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Europa: Uneinige Union

Uneinige Union

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Als Großbritanniens Premierminister Tony Blair Sonntagabend vorvergangener Woche vor dem TV-Schirm saß und den Ausgang des schwedischen Euro-Referendums miterlebte, wusste er, dass sein Ziel einer baldigen Abstimmung über die Einführung des Euro im Vereinigten Königreich unrealistisch geworden war. Mit einer deutlichen Mehrheit von 56 Prozent hatten die Schweden gegen einen Beitritt zum europäischen Währungssystem votiert. Die Befürworter – allen voran Premierminister Göran Persson – hatten eine deutliche Schlappe erlitten. Nur 42 Prozent der Schweden hatten für die Euro-Einführung gestimmt.
Nicht dass Tony Blair wegen der Euro-Skepsis der Schweden und der Niederlage, die sein Kollege Persson erlitten hat, seine Sympathie für die europäische Gemeinschaftswährung verloren hätte. Er selber gilt weiterhin als engagierter Euro-Befürworter. Aber schon sein Finanzminister Gordon Brown zählt zu den Gegnern – ebenso wie ein beträchtlicher Teil der britischen Geschäftswelt. Nicht wenige Unternehmer befinden sich – auch in dieser Frage – auf einer Linie mit der konservativen Partei. Die Tories, größte Oppositionspartei im Lande, stellen die hartnäckigsten Kämpfer gegen die Abschaffung des Pfund. Und dass sich die öffentliche Stimmung auf der Insel ganz generell noch weit vehementer gegen den Euro richtet als in Schweden, macht Tony Blair die Option eines britischen Referendums nicht eben schmackhafter.

Seit der Euro am 1. Jänner 2002 in elf europäischen Staaten als alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt worden ist, sind in Schweden regelmäßig Umfragen zur Erhebung des Meinungsklimas in Bezug auf die Euro-Währung durchgeführt worden. Nur einmal, nämlich im Herbst 2002, wiesen diese Umfragen mehr als fünfzig Prozent Euro-Befürworter aus. Aber immerhin einmal. In Good Old England erreichte die Euro-Sympathie nie auch nur annähernd solche Dimensionen. Dort lag die Zustimmung zum Euro in der Regel zwischen 21 und 28 Prozent. Ein einsamer Ausreißer in dieser Zeitreihe, nämlich 31 Prozent Pro-Euro-Stimmen, findet sich bezeichnenderweise ebenfalls im Vorjahres-herbst: Als George W. Bush den Irak-Krieg vorbereitete, rückten auch die Briten mental näher mit dem Rest Europas zusammen. Und dies inkludierte auch das Geld.

Dänemark auf der Kippe. Ein drittes europäisches Land hat die Frage für sich ebenfalls noch nicht endgültig entschieden und wird sich dem Thema noch einmal stellen: Dänemark. Die Dänen haben den Euro bereits einmal per Referendum abgelehnt. Seit dem Vorjahresherbst zeigt das Meinungsbarometer aber konstant mehr als 50 Prozent Zustimmung. Trotzdem bezieht etwa das „Wall Street Journal Europe“ auch Dänemark mit ein, wenn es schreibt, dass nach dem schwedischen Referendum in absehbarer Zeit nun wohl keine der Euro-freundlichen Regierungen dieser Länder „das Risiko einer Abstimmungsniederlage eingehen“ werde. Diese Situation würde erst dann eine Änderung erfahren, wenn sich Euro-Land ökonomisch von einer behäbigen Schnecke in ein flinkes Rennpferd mit Siegeswillen verwandelt. „Wenn die Situation eintritt, dass die freiwilligen Euro-Outsider nicht mehr bessere wirtschaftliche Ergebnisse vorweisen als Euro-Land selbst“, so das „Wall Street Journal Europe“, werde sich das Klima drehen.
Falls eine solche Situation je eintritt.

Schweden kann derzeit nicht nur auf Budgetüberschüsse, sondern auch auf niedrigere Inflationsraten und eine bessere Beschäftigungslage als Euro-Land stolz sein. Liegt die Arbeitslosenquote in Gesamt-Euro-Land bei fast neun Prozent, so hebt sich Schweden mit 5,4 Prozent positiv ab. Die „Economist Intelligence Unit“, eine Schwestergesellschaft des britischen Wochenmagazins „Economist“, sagt Schweden für das laufende Jahr ein Wirtschaftswachstum von 1,3 Prozent und für 2004 eines von 2,3 Prozent vorher. Euro-Land müsse sich 2003 mit 0,6 Prozent und kommendes Jahr mit 1,8 Prozent zufrieden geben.

Kritik an der EZB. In der Wirtschaftspolitik Euro-Lands sieht der „Economist“ schlicht „Konfusion pur“. Der Europäischen Zentralbank (EZB) beispielsweise wird weithin vorgeworfen, die Zinsen zu lange nicht gesenkt und ein unnötig strenges Inflationsziel angepeilt zu haben. Auch Helmut Kramer, Chef des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo), kritisiert die EZB. „Wenn es zum Beispiel heißt, die EZB habe in ihrer Zinspolitik die schwache deutsche Konjunktur überhaupt nicht berücksichtigt, auf die im Europavergleich relativ hohe portugiesische Inflationsrate aber sehr sensibel reagiert, so ist dieser Vorwurf nicht ganz unberechtigt“, findet Kramer. Solange Länder wie Schweden den Eindruck gewinnen müssen, mit dem Euro-Beitritt gewissermaßen eine Wachstumsbremse verpasst zu bekommen, so lange werde in diesen Ländern die Euro-Begeisterung wohl gering bleiben.
Ganz abgesehen davon, dass sich, so Kramer, „herausgestellt hat, dass die Mitgliedsländer und Erfinder des Europäischen Stabilitätspakts selber gar nicht imstande sind, diesen Pakt einzuhalten“. Schweden hingegen würde, wäre es Euro-Mitgliedsland, die Bedingungen des Stabilitätspakts klaglos erfüllen.

„Es schaut ganz so aus, dass wir die schlauere Wirtschaftspolitik machen“, hätten sich die Schweden laut „Economist“ da eben gesagt und sich gefragt: „Warum sollen wir uns dann durch einen Euro-Beitritt wirtschaftspolitisch freiwillig selber fesseln?“

Keine Notwendigkeit dazu sah bisher Nils Gottfries, Ökonomieprofessor an der Universität Uppsala: Das wirkliche Problem beim Aufgeben der zins- und währungspolitischen Selbstständigkeit des Landes tauche dann auf, so der Professor, wenn sich die schwedische Volkswirtschaft konjunkturell mal nicht im Gleichtakt mit den anderen Euro-Mitgliedsländern entwickeln sollte. Dann würden sich nämlich eine Euro-einheitliche Zins- und Wechselkurspolitik „destabilisierend auf die schwedische Wirtschaft auswirken“. Gottfries vergleicht die Entscheidung, dem Euro fernzubleiben, mit dem Abschluss einer Versicherung: Die Ausgaben, die – wenn man die Schwedenkrone behält – in Form höherer Kosten der Selbstständigkeit anfallen, seien als Versicherungsprämien zu betrachten. Die müsse man bezahlen, um das Instrument einer eigenständigen Geldpolitik zur Verfügung zu haben. Zum Einsatz komme es dann, wenn sich Wirtschaft und Konjunktur des eigenen Landes anders entwickeln als im übrigen Europa.

Bauch-Entscheidung. Ob sich ein Land letztlich für oder gegen den Euro entscheidet, hängt freilich zu einem hohen Maß von anderen Faktoren als den rein ökonomischen ab. Der österreichische Soziologe Roland Girtler nennt Landeswährungen „Symbole, mit denen sich die Bevölkerung identifizieren kann“. Der Euro sei das nicht.

Girtler würde offenbar, hätte Österreich die Euro-Entscheidung noch vor sich, am Wahlzettel das Nein ankreuzen. Wobei er beinah pathetisch hinzufügt: „Vielen Landsleuten wird erst jetzt bewusst, dass ihnen etwas genommen wurde. Der Schilling hat eine Geschichte, der Euro nicht. Wenn man einer Kultur ihre Symbole nimmt, ist das der erste Schritt, sie zu zerstören.“