Tschad: „EU-Soldaten sind Feinde"

Exklusiv: „EU-Soldaten sind Feinde, egal ob Franzosen oder Österreicher“

Rebellen drohen Öster- reichern mit Angriffen

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Die Männer waren in bemitleidenswertem Zustand, als sie am Montag vergangener Woche auf der französischen Armeebasis von Abéché im Osten des Tschad abgeladen wurden: Militärärzte mussten klaffende Schusswunden behandeln, zerquetschte Beine und offene Brüche.

Trotzdem konnten sich die Verletzten, Soldaten der Regierungsarmee des Tschad, noch glücklich schätzen. Während sie medizinisch versorgt wurden, kümmerte sich um ihre Gegner niemand.

Am Morgen danach wurden der Presse in der Umgebung von Hadjer Hadid, 80 Kilometer östlich der Provinzhauptstadt Abéché, die Leichen von zwei Dutzend Rebellen vorgeführt – Kämpfer der UFDD (Vereinigte Kräfte für Demokratie und Entwicklung). Man hatte die Sterbenden einfach zwischen den brennenden Fahrzeugen ihrer Einheit liegen gelassen (siehe Karte).

Sowohl die Regierung als auch die Guerilleros reklamierten umgehend den Sieg für sich. Das mussten sie in den folgenden Tagen ein ums andere Mal tun, denn die Auseinandersetzungen flackerten die vergangene Woche über immer wieder auf. Und endeten, wenn man den Propagandaabteilungen beider Seiten glauben wollte, stets mit der angeblich endgültigen Vernichtung des jeweiligen Feindes.

Scharmützel wie diese sind in Zentralafrika keine Seltenheit – und den österreichischen Medien normalerweise allenfalls kurze Notizen wert.

Diesmal jedoch bestimmen sie die Schlagzeilen. Immerhin beteiligt sich Österreich mit 160 Bundesheer-Soldaten an der bevorstehenden Eufor-Militärmission zur Sicherung der Flüchtlingslager in der Region.

Zudem drohen die Rebellen in einem telefonisch geführten Interview mit profil nun erstmals damit, die Friedenstruppen und damit auch die Österreicher angreifen zu wollen – und zwar deshalb, weil sie die Eufor als Verbündete des umstrittenen Präsidenten Idriss Déby betrachten.

Déby herrscht über den Tschad, seit er im Jahr 1990 – damals selbst als Rebell – den Diktator Hissène Habré stürzte. Ölfunde im Süden des Landes haben den Clan von Déby reich gemacht, während die Bevölkerung weiterhin in Armut lebt. An diesem Wohlstand fordern die Aufständischen, zum Teil in Ungnade gefallene Günstlinge des Präsidenten, ihren Anteil.

Ihre Versuche, Déby abzusetzen, sind in den vergangenen Jahren aber mehrfach gescheitert. Nicht zuletzt deshalb, weil Frankreich aufseiten des Regimes militärisch eingegriffen hat. Jetzt stellt die frühere Kolonialmacht das größte Kontingent bei der bevorstehenden Eufor-Mission: 1500 von rund 3000 Soldaten.

„Für uns sind in dieser Situation alle europäischen Einheiten auf unserem Territorium Feinde“, erklärt die UFDD – die stärkste Rebellenfraktion des Landes – in einem telefonisch geführten Interview mit profil (Seite 76): „Wie sollen unsere Kämpfer zwischen einem Weißen aus Österreich und einem Weißen aus Frankreich unterscheiden? Wir betrachten beide als Feinde, auch die Österreicher.“

„Sollten die EU-Soldaten kommen, um die Flüchtlingslager zu sichern, haben wir nichts dagegen“, sagt Timane Erdimi, Führer des RFC (Zusammenschluss der Kräfte zur Veränderung), einer weiteren Rebellengruppe: „Aber wenn es sich darum handelt, dem Regime von Idriss Déby zu helfen, werden wir sie als fremde Besatzungsmacht betrachten und bekämpfen.“

Damit scheinen sich Befürchtungen zu bestätigen, dass die Österreicher von der Bevölkerung des Tschad als Anhängsel der französischen Truppen betrachtet würden – und damit nicht als jene neutralen Friedenshüter, die sie gemäß der UN-Resolution 1778, die den Einsatz legitimiert, sein sollen.

Eines ist evident: Die Franzosen haben die Regierungstruppen von Präsident Déby in den vergangenen Tagen zumindest durch Luftaufklärung unterstützt. Ein Reporter der Tageszeitung „Le Monde“, der in Abéché stationiert ist, berichtet von Erkundungsflügen mit Helikoptern – und von startenden Mirage-Kampfjets.

In Österreich schießt sich die Opposition inzwischen weiter auf Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) ein. Peter Pilz, Verteidigungssprecher der Grünen, spricht sich wie bereits mehrmals zuvor aus neutralitätspolitischen Gründen gegen den Einsatz aus. „Herr Bundesminister Ahnungslos, sagen Sie das ab“, tönt BZÖ-Chef Peter Westenthaler und meint damit die Friedensmission.

Tote, Verwundete. Darabos räumt inzwischen zwar ein, dass „das starke Engagement Frankreichs natürlich da und dort skeptisch beurteilt wird“, hält jedoch an der Mission fest: „Wir werden dafür sorgen, dass die Glaubwürdigkeit der EU gestärkt und nicht bezweifelt wird. Das wissen alle – und das weiß auch Frankreich.“

Und weiter: „Wenn wir nur dort hingehen, wo ein Risiko zu hundert Prozent auszuschließen ist, dann bräuchten wir überhaupt nirgendwo hingehen.“

Ob die Rebellen, deren Kampfkraft und Stärke zur Stunde niemand wirklich kennt, ernst zu nehmen sind, steht allerdings auf einem anderen Blatt. UFDD-Sprecher Mahamat Hassane Boulmaye beharrt gegenüber profil darauf, dass seine Fraktion über „7000 Mann, unterteilt in drei große Formationen“ verfüge. Das österreichische Verteidigungsministerium geht in seiner „Militärstrategischen Weisung Nr. 2“, die sich mit dem Eufor-Einsatz beschäftigt, davon aus, dass die UFDD „mit einer Stärke von etwa 3000 (Mann, Anm.) über die beste Bewaffnung und Ausrüstung“ verfügt. Dieser Miliz sei der Angriff „auf ein französisches Aufklärungsflugzeug im Oktober 2006“ zugeschrieben worden. Abgesehen davon haben sie die Franzosen bislang noch niemals direkt attackiert.

Nach Einschätzung von Tschad-Kennern nehmen die Aufständischen mit ihren Drohungen gegen die Eufor-Truppe den Mund ziemlich voll: „Sie werden es nie wagen, die Europäer anzugreifen“, sagt ein EU-Diplomat gegenüber profil. „Sie haben bislang durchaus rational gehandelt. Deshalb dürfte ihnen auch bewusst sein, dass sie den europäischen Soldaten hoffnungslos unterlegen sind.“

Das Risiko für die österreichischen Soldaten ist nach Einschätzung von Fachleuten durch die jüngsten Ereignisse also ebenso wenig gestiegen wie durch die Drohungen der Rebellen. Auch Darabos versichert, das Gefahrenpotenzial sei dadurch nicht maßgeblich größer geworden.

Unübersichtlich bleibt die Lage im Tschad dennoch. „Es hat auf beiden Seiten viele Tote und Verwundete gegeben, genaue Zahlen kennt aber niemand“, berichtet Annette Rehrl vom UN-Flüchtlingshochkommissariat (Unhcr), die im Osten des Tschad stationiert ist. „Nach den Kämpfen am Montag wurden mindestens 200 Verwundete nach N’Djamena ausgeflogen. Man rechnet damit, dass weitere kommen werden“, sagt Andrea Winter vom Roten Kreuz unter Berufung auf ihre Kollegen vor Ort.

Inzwischen zeichnet sich zumindest so viel ab: Die Stellungen der UFDD im Grenzgebiet zum Sudan werden seit Montag vergangener Woche permanent von Regierungstruppen angegriffen, die mithilfe von Petrodollars in den vergangenen Jahren zu schlagkräftigen Verbänden hochgerüstet wurden. Präsident Déby soll die Operationen zumindest einige Tage lang höchstpersönlich als Feldkommandant befehligt haben.

Dass sie unter Druck geraten sind, gestehen die Rebellen selbst ein. Niemand weiß, wie stark sie durch die Angriffe der Regierungstruppen in den vergangenen Tagen geschwächt wurden. Gleichzeitig weiß aber auch niemand, welche Verluste ihre Gegner erlitten haben.

Begonnen hatte die aktuelle Krise am 23. November. An diesem Tag kündigte die UFDD ein Friedensabkommen mit der Regierung auf, das erst einen Monat zuvor unter Patronanz des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi geschlossen worden war. Eine zweite Widerstandsgruppe, der RFC, scherte ebenfalls aus.

Dass es im Tschad um diese Jahreszeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommt, ist für Kenner des Landes wenig überraschend. „Die Kampfhandlungen finden traditionell zu Beginn der Trockenzeit statt, da die Straßen und Pisten in der Regenperiode schwer oder gar nicht zu befahren sind“, heißt es beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK).

Über die tieferen Hintergründe der aktuellen Konflikte kann man vorderhand aber nur Spekulationen anstellen. Die Rebellen selbst argumentieren, das Regime habe keine Anstalten gemacht, die Bedingungen des Abkommens zu erfüllen. Die Regierung in N’Djamena weist dies naturgemäß vehement zurück.

Die wahre Erklärung dürfte allerdings jenseits der Grenze zu suchen sein: im Sudan. Dort, in der Bürgerkriegsregion Darfur, hatten die Kämpfer von UFDD und RFC bislang Unterschlupf gefunden. Nun soll das Gebiet parallel zum EU-Einsatz im Tschad durch UN-Truppen befriedet werden. Die sudanesische Regierung lässt keinen Zweifel daran, dass keine der beiden Friedensmissionen in ihrem Interesse ist.

Gut möglich, dass sie – wie auch der Tschad behauptet – die Aufständischen deshalb vorgeschickt hat, um die Lage weiter zu destabilisieren.

Was wiederum dem Regime von Déby nicht ungelegen gekommen sein dürfte: Immerhin bot sich damit die Chance, vor Eintreffen der Europäer noch einmal ordentlich in den Reihen der Rebellen aufzuräumen.

Keine 24 Stunden nach der offiziellen Beendigung des Waffenstillstands im Tschad stießen zwei Formationen der UFDD, von der sudanesischen Grenze kommend, in Richtung der Provinzhauptstadt Abéché (wo schon bald die Einsatzbasis der EU-Truppe liegen wird) vor und nahmen die Ortschaft Hadjer Hadid ein. Kommandiert wurden sie von General Mahamat Nouri, einem ehemals engen Vertrauten von Präsident Déby, unterstützt von Verbänden des RFC.

Ein Déjà-vu-Erlebnis: Genau ein Jahr zuvor, am 25. November 2006, war Nouri mit 800 Mann und 70 Fahrzeugen auf Abéché zumarschiert. Damals schaffte er es, die Stadt kurzfristig zu besetzen, ehe er mithilfe der Franzosen wieder vertrieben wurde. Dieses Jahr blieb Nouri schon auf halbem Weg – und fern vom zukünftigen Einsatzgebiet der Österreicher – stecken.

Propaganda. Am Montag wurden seine Rebellen von eilig zusammengezogenen Regierungsverbänden bei Hadjer Hadid gestellt und – offenbar mit Unterstützung der französischen Luftwaffe, die immer wieder Aufklärungsflüge durchführte – in schwere Kämpfe verwickelt.

„Wir haben die Soldateska von Déby in die Flucht geschlagen. Alle Panzerfahrzeuge, auf die er so stolz war, wurden zermalmt wie Stroh“, behauptete die UFDD.

„Der mit seltener Gewalttätigkeit geführte Kampf endete nach mehr als vier Stunden mit der totalen und endgültigen Vernichtung der Rebellen-Formation“, hieß es gleichzeitig in einem Kommuniqué der Regierung.

In dieser Tonart ging es weiter. Die Gefechte verlagerten sich von Hadjer Hadid erst nordwärts nach Am Zoer und griffen dann auf die Region um Guéréda weiter nordöstlich über. Am Donnerstag und Freitag wurde auch weiter südlich im Bergmassiv Hadjer Marfain, gekämpft.

Die wahre Gefahr. Die Route der Spezialeinheiten des Bundesheeres am Weg von Abéché in ihr Einsatzgebiet bei Iriba und Bahai wird allerdings geradewegs durch dieses Gebiet führen. „Wir gehen da nicht rein, bevor nicht die Lage geklärt ist“, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Es sei durchaus möglich, dass die Rebellen zum Beginn der Eufor-Mission erst einmal testen, wie weit sie gehen können. Mit gezielten Angriffen rechnet aber weiterhin niemand.

Die wahre Gefahr dürfte auch nicht von den Aufständischen ausgehen, sondern von „bewaffneten Elementen mit kriminellem Hintergrund … Deren Aktivitäten sollten sich auf Hinterhalt und Überfall beschränken, wobei ein entsprechend umsichtiges und entschiedenes Auftreten die Gefährdung minimieren sollte“, heißt es in der „Militärstrategischen Weisung Nr. 2“.

Mitarbeiter der Hilfsorganisationen, die sich im Osten des Tschad aufhalten, nehmen die jüngsten Ereignisse zwar ernst, gleichzeitig aber weitaus gelassener als Politiker und Medien im 4700 Kilometer entfernten Österreich. „Die Kollegen sind nicht betroffen – und wenn, dann nur indirekt, weil zurzeit über hundert Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Vereinten Nationen östlich von Abéché weder vor noch zurück können“, so Annette Rehrl vom Unhcr. Rehrl befand sich vergangene Woche in der Region Bahai. „Kämpfe in der Gegend hier gab es bisher keine“, berichtete sie am Donnerstag.

Unterdessen verzögert sich die Ankunft der EU-Truppe im Tschad immer weiter. Derzeit sind es fehlende Lufttransport-Kapazitäten, die den Einsatz verhindern.

Das heißt: Vor Anfang nächsten Jahres wird die Mission nicht starten – und bis dahin haben die Regierungstruppen und die Rebellen freie Hand, sich gegenseitig abzuschlachten.

Von Martin Staudinger und Robert Treichler