Exklusiv: MEL - Das Prinzip Gier

Exklusiv. Das Prinzip Gier

Wolfgang Flöttl speku- lierte mit Meinl-Krediten

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Können diese Augen lügen? Mittwochabend vergangener Woche gönnte die „ZiB 2“ ihren Zusehern ein Schauspiel der besonderen Art: Julius Meinl V. stellte sich Fragen zu den Turbulenzen der Unternehmensgruppe, die seinen Namen trägt. Grauer Nadelstreif, blütenweißes, gestärktes Hemd, türkise Seidenkrawatte, blitzende Manschettenknöpfe, große Kulleraugen, adretter Seitenscheitel – kurzum: ein Bub, auf den jede Mama mächtig stolz wäre. Auch wenn er neuerdings im Zentrum einer Affäre steht, die ihn und seine Familie mehr als nur den guten Ruf kosten könnte.

Gebetsmühlenartig schob Meinl jede Verantwortung für die mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten rund um die börsennotierte Immobiliengesellschaft Meinl European Land Limited (MEL) von sich. Und beharrte auf der Feststellung, dass weder er noch die Meinl Bank „direkt oder indirekt“ an MEL beteiligt seien.

Dem aufmerksamen Zuseher drängte sich eine Frage auf: Warum spricht jemand öffentlich über und für ein Unternehmen, mit dem er eigentlich nichts zu tun hat?

Seit Mitte vergangener Woche sind MEL und die ihr nahestehende Meinl Bank endgültig ein Fall für die Behörden. Die Finanzmarktaufsicht untersucht da wie dort den Verdacht des Marktmissbrauchs, des Insiderhandels und der Verletzung von Publizitätspflichten in Zusammenhang mit dem skandalträchtigen Rückkauf eigener Wertpapiere durch MEL. Die Staatsanwaltschaft Wien geht einer anonymen Anzeige wegen des Verdachts des Betrugs und der Untreue nach.

Meinls Behauptungen werden im Lichte profil exklusiv vorliegender Dokumente nicht glaubhafter. Sie belegen, dass die kleine Wiener Meinl Bank AG im MEL-Skandal eine Schlüsselrolle spielt.

Und sie eröffnen eine neue Front.

Am Landesgericht für Strafsachen Wien muss sich derzeit Wolfgang Flöttl für seine Rolle im Bawag-Desaster verantworten. Er soll die Bank zwischen 1998 und 2000 mittels waghalsiger Spekulationen um 1,4 Milliarden Euro geschädigt und an den Rand des Ruins getrieben haben. Flöttl ist seither so gut wie mittellos.
Sagt er.

Die Karibik-Achse. Was er nicht sagt: Er konnte auch nach dem Vabanque mit der früheren Gewerkschaftsbank Millionendeals über die Meinl Bank seines Freundes Julius Meinl V. abwickeln (profil Nr. 11/07). Und mehr als das: Flöttl durfte zwischen März und Oktober 2005 in der Karibik mit Papieren der Meinl European Land zocken – dank eines generösen Kredits der Meinl Bank. Das geht aus einer profil vorliegenden, von Julius Meinl V. selbst unterfertigten „Mitteilung“ an die Finanzmarktaufsicht (FMA) vom 18. Mai 2006 hervor.

Die Behörde hatte die Meinl Bank im Zuge der Aufarbeitung des Bawag-Skandals aufgefordert, „Engagements der Meinl-Gruppe gegenüber Dr. Flöttl bzw. ihm nahestehenden Gesellschaften und Personen“ offenzulegen. Daneben wurden auch sonstige geschäftliche Aktivitäten der Bank in der Karibik abgefragt. Eine der zahlreichen Geschäftsverbindungen erscheint nunmehr in einem völlig anderen Licht.

Am 16. März 2005 gewährte die Meinl Bank einer „MEL Holdings Ltd.“ mit Sitz auf Flöttls Inselwohnsitz Bermuda über das Kreditkonto Nr. 492835 eine Finanzierung in der Höhe von 250.000 Dollar. Deren einziger Zweck: der Ankauf von MEL-Papieren.

Flöttl, angeblich pleite, war sogar in der Lage, Besicherungen beizubringen. Da heißt es wörtlich: „Als Sicherstellung diente die Verpfändung von Wertpapieren samt Barguthaben sowie weiters die persönliche Haftung … von Herrn Dr. Wolfgang Flöttl. Unter Ansatz des genehmigten Belehnwertes war das Engagement zur Gänze besichert“ (siehe Faksimile).

Wie schon bei der Bawag hatte Flöttl auch bei den von der Meinl Bank großzügig gesponserten MEL-Spekulationen wenig Fortüne. Laut dem FMA-Papier wurden die Papiere am 10. Oktober 2005 wieder verkauft. Der MEL-Kurs lag zu diesem Zeitpunkt mit 14,8 Euro zwar um acht Prozent über jenem vom März. Doch dummerweise war die US-Währung in dieser Phase erstarkt – weshalb bei der Kovertierung von Euro auf Dollar ein Verlust entstanden sein dürfte.

Wie gut, dass Flöttl einen Spezi wie Julius Meinl V. hat. Der Bankier ließ den Erlös aus Flöttls MEL-Spekulationen zunächst „veranlagen“. Der Flöttl-Kredit wurde schließlich zur Endfälligkeit im März 2006 getilgt. „Ein Wertberichtigungsbedarf war nicht gegeben“, so Bankier Meinl in seinem Schreiben an die FMA.

Warum MEL? Was Meinl V. der Aufsicht nicht verriet: Warum leistet sich ein insolventer „Investmentbanker“ auf Hamilton, Bermuda, eine Gesellschaft mit Namen „MEL Holdings Ltd.“? Warum zockt ein Mann, der jahrelang auf den Börsen dieser Welt zugange war, ausgerechnet mit Wertpapieren einer international leidlich bekannten Immobiliengesellschaft? Warum bekommt er dafür auch noch einen Kredit der Meinl Bank? Und welche Rolle spielte der vorgeblich unbeteiligte Julius Meinl V. dabei?

Auch des Bankiers Beteuerungen, weder er noch seine Bank seien „direkt oder indirekt“ an Meinl European Land beteiligt, sind zu hinterfragen. In der auf der sonnigen Karibik-Insel Antigua angesiedelten Tochtergesellschaft Meinl Bank (Antigua) Ltd. waren jedenfalls zum 31. Dezember 2005 MEL-Papiere im Gegenwert von 14,78 Millionen Euro gebunkert. Auch das geht aus dem FMA-Dokument vom Mai 2006 eindeutig hervor.

Dass auf Antigua MEL-Anteile eingelagert waren, hat Meinl bisher wohlweislich verschwiegen. In diesem Kontext sind seine Behauptungen heute zu sehen.

Deals mit einem Bawag-Hasardeur, ein Versteck für MEL-Papiere, und das alles unter karibischer Sonne. In der Nachbetrachtung wirkt das zumindest befremdlich.

Wirklich brenzlig könnte indes eine Reihe unauffälliger Geldkreisläufe zwischen Bank und Immobiliengesellschaft werden, die demnächst sowohl die Justiz als auch die Steuerbehörden beschäftigen könnten.

Ende 2004 nahm MEL erstmals eine – 150 Millionen Euro schwere – Anleihe mit kurzer Laufzeit auf, die im Jänner 2005 wieder getilgt wurde. Es handelte sich dabei um ein so genanntes Commercial Paper. Diese besondere Form der Anleihe ist in Österreich bis heute wenig verbreitet, gilt international aber als integraler Bestandteil der Unternehmensfinanzierung. Dabei geht es vereinfacht gesagt darum, dem Emittenten der Anleihe kurzfristig Liquidität zur Verfügung zu stellen.

2005 war auch das Jahr, in dem MEL eine beispiellose Serie an Kapitalerhöhungen startete. Bis einschließlich Jänner dieses Jahres wurden auf diesem Wege insgesamt 4,3 Milliarden Euro ins Unternehmen gespült. Weil große Immobilienprojekte gemeinhin längerer Planungs- und Bauzeiten bedürfen, kam die Gesellschaft mit dem Ausgeben des Geldes nicht nach. Es wurde also auf Konten der Meinl Bank deponiert: Zum Jahresende 2006 – also wenige Monate vor dem wahnwitzigen Ankauf eigener Aktien – belief sich das ausgewiesene Barvermögen der MEL auf kolossale 4,87 Milliarden Euro.

Schlag auf Schlag. Umso eigenartiger ist es, dass das Commercial-Paper-Programm Ende 2005 erst so richtig warmlief:

• Im Dezember 2005 wirft MEL eine 1,2 Milliarden Euro schwere Anleihe auf den Markt. Sie wird im Jänner 2006 getilgt.

• Im März 2006 wirft MEL eine 2,2 Milliarden Euro schwere Anleihe auf den Markt. Sie wird Ende April getilgt.

• Im Juni 2006 wirft MEL abermals eine 2,2 Milliarden Euro schwere Anleihe auf den Markt. Sie wird Ende Juli getilgt.

• Im September 2006 wirft MEL eine 1,7 Milliarden Euro schwere Anleihe auf den Markt. Sie wird im Oktober getilgt.

• Im Dezember 2006 werden weitere 2,3 Milliarden Euro auf den Markt geworfen, die im Jänner 2007 zurückgeführt werden.

• Im März 2007 schließlich vergibt MEL Commercial Papers in der Höhe von gleich 3,9 Milliarden Euro. Diese werden in der aktuellen Halbjahresbilanz zum 30. Juni noch geführt.

Unterm Strich heißt das: Allein zwischen Dezember 2005 und Jänner 2007 schickte Meinl European Land nicht weniger als 9,6 Milliarden Euro im Kreis. Das sind in alter Währung 132 Milliarden Schilling. Natürlich nur auf dem Papier.

All das geht aus den veröffentlichten Emissionsprospekten zu den zahlreichen Kapitalerhöhungen hervor. Was daraus nicht hervorgeht: Die Anleihen dürften von MEL zur Meinl Bank und wieder zurück gewandert sein. Laut FMA-Papier vom 18. Mai 2006 hielt die Meinl Bank (Antigua) Ltd. zum 31. Dezember 2005 neben MEL-Aktien im Wert von 14,78 Millionen Euro auch „Commercial Paper in Höhe von EUR 1.200.000.000“ (siehe Faksimile Seite 46).

Der Verdacht liegt nahe, dass auch die späteren Papiere bei der Bank oder deren Karibik-Ableger gelandet sind. Meinls Sprecher Rupert-Heinrich Staller reagiert einsilbig: „So wie eine Bank nicht sagen darf, wer bei ihr Spargelder einlegt, so gilt hier selbstverständlich das Bankgeheimnis.“

Warum schließt ein Unternehmen, zumal randvoll mit Bargeld, im 2-MonatsRhythmus kreditähnliche Verträge ab – nur um diese umgehend wieder zurückzuzahlen? Staller: „Der gesamte Vorgang ist eine völlig normale Bilanztechnik. Details dieser Technik unterliegen wie bei jedem gut geführten Unternehmen natürlich dem Geschäftsgeheimnis.“

Die „ganz normale Bilanztechnik“ hatte freilich einen ganz normalen Nebeneffekt: Anleihen kosten Zinsen. Im Anhang des Jahresabschlusses der Immobiliengesellschaft 2006 wird der entsprechende Satz mit „3,658 Prozent“ beziffert. Dort heißt es knapp: „Die Zinsaufwendungen der Gruppe bestehen in Zinsaufwendungen … für Commercial Paper in Höhe von TEUR 17.209 (2005: 1.998).“ Zusätzliche Angaben werden nicht gemacht.

Das nährt einen weiteren Verdacht: Die Immobiliengesellschaft Meinl European Land könnte ohne Not Fremdmittel bei der Meinl Bank aufgenommen und mit dem Geld ahnungsloser MEL-Anleger Zinsen bezahlt haben, die wiederum der Familie Meinl zugutegekommen sein könnten (siehe auch Kasten). Für 2005 und 2006 lag der ausgewiesene „Zinsaufwand“ aus den „Commercial Papers“ jedenfalls bei zusammen 19,207 Millionen Euro. MEL-Sprecher Staller bleibt vage: „Die Nettobelastungen in der Gewinn- und Verlustrechnung der MEL sind minimal.“

Was auch immer das heißen mag.

Die Finanzmarktaufsicht wird kaum umhinkönnen, sich dieser delikaten Punkte anzunehmen. Und sie wird wohl demnächst auch Fragen in eigener Sache beantworten müssen. Die aufklärungswürdigen Geldverschiebungen rund um Meinl European Land sind der Finanzmarktaufsicht nämlich seit Jahren bekannt. Sie hatte die entsprechenden Kapitalmarktprospekte nicht nur aufliegen, sondern auch zu prüfen. Spätestens seit der Korrespondenz mit Banker Meinl vom Mai 2006 wussten die Aufseher obendrein, dass die Meinl Bank schwunghafte Geschäfte mit Flöttl betrieb, der zu diesem Zeitpunkt bereits Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Untersuchungen war.

Und trotzdem wurde kein Finger gerührt?

Ungeprüft. profil-Recherchen ergaben: Die Bücher der Meinl Bank wurden zuletzt im Jahre 1997 im Rahmen einer so genannten Vor-Ort-Prüfung nach dem Bankwesengesetz von Grund auf untersucht. Seitdem ist nichts passiert. Und das, obwohl die Prüffrequenz mit Etablierung der FMA am 1. April 2002 massiv erhöht wurde. Die Experten der Nationalbank haben seither jährlich 40 Institute im Auftrag der FMA geprüft – die Meinl Bank war kein einziges Mal darunter. Zum Verständnis: So genannte Systembanken – also im Wesentlichen Österreichs Großbanken – werden jährlich unter die Lupe genommen. Bei kleineren Instituten wie der Meinl Bank war und ist ein Rhythmus von zwei bis drei Jahren vorgesehen. Seit 2002 hätte die Bank also eigentlich zweimal Besuch erhalten müssen. Umso mehr, als das Geldhaus die heute skandalumwitterte Immobiliengesellschaft MEL im November 2002 an die Börse gebracht hatte.

Wurde das Institut ausgespart?

Die Optik ist – gelinde gesagt – unschön. Einer der beiden FMA-Vorstände, Heinrich Traumüller, wirkte zwischen 2000 und 2002 als Kabinettschef im Büro des damaligen Finanzministers und Meinl-Intimus Karl-Heinz Grasser. Im Oktober 2004 wurde er von Grasser neben Kurt Pribil, dem ehemaligen Sekretär von Wolfgang Schüssel, in der FMA-Chefetage installiert. Bereits im August hatte ihn Grasser als „Staatskommissär“ – gleichsam der Aufpasser der Republik – in der Meinl Bank untergebracht, wo Traumüller bis März 2005 wirkte. Zu einer Zeit also, als Wolfgang Flöttl schwunghafte Geschäftsbeziehungen zur Bank unterhielt – und Grasser enge amikale Kontakte zu Julius Meinl V. Im August 2005 etwa durften Grasser und Flöttl in der nördlichen Adria gemeinsam an Deck von Meinls Yacht promenieren.

Loyalitätskonflikt. Und nun soll Traumüller unbefangen an die Prüfung der Meinl Bank herangehen. Wohl wissend, dass sein früherer Chef und Mentor selbst die Privatwirtschaft in Meinls Dunstkreis entdeckt hat. Karl-Heinz Grasser ist im Vorstand von Meinls börsennotierter Energieprojektgesellschaft MIP vertreten und hält obendrein ein Drittel an einer zwischengeschalteten „Managementgesellschaft“.

Die Oesterreichische Nationalbank ist, entgegen allen Usancen, bei der jetzigen Prüfung außen vor. Obwohl es bei der Meinl Bank längst nicht mehr nur mehr um Fragen des Kapitalmarkts geht, sondern vielmehr um mutmaßliche Verletzungen des Bankwesengesetzes. Obwohl OeNB-Gouverneur Klaus Liebscher jüngst für seine Verhältnisse ungewöhnlich deutlich eine Einbindung seines Hauses eingemahnt hat. Wenn schon die FMA im Einschreiten zaudert, hätte zumindest der Finanzminister eine OeNB-Sonderprüfung einfordern können. Das steht ihm von Gesetzes wegen zu.

Wilhelm Molterer hat dies bis heute unterlassen. Die Notenbank werde nur „wo nötig“ zugezogen. Pikant: Auch der gegebenenfalls zuständige OeNB-Direktor Josef Christl saß einst in Grassers Kabinett.

So oder so: Seit der FMA-Gründung 2002 hatte der Finanzplatz mit Hypo Alpe-Adria und dem Fondsanbieter Amis zwei Skandale zu verdauen (die Bawag fällt in die Zeit davor). Und nun eben Meinl.

„Spätestens jetzt ist der Beweis erbracht, dass in der FMA lauter Trockenschwimmer am Werk sind“, ärgert sich Raiffeisen-Generalsekretär und ÖVP-Abgeordneter Ferry Maier. Er begehrt Auskunft darüber, „ob überall Meinl drinnen ist, wo Meinl draufsteht“. SPÖ-Staatssekretär Christoph Matznetter wiederum will nicht verstehen, warum die FMA jüngst andeutete, die Prüfung könne bis zu einem Jahr dauern: „Das ist eine Meldung wie aus dem Salzamt und der beste Beweis dafür, dass eine Reform kommen muss.“

Grasser-Freunde müssen jetzt die Untersuchung einer Bank verantworten, in der ein Grasser-Freund das Sagen hat. Unter den Augen von Grassers ehemaligen Regierungsfreunden.

Von Michael Nikbakhsh und Ulla Schmid