EU-Vorsitz: In Schüssels Schuhen

Europa: In Schüssels Schuhen

Außenministerin Ursula Plassnik hat Prioritäten

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Die Feierstimmung zur Eröffnung der neuen Räumlichkeiten des Außenministeriums auf dem Wiener Minoritenplatz wurde am vergangenen Freitag vom Bombenterror in London getrübt. Auch der eigens komponierte „Außenministeriums-Tango“, der nach einer Schweigeminute für die Opfer in London gespielt wurde, erklang schwermütig und getragen. Außenministerin Ursula Plassnik begrüßte am vergangenen Freitag gleich sieben ehemalige Außenminister der Zweiten Republik, darunter Kurt Waldheim und Alois Mock. In der Aufregung verhaspelte sich die Außenministerin bei ihrer Amtsvorgängerin, die sie als „liebe Benito“ ansprach. Derselbe Lapsus war schon dem verstorbenen Bundespräsidenten Thomas Klestil bei der Angelobung von Benita Ferrero-Waldner passiert.

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel lobte beim Rundgang die technischen Finessen des Außenamts mit Internet-Telefonie und Video-Konferenzsaal. Österreich sei für die kommende EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2006 gut vorbereitet, technisch wie personell. Doch in seiner Rede wurde der Kanzler ernst. „Wir stehen wahrscheinlich vor der größten internationalen Herausforderung, die wir je hatten. Wir müssen bereit sein, dieses Europa gemeinsam zu verteidigen.“ Das europäische Lebensmodell und die gemeinsamen Werte stünden auf dem Spiel. Schüssels Appell: „Europa muss wehrhaft sein.“

Terror-Abwehr. Seit 1. Juli ist Außenministerin Ursula Plassnik Mitglied der „EU-Troika“, des außenpolitischen Führungs- und Krisenstabs der Union. Und schneller als erwartet wurde Österreich durch die blutigen Terroranschläge in London in das europäische Krisenmanagement einbezogen.

Als ob die schwere Sinnkrise der EU durch die Ablehnung des neuen Verfassungsvertrags in zwei Gründerstaaten und der ungelöste Konflikt um die künftige Finanzierung nicht ausreicht: Nun müssen die EU-Politiker auch über eine wirksamere Bekämpfung von Terrorismus nachdenken. Die Vernetzung von 25 Polizei- und Justizapparaten funktioniert erst ansatzweise. Selbst die Kooperation der Geheimdienste wird noch immer durch nationale Dünkel behindert. Nach den Anschlägen in Madrid vom 11. März 2004 sind viele gute Vorsätze nicht umgesetzt worden. Gemeinsam mit Großbritannien wird das künftige EU-Vorsitzland Österreich neue Strategien gegen den Terror entwickeln müssen. „Wir sind entschlossen, uns mit allen demokratischen und rechtsstaatlichen Mitteln gegen den Terror zu verteidigen“, kündigte die Außenministerin an, auch wenn da Ratlosigkeit mitklang. Konkreter wurde ihre Amtsvorgängerin Ferrero-Waldner: Die EU-Kommissarin kündigte Maßnahmen gegen das finanzielle Netzwerk von Terrorgruppen an.

Aus den Pannen nach der Tsunami-Katastrophe hat Plassnik Lehren gezogen. Dieses Mal wurde umgehend das Personal in der Botschaft in London verstärkt. Die Telefon-Hotlines für besorgte Angehörige von österreichischen Touristen in der Themse-Metropole funktionierten.

Vision gesucht. Acht Monate nach ihrem Amtsantritt hat die groß gewachsene Kärntnerin manche Kritiker durch Professionalität und Arbeitseifer überzeugt. Der außenpolitische Sprecher der SPÖ, Peter Schieder, der bezweifelt hatte, ob die frühere Kabinettschefin des Bundeskanzlers genügend Eigenständigkeit entwickeln werde, lobt heute ihre „offene Art und ihr Bemühen um Konsens“.

„Sie kennt sich in ihren Dossiers wirklich gut aus“, lobt Schieder die Auftritte vor dem außenpolitischen Ausschuss. SPÖ-Europasprecher Caspar Einem ist da weit kritischer. „Wenn es um die konkreten Anliegen und Sorgen der Menschen geht, bleibt die Außenministerin auffällig unkonkret.“ Der grüne EU-Abgeordnete Johannes Voggenhuber zeigt vor allem inhaltliche Defizite auf: Nach der Ablehnung der Verfassung habe Österreichs Regierung bisher „weder Visionen noch Perspektiven“ für Auswege aus der Krise präsentiert. „Diese Krise lässt sich nicht verwalten. Es gibt noch immer keine Antwort zum von den Bürgern eingeforderten sozialen Europa und auch keine klare Position zur Erweiterung. Und die Regierung Schüssel steckt weiter im Widerspruch fest, dass sie einerseits eine handlungsfähige Union fordert, aber ihr zugleich die nötigen Finanzmittel verweigert.“

Während Finnland, das im zweiten Halbjahr 2006, also nach Österreich, das EU-Ruder übernehmen wird, bereits Kontakte zum Europaparlament geknüpft habe, bleibe Plassnik bisher säumig. „Wo sind die Kontaktteams, die Luxemburg zu jedem wichtigen Ausschuss schon zwei Jahre vor der Präsidentschaft gegründet hat?“

Plassnik relativiert diesen Vorwurf. „Wir werden rechtzeitig mit dem Europaparlament Kontakt aufnehmen“, beteuert sie. Zum Vorwurf der Grün-Politikerin Ulrike Lunacek, die inhaltliche Vorbereitung werde vernachlässigt, verweist Plassnik auf den „stark eingeschränkten Spielraum für nationale Außenpolitik“. In der EU seien Brückenbauer, die die EU insgesamt weiterbringen, gefragt.

Fest steht freilich auch, dass bisher die (wenigen) EU-Initiativen Österreichs nicht von ihr, sondern von Schüssel kamen. Plassnik blieb Diplomatin und Schüssels Staatssekretärin, zur Politikerin fehlt ihr manches, vor allem eigene Ideen und Mut.

Seit ihrer Jungfernrede im Nationalrat, die sie streng vom Blatt ablas, hat die 49-jährige inzwischen rhetorisch dazugelernt. In ihrer ersten ORF-„Pressestunde“ wirkte sie nicht mehr so kühl. Doch die Hauptnachricht, die Bestellung ihres neuen Staatssekretärs Hans Winkler für den nächsten Tag, brachte sie eher nebenbei an, „mit verschämter Beiläufigkeit, zwischen Mittagsglocken und Frittatensuppe“, spottete die „Kleine Zeitung“.

Plassnik informierte ihre Interviewpartner nicht wie üblich im Vorhinein, um auch eine entsprechende Frage fix einzuplanen. „Ich habe wirklich zufällig gefragt, ob sie nicht einen Staatssekretär benötige“, erinnert sich der ORF-Journalist Gerhard Jelinek. „Als sie sagte, er werde schon am Montag vom Bundespräsidenten angelobt, dachte ich zuerst, sie macht einen Scherz.“

Mit der überraschenden Präsentation des fachlich unbestrittenen Leiters der Völkerrechtsabteilung, Hans Winkler, löste Plassnik prompt eine Debatte über die Sinnhaftigkeit von gleich sieben Staatssekretären in der Regierung Schüssel II aus. Dass für einen EU-Vorsitz wegen der zahlreichen Ratstagungen und allein 40 „Troika“-Terminen mit Drittstaaten ein politischer Vertreter unerlässlich ist, darauf hätte die Ministerin die Öffentlichkeit schonend vorbereiten können. Schließlich hatte auch während der ersten österreichischen Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 1998 der damalige Außenminister Wolfgang Schüssel eine Staatssekretärin hilfreich zur Seite: Benita Ferrero-Waldner.

Heikler Vorsitz. Die Vorbereitungen für den rot-weiß-roten Vorsitz im ersten Halbjahr 2006 laufen seit zwei Jahren. Der Sitzungskalender mit dutzenden Tagungen, darunter ein Gipfeltreffen der EU mit Lateinamerika in Wien, zu dem 60 Delegationen anreisen werden, ist fixiert. In jedem Bundesland wird eine größere EU-Veranstaltung stattfinden, darunter informelle Tagungen der Fachminister (siehe Kasten).

Auch die Themen stehen weit gehend fest:

* Fortführung der Erweiterung mit der Bewertung der Reformen in Rumänien und Bulgarien und eventuell Beitrittsverhandlungen mit Kroatien und der Türkei;

* Klärung der künftigen Finanzierung der EU für die Jahre 2007–2013, sollte der britische Vorsitz keine Einigung erzielen;

* Halbzeit-Bewertung der „Lissabon-Strategie“ mit der Prüfung nationaler Aktionspläne für mehr Wachstum und Jobs;

* Verabschiedung der noch zu revidierenden, umstrittenen Dienstleistungsrichtlinie und der Richtlinie über Chemikalien;

* Annahme des neuen Gemeinschaftsprogramms für Forschung und Entwicklung und die Prüfung des laufenden Umweltaktionsprogramms (2002–2012).

Dazu kommt möglicherweise ein Gipfeltreffen der EU mit US-Präsident George Bush, das auf einem gut zu sichernden Schloss im Marchfeld stattfinden soll.

„An sich sind wir so gut wie noch nie auf den EU-Vorsitz vorbereitet“, beruhigt der frühere Generalsekretär im Außenamt Albert Rohan. „Schwierig wird es nur, wenn uns laufend neue Themen auf den Kopf fallen.“ Beim Streit um die Finanzen gibt Rohan den Briten Recht. „Wir müssen den gesamten Haushalt überprüfen. Reichere Länder sollten keine Subventionen für ärmere Regionen erhalten, dafür aber weniger Geld in die gemeinsame Kasse einzahlen.“

Außenministerin Plassnik sei für ihre Aufgabe an den EU-Schalthebeln bestens geeignet. „Sie ist fachlich enorm kompetent, und es steht bei ihr die Substanz im Vordergrund“, preist Rohan.

Zu den Schwachstellen Plassniks gehört ihr Umgang mit Medien. Ende Juni verließ sie ihr Pressesprecher Oliver Tanzer nach nur sieben Monaten. Der ehemalige ORF-Journalist kam mit seinen Profi-Tipps in Kommunikationsstrategien nicht durch und durfte zuletzt nur mehr Presseberichte über Plassnik sammeln.

Kühlturm. Auch österreichische Medienvertreter in Brüssel äußern sich kritisch. Ihr heimlicher Spitzname: „Schüssels Kühlturm“. „Sie hat von Schüssel die Abneigung gegenüber Journalisten übernommen“, meint ein langjähriger Korrespondent. „Sie kann im Zwiegespräch durchaus locker und lustig sein. Doch sobald eine Kamera auftaucht, verkrampft sie sich.“ Das dürfte mit einer Erfahrung zusammenhängen, die sie im Juni 1997 als neu engagierte Kabinettschefin von Außenminister Wolfgang Schüssel gemacht hat. Damals erlebte sie, wie ihr Chef wegen der „Frühstücksaffäre“ beim EU-Gipfel in Amsterdam beinahe zum Rücktritt getrieben wurde, nachdem er den deutschen Bundesbank-Präsidenten Hans Tietmayer rüde beschimpft hatte.

Nach dem Antritt der schwarz-blauen Regierung im Jahr 2000 bekam sie – nunmehr im Kanzleramt – das weltweite Medienecho rund um die EU-Sanktionen zu spüren. Schüssels Pressesprecher Florian Krenkel geriet mehrfach in Konflikt mit ihr, als Plassnik fix vereinbarte Interviews des Kanzlers mit internationalen Medien kurzerhand absagte.

Auch unter den 1334 Bediensteten des Außenministeriums mit 90 Vetretungen weltweit hat die gelernte Diplomatin ein strenges Regiment eingeführt. Kritik äußert die Chefin sehr direkt und manchmal auch verletzend. „Aber anstelle einer Entschuldigung findet man am nächsten Tag von ihr ein kleines Buch oder eine Blume am Schreibtisch“, erzählt ein Diplomat. Anders als Ferrero-Waldner scheut sie sich auch nicht, Beamte direkt anzurufen oder per SMS Rat einzuholen. Wer nicht wichtig genug erscheint, wird von ihr übergangen.

Schon im Gymnasium hat die Tochter eines Kärntner Lehrerpaares mit SPÖ-Hintergrund als Klassenbeste nicht nur Bewunderer gehabt. „Sie war einfach in fast allen Fächern die Beste“, erinnert sich eine Klassenkollegin. „Die Lehrer haben sie immer als Vorbild hingestellt. Das förderte Neid und Eifersucht.“

Das Bestreben, immer die Beste zu sein, zog sich auch durch ihr Jusstudium und durch ihre diplomatische Karriere. In der Europa-Integrationsabteilung fiel sie dem heutigen ständigen Vertreter Österreichs bei der EU, Gregor Woschnagg, auf. „Sie erfasst Zusammenhänge in kürzester Zeit und zieht die richtigen Schlüsse. Sie weiß, worauf es ankommt.“ 1997 holte sie Wolfgang Schüssel in sein Kabinett, das sie bis Ende 2003 leitete, um dann als Botschafterin nach Bern zu gehen. Die Diplomatin verblüffte auch durch genaue Kenntnisse in Kulturthemen. Dem Kanzler gibt sie regelmäßig Tipps über lesenswerte Bücher. „Sie kann mit Peter Sloterdijk über philosophische Fragen diskutieren“, weiß ein Kollege am Minoritenplatz.

Auch der Arbeitsstil änderte sich. Zwar fordert sie wie Ferrero vor jedem Termin ein genaues Dossier über alle zu besprechenden Themen. Aber in den Gesprächen selbst hält sie sich selten an vorgefertigte „speaking notes“. „Sie besitzt ein breites Fachwissen und zeichnet sich durch extreme Sachlichkeit aus“, lobt der deutsche Botschafter in Wien, Hans-Henning Horstmann. „Man kann sie auch als Ministerin noch immer am Handy um eine Auskunft bitten.“

In die Familie der EU-Außenminister hat sich Plassnik schnell integriert. Nur beim ersten Treffen hielt sie sich zunächst wie gewohnt am Rande des Saales auf, wo die persönlichen Mitarbeiter der Minister parat stehen. Unscheinbares Verhalten fällt ihr freilich schwer. „Ich bin 1,90 Meter groß und blond“, so Plassnik. „Ich weiß, dass ich auffalle.“

Vor allem zu den Amtskollegen aus Mittel- und Osteuropa knüpfte Plassnik sehr rasch gute Kontakte, etwa zu Eduard Kukan (Slowakei), Cyril Svoboda (Tschechien), Ferenc Somogyi (Ungarn), Adam Rotfeld (Polen) und Dimitrij Rupel (Slowenien). „Ich kannte ja schon die meisten, da tut man sich leichter“, erklärt sie.

Weniger eng sind die Beziehungen zum deutschen Außenminister Joschka Fischer, dem allerdings schon Ferrero-Waldner auf die Nerven ging. Fischer stellte vor Journalisten schmunzelnd die Frage, ob die neue Kollegin wirklich etwas tauge oder bloss „Schüssels Freundin“ sei.

Bei EU-Gipfeltreffen tritt Plassnik inzwischen nicht mehr so unsicher auf. Sie zeigt auch Durchsetzungsvermögen. So hat sie als Befürworterin eines EU-Beitritts von Kroatien die Einsetzung einer eigenen Arbeitsgruppe zur Untersuchung der Kooperation der kroatischen Regierung mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal erreicht.

Seit Amtsantritt absolvierte sie Reisen in alle Nachbarländer, besuchte die Schwerpunktländer für Entwicklungszusammenarbeit und alle Balkanländer. Die Krisenregion machte sie zu einem Schwerpunkt. Die Balkanregion und vor allem die Regelung des Status von Kosovo wird ein außenpolitischer Schwerpunkt des rot-weiß-roten EU-Vorsitzes sein.

Erhard Busek, Koordinator des Stabilitätspaktes für den Balkan, warnt Plassnik vor der von einigen EU-Ländern und der EU-Kommission angeregten Abhaltung eines Balkan-Gipfeltreffens unter österreichischem Vorsitz. „Erfolge eines solchen Treffens sind noch unklar. Aber wir müssen ein Signal geben. Zur Erweiterung der EU in Südosteuropa gibt es keine Alternative, sonst wird der labile Frieden dort ernsthaft bedroht.“

Nahost-Mission. Fingerspitzengefühl bewies Plassnik auch bei ihrer ersten Nahost-Mission Ende Juni, die sie nach Israel und in die Palästinensergebiete führte. In zwei Tagen spulte sie ein dichtes Programm ab. Gespräche mit Israels Staatsspitze, darunter Präsident Moshe Katzav, Premier Ariel Sharon und Außenminister Silvan Shalom, am ersten Tag, danach mit der politischen Führung der Palästinenser, allen voran Präsident Mahmoud Abbas.

Während EU-Außenkommissarin Ferrero-Waldner bei ihrem Besuch im Februar ein persönliches Gespräch mit Arafats Nachfolger erzwingen musste, indem sie Abbas resolut vom Abendessen mit Frankreichs damaligen Außenminister Michel Barnier wegführte, konnte Plassnik auf die Tricks der österreichischen Diplomaten bauen. Als Abbas im Vorfeld keinen Termin mit Plassnik freimachen wollte, wurde ihm mitgeteilt, dass es seltsam wäre, wenn das künftige Mitglied der EU-Troika nur mit der israelischen Führung Gespräche führen würde. Der Palästinenserchef fand darauf doch Zeit. Etwas angespannt verliefen Pressekonferenzen in Israel. So sprach Israels Außenminister Shalom in Gegenwart Plassniks lange über die Normalisierung der Beziehungen zu Neuseeland und verwechselte prompt Austria mit Australia.

Von Otmar Lahodynsky
Mitarbeit: Marianne Enigl, Klemens Kaps