerzahler. Das reicht. Das Eingehen von exzessiven Risiken darf nicht länger belohnt werden. Das wird der neue Rahmen zur Begrenzung der Boni sicherstellen.

profil: Wann kommt die geplante Bankenunion?
Barnier: Wir haben bereits 28 Regulierungsvorschläge präsentiert, von denen einige schon in Kraft getreten sind. Vergangene Woche etwa jene über Finanzderivate, dazu die Aufsicht der Banken in der Eurozone mit der Europäischen Zentralbank sowie die Basel-III-Regeln zur Kapitalausstattung für die 8300 europäischen Banken. Da hat übrigens Othmar Karas als Berichterstatter im Europaparlament hervorragende Arbeit geleistet. In der Pipeline gibt es noch weitere Regelungsvorschläge, etwa zum Missbrauch der Märkte oder über eine neue Behörde für die Abwicklung von Banken.

profil: Sie haben gerade ein Grünbuch für die langfristige Finanzierung der europäischen Wirtschaft vorgestellt. Was bezwecken Sie damit?
Barnier: Wir sprechen von den Spareinlagen der Europäer, die etwa 20 Prozent des europäischen BIP ausmachen, oder von ausländischen Investoren, die in Europa Geld anlegen wollen. Unsere Idee zielt auf eine Kanalisierung dieser Einlagen für langfristige Investitionen ab, also für Infrastruktur, Transport, Energie, Forschung. Innovation. In den letzten 20 Jahren hat sich die Finanzindustrie auf kurzfristige Anlagen, also maximalen Profit in einem Minimum an Zeit, spezialisiert. Wir wollen Ersparnisse für längerfristige Investitionen nützen, etwa über ein eigenes „blaues“, europäisches Sparbuch. Damit könnte man zum Beispiel Investitionen von kleinen und mittleren Unternehmen finanzieren.

profil: Die „New York Times“ hält Slowenien für den nächsten Sanierungsfall.
Barnier: Dazu will ich im Augenblick keinen Kommentar abgeben. Aber eines möchte ich schon betonen: Wenn meine Regelungsvorschläge zur Aufsicht, Kapitalausstattung und Liquidität der Banken, zur Governance und zu den Bonuszahlungen bis hin zur Abwicklung von Pleite-Banken bereits angewendet würden, dann könnten alle Bankenkrisen in Europa anders gelöst werden als heute.

profil: Sie wurden in Österreich wegen des Vorschlags zur Privatisierung der kommunalen Wasserversorgung heftig kritisiert. Zu Recht?
Barnier: Die Österreicher haben mit ihren Sorgen Recht. Aber auch ich wünsche keine Privatisierung des Wassers, das ich für ein öffentliches Gut halte. Mein Gesetzesvorschlag sah vor, dass Kommunen weiterhin Wasser so beliefern können, wie sie es wollen. Nur wenn eine Kommune beschließt, eine externe Firma mit der Wasserversorgung zu betrauen, sollten transparente Regeln gelten und es sollte eine verpflichtende Ausschreibung geben. Das habe ich gefordert, nicht die Privatisierung.

Zur Person
Michel Barnier, 62,ist seit 2010 EU-Kommissar für den Binnenmarkt und Dienstleistungen mit dem Schwerpunkt Regulierung der Finanzmärkte. Der konservative Politiker der UMP-Partei war unter dem früheren Staatspräsidenten Nicolas ­Sarkozy Agrarminister. Ende der neunziger Jahre und von 2004 bis 2005 war er Außenminister Frankreichs. Barnier, der die Olympischen Winterspiele 1992 in seiner Heimatstadt Albertville mitorganisierte, war unter Romano Prodi von 1999 bis 2004 EU-Regionalkommissar.