Exklusiv: Hat Hans-Peter Martin eine Million abgezweigt?

Europaparlamentarier Hans-Peter Martin schlittert in eine Korruptionsaffäre

Affäre. Der Europaparlamentarier Hans-Peter Martin schlittert in eine Korruptionsaffäre

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„Martin und Martin“, das war zu seinem Marketing-Gag geworden. Wann immer Hans-Peter Martin, ­österreichischer EU-Abgeordneter mit fragwürdigem Ruf, die Erfolge seiner gleichnamigen Liste pries, rückte er seinen Mitstreiter Martin Ehrenhauser ins Rampenlicht – und bei dieser Gelegenheit eitelkeitsbedingt auch sich selbst. Das klang dann so: „Martin Ehrenhauser deckt Skandal um Skandal auf, er leistet hervorragende Kontrollarbeit. Damit gibt es jetzt zwei Martins.“

„Martin und Martin“
, ein unzertrennliches Duo – das war einmal. Jetzt heißt es: Martin gegen Martin. Ein Packen Papier führte nun zum Bruch zwischen den politischen Kompagnons.

Am Freitag der Vorwoche erstattete der EU-Abgeordnete Ehrenhauser Anzeige bei der Wiener Staatsanwaltschaft. Ehrenhauser sind nämlich umfangreiche Unterlagen über Martins Buchhaltung zugespielt worden. Die Vorwürfe, die sich für ihn daraus ableiten, wiegen schwer. Hans-Peter Martin, selbst ernannter Brüsseler Saubermann, steht im Verdacht, gut die Hälfte der staatlichen Kostenrückerstattung für den EU-Wahlkampf 2009 zu seinen Gunsten verwendet zu haben. Er soll private Ausgaben als Parteiaufwendungen abgerechnet, unerklärlich hohe Honorare an befreundete Unternehmer gezahlt und die Wirtschaftsprüfer möglicherweise mit Scheinbelegen getäuscht haben. In Summe geht es jedenfalls um eine Million Euro Steuergeld, die widmungsfremd ausgegeben worden sein soll – und dies vielleicht sogar vorsätzlich.

Es war mehr als ein Achtungserfolg, den Hans-Peter Martin mit seiner „Liste Dr. Martin – Für Demokratie, Kontrolle, Gerechtigkeit“ im Juni 2009 erlangte. Mit dem Image des untypischen Politikers, der die Spesen-Missstände in Brüssel im Auge behalten wolle, überzeugte Martin 17,7 Prozent der Wähler und zog mit zwei weiteren Mandataren ins EU-Parlament ein: Martin Ehrenhauser und Angelika Werthmann.

Der Erfolg schlug sich auch finanziell üppig nieder. Das österreichische Parteiengesetz münzt Wählerstimmen in Euro um. Somit flossen der Liste Martin über 2,3 Millionen Euro Wahlkampfkostenrückerstattung zu. Damit decken Parteien nachträglich Ausgaben für den Wahlkampf ab. Diese hielten sich im Fall der Liste Martin in engen Grenzen: Immer wieder hatte Martin während der Wahlauseinandersetzung betont, lediglich den Bettel von 500.000 Euro in die Wahlwerbung zu stecken. Den Rest erledigte die „Kronen Zeitung“, die für den EU-Kritiker euphorische Schlagzeilen und Raum für seine ganz persönliche Kolumne parat hatte.

Von dem Trio, das nach Brüssel gezogen war, saßen im Sommer 2010 nur noch zwei im Boot. Listendritte Angelika Werthmann hatte Martin nach nicht einmal einem Jahr den Rücken gekehrt. Zu dieser Zeit ­standen auch die Wirtschaftsprüfer ante portas, um die Verwendung der Wahlkampfkostenrückerstattung zu durchleuchten. Schließlich handelt es sich um Steuergeld. Bis 30. September 2010 musste ein entsprechender Rechenschaftsbericht in der „Wiener Zeitung“ veröffentlicht werden. Ehrenhauser verlangte nun ebenfalls Einsicht in die Buchhaltung.

Martin? Stellte sich laut Ehrenhauser taub. Ehrenhauser urgierte mehrfach. Martin? Soll die Forderung hartnäckig ignoriert haben. Am 29. September schließlich knallte ein verstimmter Martin seinem Delegationskollegen die laut Parteiengesetz vorgeschriebenen Zahlenreihen auf den Tisch. Es war, man kann es nicht anders nennen, eine betriebswirtschaftliche Meisterleistung: Die Liste Martin hatte exakt 2.332.617,96 an Wahlkampfkostenrückerstattung eingenommen – und bis 20. September 2010 exakt 2.332.617,96 ausgegeben.

Misstrauen.
Jetzt war Ehrenhauser schon misstrauisch geworden. Doch was er jüngst entdeckte, „schockierte“ ihn. Offenbar ließ Martin in mehreren Fällen Scheinbelege ausstellen, tätigte private Ausgaben auf Kosten der Partei und schummelte entsprechende Rechnungen unter unverfänglichem Betreff in die Parteiausgaben. Drei Fälle liegen profil detailliert vor. So ließ sich Martin etwa sein Wohnhaus in Tübingen großzügig von einem Architekten ­umplanen, die Rechnung wurde unter „Sachaufwand für Öffentlichkeitsarbeit“ fakturiert; Anwaltskosten für private Mietrechtsstreitigkeiten finden sich in der Kontenaufstellung unter „Gerichtskosten“ wieder; eine Vorauszahlung an einen Anwalt wurde, obwohl noch nicht ausgegeben, zur Gänze eingebucht.

Ermöglicht wurde dies durch Umwege, über die Martin seine Rechnungen abwickelte: Jene 2,3 Millionen Wahlwerbungskosten flossen von der Republik an die Partei „Liste Martin“, deren Vorstand Hans-Peter Martin ist. Von dort gingen 1,9 Millionen weiter an die Global Informations GmbH in Wien-Leopoldstadt, die wiederum im Alleineigentum Martins steht und als Abrechnungsstelle für die Partei dient. In deren Bücher hatte außer Martin niemand Einblick. Ehrenhauser: „Von hier weg wurden Rechnungen bezahlt, die mutmaßlich nichts mit politischen Ausgaben zu tun hatten.“

Im Sommer 2010 nahm die Wirtschaftsprüfungskanzlei Holzer & Partner die Finanzgebarung Martins unter die Lupe. In einem mit 31. August 2010 datierten Mail der Wiener Kanzlei wird Martin darauf hingewiesen, dass dieses Konstrukt Ungereimtheiten aufweist: Die Abwicklung der Zahlungen über die Global Informations sei eine „Selbstkontrahierung“, also ein unerlaubtes „In-sich-Geschäft“, weil Martin zugleich Geschäftsführer und Alleingesellschafter ist; die Zahlungen an die Global Informations seien „nicht als widmungsgemäße Verwendung“ im Sinne des Parteiengesetzes zu qualifizieren; überdies wären die „ausgewiesenen Rechnungsbeträge … der Höhe nach nicht nachvollziehbar“ und wiesen „maßgebliche Differenzbeträge zu den vorgelegten Detailrechnungen“ aus. So weit die Wirtschaftsprüfer.

Martin nahm diese Einwendungen offenbar ernst. Am 20. September teilten Holzer & Partner dem Finanzministerium schließlich mit, dass die Fördermittel „vollständig widmungsgemäß verwendet“ wurden.
Ob Martin dieses Testat möglicherweise mittels Scheinbelegen erlangte, wie in der Sachverhaltsdarstellung angeführt wird, obliegt nun der Aufklärung der Staatsanwaltschaft.

Missverhältnis.
Welch Ironie. Martin verdankt seinen politischen Erfolg dem Wüten gegen den Brüsseler Spesendschungel und gegen EU-Parlamentarier, die sich ­dadurch angeblich bereichern. Um unredliche Spesenabrechnung nachzuweisen, scheute er in der Vergangenheit keine noch so zweifelhafte Recherchemethode: Er horchte seine Kollegen in privaten Plaudereien aus, lauerte ihnen auf, jagte ihnen sogar mit einer Knopflochkamera hinterher. Neben diesen Eskapaden und seinen in schöner Regelmäßigkeit wiederkehrenden Zerwürfnissen mit Mitstreitern stand er selbst schon mehrfach im Verdacht, es mit der Verwendung öffentlicher Gelder nicht so genau zu nehmen.

Schon nach der Europawahl 2004 hieß es, Martin habe die Wahlkampfkostenrückerstattung – damals 1,5 Millionen Euro – unrechtmäßig verwendet. Das Kanzleramt prüfte, es kam nichts heraus. Martin ließ sich nicht in die Bücher schauen.

Das Parteiengesetz aus dem Jahr 1975 ist bei derlei Untersuchungen keine rechte Hilfe. Darin wird die Verwendung von Fördermitteln geregelt – und gleichzeitig nicht geregelt. Die Ausgaben aus der Wahlkampfkostenrückerstattung müssen ordnungsgemäß verzeichnet werden. Das Geld muss aber nicht zwangsweise Aufwendungen für den vorangegangenen Wahlkampf abdecken, sondern darf auch für Öffentlichkeitsarbeit oder für Rechtsbeistand in politischen Auseinandersetzungen während der Legislaturperiode fließen. Die Wirtschaftsprüfer, die im Auftrag des Finanzministeriums die Buchhaltung der Parteien durchleuchten, sind von den jeweiligen Parteichefs handverlesen. Ihrer Interpretation ist es überlassen, welche Zahlung im Sinne des Parteiengesetzes sind und welche nicht. Werden Gelder tatsächlich zweckwidrig verwendet, kann die Förderung zurückverlangt werden – muss aber nicht. Gummiger geht es kaum.

Misswirtschaft.
Durchschlagskräftiger war da schon der Europäische Gerichtshof. Ebenfalls 2004 geriet Martin ins Visier der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf, die Martin nachwies, dass er 163.851 Euro Bürokostenersatz und Sekretariatszulagen regelwidrig abgerechnet hatte. Martin hatte Assistenten beschäftigt, ohne Mitarbeiterverträge vorzulegen. Andere hatte er gekündigt, ohne dies zu melden. Büroausgaben wiederum waren aus Spesenzuschüssen bezahlt worden. Martin wurde zur Rückzahlung verdonnert. Er klagte beim EuGH – und verlor 2010.

Es zieht sich wie ein roter Faden durch die politische Karriere des ehemaligen Buchautors, dem ursprünglich die SPÖ 1999 als Spitzenkandidat den Weg ins EU- Parlament geebnet hat: Er fordert Transparenz ein, selbst hält er seine Finanzgebarung stets bedeckt. „Was ich nach außen vertrete, muss ich auch intern verteidigen, das ist eine Frage der Moral und des Anstands“, sagt Ehrenhauser. Er will sich nicht vorwerfen lassen, „die Wähler getäuscht zu haben“. Deshalb schaltet er nun die Staatsanwaltschaft ein.

Martin weist die gegen ihn erhobenen Vorwürfe aufs Schärfste zurück. „Die offiziell vom Finanzministerium bestellten Prüfer bestätigten, dass alle Mittel korrekt und widmungsgemäß verwendet wurden“, schreibt er in einer Stellungnahme an profil. „Über meine Firma Global Informations GmbH sowie über mich als Privatperson müssen oft die Kosten über Jahre hinweg vorfinanziert werden, da die ,Liste Martin‘ nur im Falle eines Wahlwerbungskosten-Beitrags über Finanzmittel verfügt.“ Deshalb sei in die jüngste Prüfung auch die Global Informations einbezogen gewesen: „Ich konnte belegen, dass kein von der ‚Liste Martin‘ eingegangenes Geld in der Firma verblieben war.“

Dass ihn der EU-Wahlkampf lediglich 500.000 Euro gekostet habe, bestreitet er heute: „Im Laufe des Wahlkampfs habe ich erklärt, dass die Kosten insgesamt viel höher sein werden. Allein die Plakatkosten für den Intensivwahlkampf 2009 lagen über dem Betrag von 500.000 Euro.“
Die von ihm erstellte Kostenrechnung widerlegt diese Behauptung. Tatsächlich werden Plakatkosten von weniger als 400.000 Euro angeführt. Der Löwenanteil davon ging an die EPA Media.

Als vor wenigen Wochen die Lobbyinggeschäfte Ernst Strassers aufgeflogen waren, sagte Martin: „Strasser steht für den Typus Politiker, der nimmt, was er kriegen kann. Die Art, wie Strasser Politik mit seinen persönlichen geschäftlichen Interessen verbindet, ist absolut unvereinbar.“
Hör mal, wer da spricht.

PLUS: Die konreten Vorwürfe gegen Martin