„Für die gute Kleiderordnung“

Ewald Nowotny: „Für die gute Kleiderordnung“

Interview. Nationalbank-Gouverneur Ewald Nowotny über den Euro und die Krise

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Interview: Georg Hoffmann-Ostenhof, Eva Linsinger

profil: Sie haben einst als Bawag-Chef gesagt: Wenn Sie gewusst hätten, was auf Sie zukommt, hätten Sie den Job nie angenommen. Gilt das auch für Ihre Aufgabe in der Nationalbank? Normalerweise ist das ein honoriger, aber eher ruhiger Job.
Nowotny: Für einen Volkswirt wie mich ist die Leitung der Nationalbank der spannendste Beruf, den man überhaupt haben kann. Sie haben allerdings Recht: Ein Hauch weniger Spannung wäre mir manchmal recht. Aber natürlich ist der Kampf gegen die Eurokrise eine große Her-ausforderung und spannende Aufgabe.

profil: Sie und Ihre Kollegen von der Europäischen Zentralbank (EZB) treffen in diesen Krisenzeiten Entscheidungen, die gewaltige Konsequenzen haben. Wird einem da nicht manchmal mulmig?
Nowotny: Mulmig ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Aber natürlich ist einem bewusst, dass man bei wichtigen Entscheidungen mitwirkt, wo es naturgemäß nicht nur eine Lösungsvariante gibt. Daher muss man immer mit einer gewissen Unsicherheit kämpfen. Jeder von uns bemüht sich, nach bestem Wissen vorzugehen. Aber ob das richtig war, ist in vielen Fällen erst im Nachhinein festzustellen.

profil: Im Grunde übernimmt die EZB viele Agenden, die eigentlich von politischen Akteuren wahrgenommen werden müssten.
Nowotny: Das wollen wir gerade nicht.

profil: Aber Sie machen es.
Nowotny: Wir unterscheiden sehr genau zwischen der Geldpolitik, für die wir ein klares Mandat haben, und den übrigen Bereichen der Wirtschaftspolitik.

profil: Die gehen jedoch ineinander über. Sie waren selbst einmal Abgeordneter im Parlament. Haben Sie manchmal Bauchweh, wenn die EZB agiert, ohne demokratisch legitimiert zu sein?
Nowotny: Es ist eine bewusste Entscheidung in den meisten hoch entwickelten Staaten der Welt, die Notenbank im Rahmen demokratisch festgelegter Regeln unabhängig zu machen. Das ist eine Ausnahme im Rahmen des politischen Systems, die auch für Gerichte gilt.

profil: In der Schuldenkrise agieren Sie am Rande Ihres Mandats. Wie lange hält Demokratie das aus?
Nowotny: Deshalb bin ich für die gute Kleiderordnung. Man muss wissen, was man von einer Notenbank verlangen kann – und was nicht. Und ich bin der Meinung, dass die EZB im Rahmen ihres Mandats handelt.

profil: Wird derzeit zu viel verlangt?
Nowotny: Es wird derzeit sicherlich von der EZB sehr viel verlangt. Manches davon können wir nicht erfüllen – weil wir eine andere Voraussetzung als die amerikanische Fed haben.

profil: Wäre es sinnvoll gewesen, die EZB so zu konstruieren wie die Fed, die viel direkter Wirtschaftspolitik machen kann?
Nowotny: Das ist eine Frage, die sich mir als aktivem Notenbank-Gouverneur nicht stellt. Als Professor an der Wirtschaftsuniversität hätte ich darüber lange diskutieren können.

profil: Was hätte Professor Nowotny gesagt?
Nowotny: Darüber halte ich vielleicht einmal ein Seminar. Als Gouverneur sage ich: Die Entwicklung der EZB passierte nicht im luftleeren Raum, sie hatte ja den Übergang von Schilling, D-Mark und Franc zum Euro zu bewältigen. Da ist auch Vertrauenskapital mit involviert. Und die EZB muss mit diesem Vertrauenskapital sehr sorgfältig umgehen.

profil: Finden Sie es nicht erbärmlich, dass alle 23 EZB-Posten von älteren Männern besetzt sind? Das hat mit moderner Repräsentanz gar nichts zu tun.
Nowotny: Es ist tatsächlich ein eigenartiger Anblick, wenn wir eines dieser Gruppenfotos machen, und es sind nur Männer darauf. Das wird sich, davon bin ich überzeugt, im Laufe der Zeit ändern.

profil: Hat die EZB so viele Rollen übernommen, weil die Politik bei der Lösung der Eurokrise versagt?
Nowotny: Das ist eines der großen Probleme: Die Maßnahmen, die wir setzen, bedürfen in der Regel einer Ergänzung durch die Politik. Wenn diese Ergänzung nicht kommt, bleiben unsere Maßnahmen vergleichsweise wenig wirkungsvoll.

profil: Nun soll die EZB künftig alle 8000 Banken Europas kontrollieren.
Nowotny: Die Bankenaufsicht ist eine wichtige, in der Regel aber undankbare Aufgabe in einer Volkswirtschaft. Ich zögere aber nicht deshalb. Man soll Verantwortung daher nur in der Form übernehmen, wie man sie auch korrekt ausüben kann. Gerade im Bereich der Bankenaufsicht ist nichts gefährlicher, als wenn einem die Ressourcen für die Aufsicht fehlen. Daher sollten wir, auch im Interesse der Reputation der EZB, die Bankenaufsicht jeweils in dem Ausmaß und Umfang übernehmen, wie wir dafür auch die Mittel haben.

profil: Sind Sie enttäuscht von der mangelnden Lösungskompetenz der Politik?
Nowotny: Enttäuschung ist keine politische Kategorie. Aber ich beobachte, dass wir manche Notwendigkeiten hätten, die von der Politik derzeit nicht erfüllt werden können. Das wurzelt in der Geschichte: Die EU wollte beides, Erweiterung und Vertiefung. Diese Strategie hat nicht funktioniert. Wir hatten nur Erweiterung.

profil: Die Altvorderen wie der deutsche Ex-Kanzler Helmut Schmidt sagen, dass es gar keine Krise des Euro gebe. Welche Krise ist es denn?
Nowotny: Er hat ökonomisch Recht. Der Euro erfüllt die zwei Aufgaben einer Währung, die im Wirtschaftslehrbuch stehen: Er funktioniert als Zahlungsmittel und ist preisstabil. Was wir haben, ist eine Schuldenkrise mancher Mitgliedsstaaten der EU – einer zunehmend größeren Zahl, muss man leider hinzufügen.

profil: Vor zwei Jahren hieß es, die kleine griechische Wirtschaft werde den Euro nicht erschüttern. Jetzt zieht die Krise immer weitere Kreise. Wie konnte das passieren?
Nowotny: Man hat die Ansteckungsgefahr unterschätzt. Griechenland hat weniger als drei Prozent Anteil am EU-Bruttonationalprodukt, die unmittelbaren ökonomischen Verflechtungen sind gering. Aber wir haben gesehen, welche Konsequenzen die Unsicherheit hat, wenn es um die finanzielle Stabilität eines Staats geht: Zuerst ist niemand mehr bereit, Staatsanleihen zu kaufen, dann investiert niemand mehr, dann sackt die Wirtschaft ab, zuletzt erfasst es die eigene Bevölkerung, die ihr Geld von den Banken holt. Und dann überträgt sich das auf andere Staaten.

profil: Mit der Weisheit des Rückblicks: Wurden im Krisenmanagement Fehler gemacht?
Nowotny: Man könnte sagen: Hätte man die Lage in Griechenland rascher und energischer stabilisiert, hätte man die Lawine von negativen Erwartungen eindämmen können.

profil: Also Deutschland und Angela Merkel als ewige Bremser sind schuld?
Nowotny: Es geht nicht um Schuldzuweisungen. Aber eine Erfahrung, die man auch in Bankenkrisen hat – und ich weiß, wovon ich rede –, lautet: Wenn es brennt, muss man rasch handeln.

profil: Kommen wir zur letzten Entscheidung der EZB, notfalls unbegrenzt Anleihen von Krisenstaaten zu kaufen. Das ist ein massiver und von der Bundesbank auch kritisierter Tabubruch. Ist damit wenigstens die Krise überwunden?
Nowotny: Das kann ein wirksames Instrument sein, um die Krise einzudämmen und die Erwartungen zu stabilisieren. Allerdings muss die Politik mitspielen, damit dieses Instrument auch positiv eingesetzt werden kann. Nur so kann man die Märkte überzeugen. Wenn etwa Spanien nicht unter den Rettungsschirm schlüpft, können wir auch nicht helfen.

profil: Sie und Ihre EZB-Kollegen machen ja normalerweise ein großes Geheimnis daraus – verraten Sie uns dennoch, wie eine solche Entscheidung in der EZB getroffen wird. Wurde der skeptische deutsche Kollege einfach überredet?
Nowotny: Wir suchen immer nach einem Konsens. Es gibt wenige Fälle, wo das nicht der Fall ist – dann kann es zu Abstimmungen kommen. Wobei man es als nicht unproblematisch sehen kann, dass jeder Gouverneur die gleiche Stimme hat.

profil: Also die Stimme des kleinen Österreich zählt so viel wie die des großen Deutschland.
Nowotny: Da würde ich eher Malta und Zypern als klein sehen. Im Internationalen Währungsfonds ist es anders. Da werden die Stimmen nach dem Kapitalanteil gewichtet.

profil: Sollte man das ändern?
Nowotny: Das liegt nicht an mir. Es handelt sich um europäische Verträge, deren Änderung bekanntlich lange dauert.

profil: Wir fragen Sie nach Ihrer Meinung.
Nowotny: Ich meine – selbst als Bürger eines kleinen Staats –, dass es gerade bei wirtschaftlichen Fragen insgesamt der Stabilität dient, unterschiedliche wirtschaftliche Gewichte zu berücksichtigen.

profil: Bevor Sie bei einer Entscheidung wie dem unbegrenzten Ankauf von Anleihen abstimmen – konsultieren Sie die Regierung?
Nowotny: Ich bin verpflichtet, mir eine Meinung ohne Konsultation der Regierung zu bilden. Ich berate mich mit niemandem außerhalb der Oesterreichischen Nationalbank.

profil: Die Kritiker sagen, der unbegrenzte Kauf von Anleihen sei das, was viele Menschen nicht wollen: der Einstieg in die Schuldenunion.
Nowotny: Das ist ein Missverständnis. Eine Vergemeinschaftung von Schulden setzt eine Fiskalunion voraus, das heißt eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik in der EU. Und diese ist realistisch nur möglich, wenn ich zumindest in Teilbereichen auch eine politische Union habe.

profil: Davon träumen derzeit viele Politiker. Werden wir diese Fiskalunion noch erleben?
Nowotny: Ich wünsche Ihnen ein sehr langes Leben, aber auch als überzeugter Pro-Europäer fürchte ich, wir werden das alle nicht in dieser umfassenden Form erleben. Die Hoffnung auf solche Sternstunden, auf solche großen Schritte, ist nicht realistisch. Es geht um Einzelschritte. Europa kann nicht über die Köpfe und auch über die Herzen der Bevölkerung hinweg errichtet werden. Ich brauche auch – und das ist sehr wichtig – ein Sicherheitsventil. Das heißt: Wenn ich kleinere Maßnahmen setze, dann kann ich leichter korrigieren, als das bei größeren möglich wäre.

profil: Aber man kann auch zu langsame Schritte setzen, wie wir in den vergangenen drei Jahren gesehen haben.
Nowotny: Das ist eben genau die Herausforderung. Die richtige Dosierung zu finden ist schwierig. Da ist auch der Punkt, wo das menschliche Element, der Aspekt von Leadership, ins Spiel kommt. Es braucht Menschen, die bereit sind, so etwas mit massivem Einsatz zu verfolgen.

profil: Sehen Sie die?
Nowotny: Leider zu wenige. Es ist vielleicht auch nicht die Zeit für solche Persönlichkeiten.

profil: Das deutsche Verfassungsgericht hat grünes Licht für den Rettungsschirm ESM gegeben. Kritiker geißeln den ESM als undemokratisch. Verstehen Sie diese Kritik?
Nowotny: Ich glaube, hier besteht ein Missverständnis. Die Grundstruktur des ESM ist natürlich demokratisch legitimiert. Demokratie heißt aber nicht, dass ich jede einzelne Maßnahme durch Neuabstimmung legitimieren muss. Das wäre so, als müsste jeder Verwaltungsakt, der aufgrund eines Gesetzes gemacht wird, noch einmal ins Parlament.

profil: Im Artikel 19 kann aber der ESM-Rat einfach die Finanzierungsinstrumente ändern. Passen solche Notverordnungen in das EU-Regelwerk?
Nowotny: Dem muss ich strikt widersprechen. Von Notverordnung ist keine Spur. Der ESM ist ein demokratisch entstandenes Konzept, aber er muss auch funktionstüchtig bleiben. Wovor ich Angst hätte, wäre ein Modell à la polnischer Reichstag, da hatte vor einigen hundert Jahren in einer höchst demokratischen Weise fast jeder Adelige, jeder kleine Fürst ein Veto. Das Ergebnis war letztlich eine dauerhafte Krise. Diese innere Schwäche wurde von den rivalisierenden Mächten ausgenützt und führte dazu, dass Polen damals von der Landkarte verschwunden ist.

profil: Theoretisch muss nun jeder Staat seine Anteile, sein Stammkapital in den ESM einbringen. Aber wie können das die Griechen oder Portugiesen tun, die aus dem letzten Loch pfeifen?
Nowotny: Der ESM soll eine Art europäischer Währungsfonds sein. Alle Staaten zahlen ein, Österreich etwa 2,2 Milliarden Euro. Auch die Krisenländer Griechenland, Irland und Portugal müssen ihren Beitrag im Rahmen der Hilfsabkommen leisten.

profil: Neben Ihrem offiziellen Amt haben Sie inoffiziell die Rolle des Eurokrisenerklärers übernommen. Hätten Sie sich da mehr Unterstützung von der Politik erhofft?
Nowotny: Fast im Gegenteil.

profil: Sie wünschen sich, dass Kanzler und Co nichts sagen?
Nowotny: Mir ist wichtig, dass es sehr klar ist, dass ich als unabhängiger Gouverneur für eine unabhängige Notenbank spreche. Ich suche nicht die Nähe zur Politik.

profil: Wie oft haben Sie in Ihrer Rolle als Krisenkommunikator gelogen?
Nowotny: Ich hoffe nicht, dass Sie mir unterstellen wollen, dass ich lüge.

profil: Eurozonen-Chef Jean-Claude Juncker selbst sagt, in einer Krise müsse man manchmal lügen.
Nowotny: Diese Aussage habe ich für einen sehr schweren Fehler gehalten. Immer wenn ich etwas sage, überlege ich mir, wie diese Aussage in drei Monaten oder in einem halben Jahr aussieht. Natürlich kann ich mich irren. Aber dann ist es ein Irrtum und keine Irreführung.

profil: Gehört Schönreden zu Ihrer Job-­Description?
Nowotny: Nein. Das würde auch nicht meinem Temperament entsprechen. Manche kritisieren mich, dass ich zu nüchtern und zu ernsthaft bin. Ich bin nur dagegen, dass man in Hysterie verfällt. Die möchte ich bekämpfen. Ich versuche, die Vernunft zu Wort kommen zu lassen.

profil: Sie sind 68 Jahre alt und bewerben sich noch einmal für das Amt des Gou­verneurs. Warum tun Sie sich das erneut an?
Nowotny: Der Stress ist es wert: So oft hat man nicht die Möglichkeit, an einem Stück Wirtschaftsgeschichte mitzuwirken, und ich hoffe, ich kann da etwas beitragen.