Die Spitzeldiplomatie Kasachstans

Exklusiv: Kasachstans Spitzeldiplomatie - Spitzelaffäre um österreichische Polizisten

Exklusiv: Affäre um österreichische Polizisten

Drucken

Schriftgröße

Von Ulla Schmid und Martin Staudinger

Was war das doch für ein schönes Fest, vergangenen Freitag in der Wiener Hofburg: Kasachstan zelebrierte seinen offiziellen Eintritt in die Welt der internationalen Friedensdiplomatie. Seit Jahresbeginn ist das Land zum ersten Mal im höchsten Führungsgremium der honorigen OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) vertreten. Nächstes Jahr wird es sogar den Vorsitz der Staatenkonferenz einnehmen, die sich besonders für den Schutz der Freiheits- und Menschenrechte einsetzt. Während bei einem Empfang im großen Redoutensaal Diplomaten, Politiker und Geschäftsleute den Zentralasiaten zu diesem Erfolg ihre Honneurs machten, beschäftigten sich ein paar hundert Meter weiter im Wiener Landesgericht auch Ermittler der Staatsanwaltschaft Wien mit Kasachstan – ohne Sekt und Canapés.

Die Fahnder untersuchen einen Fall, der die Feierstimmung in der Hofburg scharf kontrastiert: Sie haben starke Indizien dafür gesammelt, dass Agenten des kasachischen Geheimdienstes KNB in den vergangenen zwei Jahren die österreichische Polizei unterwanderten. Ein Beamter aus Wien wurde bereits im Jänner dafür rechtskräftig verurteilt, sensible Informationen an Spione des autokratisch regierenden Präsidenten Nursultan Nasarbajew weitergegeben zu haben. Das Objekt der Ausspähung: der ehemalige kasachische Diplomat Rakhat Aliyev, der in Österreich untergetaucht ist (profil berichtete umfangreich).

Zwei weitere Polizisten wurden, wie der „Falter“ vergangene Woche berichtete, am Morgen des 11. Februar unter dem gleichen Verdacht festgenommen. Einer davon befindet sich inzwischen wieder auf freiem Fuß, der andere sitzt in Untersuchungshaft. Seit gut einem Jahr arbeitet das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) an dem Fall. Im Herbst vergangenen Jahres, so heißt es aus Polizeikreisen, war die Faktenlage „so dicht“, dass Telefonüberwachungen genehmigt wurden.

Jetzt weitet sich die Causa aus: Nach profil-Recherchen, die mehrere Quellen unabhängig voneinander bestätigen, ist auch ein ehemaliger Agent des Abwehramts, der Spionageabwehr des Bundesheers, in die Affäre verwickelt. Der Mann (Name der Redaktion bekannt) ist seit Mitte der neunziger Jahre pensioniert, pflegte aber bis heute seine Kontakte in den Sicherheitsapparat. Er verdingt sich als Informant und soll den beiden Polizisten für vorläufig unbekannte Hintermänner den Auftrag zum Spitzeln erteilt haben.

Drehpunkt Aliyev. Von ihm wiederum führen Spuren in die Politik: In die Ermittlungen des BVT sind auch zwei prominente Sozialdemokraten hineingeraten – Anton Gaal, ehemaliger Abgeordneter der SPÖ und seit seiner Pensionierung als Chef der Bundesheer-Beschwerdekommission tätig; und Karl Blecha, der sagenumwobene rote Innenminister der achtziger Jahre, gegenwärtig Vorsitzender des Pensionistenverbandes. Beide weisen jeglichen Verdacht, aktiv in die Spionageaffäre verwickelt zu sein, vehement zurück. Für alle Beteiligten gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung.

Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien wollte zur Verdachtslage gegen den ehemaligen Heeresagenten am vergangenen Donnerstag keinen Kommentar abgeben. Freilich auch kein Dementi. Im Innenministerium heißt es knapp: „Zu dem Fall können wir keine Stellungnahme abgeben, weil die Ermittlungen laufen.“ Die Ermittler arbeiten allerdings noch an einem zweiten Themenkreis. Dabei geht es um die Beschaffung von Niederlassungsbewilligungen für Aliyev-Vertraute, und das gegen Entgelt. Unter anderem wurden diesbezügliche Unterlagen vergangenen Freitag um acht Uhr morgens im Zuge einer Hausdurchsuchung in Wien-Landstraße sichergestellt.

Kasachstan selbst weist gegenüber profil jeglichen Zusammenhang mit der unschönen Spitzelaffäre strikt zurück. „Jegliche Bezugnahme auf Kasachstan im Zusammenhang mit diesen Verhaftungen ist falsch und hat nichts mit unserem Land zu tun“, so ein Sprecher der Botschaft in einer schriftlichen Stellungnahme. „Wir geben überdies zu bedenken, dass in diesem Zusammenhang alle Hinweise auf den Fall Aliyev als Quelle erheblicher Desinformation dienen und das Ansehen eines verurteilten Verbrechers und Menschenrechtsverletzers heben können.“

Aliyev selbst wollte sich gegenüber profil nicht zu den aktuellen Entwicklungen äußern. Es besteht allerdings kein Zweifel daran, dass er der Dreh- und Angelpunkt der gesamten Affäre ist. Seit nunmehr 19 Monaten setzt Kasachstan alles daran, des in Ungnade gefallenen Ex-Schwiegersohns von Präsident Nasarbajew habhaft zu ­werden.
Eine zentrale Rolle bei der Jagd nach Aliyev fiel bislang dem Barlau zu, der Auslandsabteilung des kasachischen Geheimdienstes KNB (Komitee für Nationale Sicherheit).

Bereits am 27. Mai 2007 – einen Tag bevor Aliyev vom Regime seines damaligen Schwiegervaters zur internationalen Fahndung ausgeschrieben wurde – flogen Barlau-Agenten aus Kasachstan und Deutschland nach Wien ein. Der „Standard“ recherchierte damals, dass in der letzten Mai-Woche 2007 am Flughafen Wien-Schwechat fast so viele Starts und Landungen mit Destination Kasachstan verzeichnet wurden wie sonst in einem ganzen Monat. Eine Chartermaschine stand startbereit vier Tage lang am Flughafen auf Standby.

Immer wieder sei versucht worden, ihn gewaltsam in seine Heimat zu verfrachten, behauptet Aliyev. Die österreichischen Behörden ermitteln in diese Richtung. Sie gehen zudem davon aus, dass Barlau-Agenten auch in andere mysteriöse Entführungsversuche verwickelt waren, die sich in den vergangenen Monaten in Wien zugetragen haben – gegen zwei Gefolgsleute Aliyevs, die in Kasachstan ebenfalls strafrechtlich verurteilt sind und nun in Österreich leben.

Fehlschläge. Die Versuche, sie zu schnappen, endeten in desaströsen Fehlschlägen: Anfang September vergangenen Jahres lieferten Kidnapper, die auf die Familie des ehemaligen Leibwächters von Aliyev angesetzt waren, der Polizei eine wilde Verfolgungsjagd durch Wien-Donaustadt. Wenige Tage später kam es vor dem Landesgericht Wien zu einer wüsten Schlägerei zwischen anderen Dunkelmännern und dem ehemaligen Geheimdienstchef Kasachstans, einem Freund Aliyevs. Nach glaubwürdigen Informationen wurde im Zusammenhang damit auch ein deutscher Staatsbürger mit Stasi-Vergangenheit verhaftet, zwei Monate später aber gegen Kaution freigelassen – ein Faktum, das inzwischen niemand mehr offiziell bestätigen will. Kasachstan bezeichnet all diese Vorfälle als Inszenierungen. Österreich geht hingegen davon aus, dass es tatsächlich geheimdienstlich organisierte Entführungsversuche waren, zumal Vertreter des Landes zuvor durchaus unverhohlen mit Selbstjustiz gedroht hatten.

Die Wild-Ost-Methoden verschlechterten das bilaterale Verhältnis, das aufgrund der verweigerten Auslieferung Aliyevs ohnehin bereits äußerst angespannt war, jedenfalls weiter. Sie führten etwa dazu, dass ein unmittelbar bevorstehender Besuch von Bundespräsident Heinz Fischer bei seinem Amtskollegen Nasarbajew platzte. Nach Informationen von profil legte Österreich Anfang Dezember vergangenen Jahres auch dem Stationschef des kasachischen Geheimdienstes in Wien nahe, mit Jahresbeginn das Land zu verlassen, weil er es mit seinen Versuchen, Aliyev und Konsorten zu schnappen, übertrieben hatte: Murat K. war erst im Mai 2008 unter diplomatischer Tarnung als Botschaftsrat hierzulande tätig geworden. Seit Ende Jänner steht sein Name nicht mehr im Akkreditierungsverzeichnis. „Aliyev war der erste wirkliche große Fall des Barlau im Westen“, sagt ein auf die ehemalige Sowjetunion spezialisierter Geheimdienstkenner gegenüber profil: „Bislang waren seine Agenten vorwiegend in Zentralasien, Afghanistan, Pakistan und China tätig. Dort kennen sie sich aus. Hier machen sie einen Fehler nach dem an­deren.“

Inzwischen ist die Pannenserie offenbar auch Nursultan Nasarbajew zu bunt geworden. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen seine Agenten in Österreich ließ er Omirtai Bitimov, den geheimnisumwitterten Chef der Behörde, des Amtes entheben und gab die Auflösung des Barlau bekannt. Seine Aufgaben übernimmt nun ein neuer Auslandsnachrichtendienst namens Syrbar. Geführt wird er von einem Mann, der bisher als Botschafter tätig war: in der Schweiz, Liechtenstein – und im Vatikan.

Er wird nun wohl die undankbare Aufgabe übernehmen, die Jagd nach Aliyev weiterzuführen, bei der seine Vorgänger versagt haben. Sie hatten sich lange Zeit bemüht, den Abtrünnigen und seine Gefolgsleute ausfindig zu machen. Kein so leichtes Unterfangen. Aliyev verfügt über eine aufrechte Aufenthaltsgenehmigung für den Schengen-Raum, kann sich also in 28 europäischen Staaten frei bewegen. Und er hat schier unbegrenzte finanzielle Mittel, die er unter anderem zum Ankauf mehrerer Domizile verwendet hat – einige davon in Österreich. Hier erhoffte sich der kasachische Geheimdienst offenbar Zugriff auf den Gesuchten.

Während Anwälte auf offiziellem, juristischem Weg Druck auf das Landesgericht für Strafsachen in Wien machten, einer Auslieferung Aliyevs zuzustimmen, waren die Agenten auf Meldeadressen und andere sensible Informationen aus. Offenbar mit Erfolg. In Wien soll sich ein Geheimdienstler an einen Polizisten herangemacht und ihn veranlasst haben, diesbezüglich Informationen zu liefern. In Niederösterreich besteht der dringende Verdacht, dass zwei Kriminalbeamte – einer sogar Mitarbeiter der polizeiinternen Antikorruptionstruppe BIA (Büro für interne Angelegenheiten) – auf den Deal einstiegen. Sie sollen für Kasachstan im elektronischen kriminalpolizeilichen Informationssystem EKIS gestöbert haben.

In einer parlamentarischen Anfrage der Freiheitlichen an ÖVP-Innenministerin Maria Fekter, deren Ressort sich mit der Spitzelei beschäftigt, stellt der FPÖ-Abgeordnete Harald Vilimsky nun einen Verdacht in den Raum: „Wurden ehemalige Minister als Auftraggeber genannt?“ Er spielt darauf an, ob der ehemalige Abwehramtsmitarbeiter möglicherweise von einem Ex-Politiker gebeten wurde, an die Kripobeamten heranzutreten. Vilimsky gegenüber profil: „Meinen Informationen zufolge ist Karl Blecha der heißeste Tipp.“

Observation. profil-Informationen zufolge führte das BVT im vergangenen Herbst auch eine Telefonüberwachung bei Blecha durch. Der wehrt sich vehement gegen die Behauptung, er habe für Kasachstan Informationen besorgen lassen: „Das ist völlig absurd, eine Räuberpistole. Ich klage jeden, der solche Unwahrheiten in die Welt setzt, wegen Rufschädigung. Ich kenne niemanden, der über EKIS Informationen beschaffen könnte. Ich habe auch mit niemandem diesbezüglich geredet oder Kontakt gehabt und schon gar keinen Auftrag gegeben, Material zu beschaffen.“

Er sei nur einmal vom ehemaligen SPÖ-Sicherheitssprecher Anton Gaal darauf angesprochen worden, dass sich eine Reihe von übel beleumundeten Kasachen – gemeint waren offenbar Aliyev und seine Gefolgsleute – illegal in Österreich aufhielten. Das habe er, Blecha, daraufhin telefonisch dem Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Erik Buxbaum, mitgeteilt. Buxbaum habe erklärt, die kasachischen Behörden sollten sich offiziell an die österreichischen Behörden wenden. Ende der Geschichte.

Auch mit der ehemaligen Justizministerin Maria Berger hat Blecha eigenen Aussagen zufolge einmal über den Fall Aliyev gesprochen. Danach sei er zur Überzeugung gelangt, dass „Österreich aus – wie ich meine – guten Gründen die Auslieferung von Aliyev verweigert hat, weil er kein faires Verfahren bekommen würde“, so Blecha. „Man müsste jetzt allerdings schon überprüfen, welche Aktivitäten er hier entfaltet. Aber das ist einzig und alleine Sache der österreichischen Behörden.“

Anton Gaal wiederum kann sich nicht erklären, wieso er plötzlich in diese Causa involviert ist. Zwar kenne er besagten Ex-Agenten des Bundesheers, der als Hobbydetektiv tätig ist – „geschäftlich“ habe er mit diesem Herrn nie etwas zu tun gehabt. Es dürfte sich „um ein Missverständnis handeln“, sagt er gegenüber profil. „Ich bin bereits vor einem halben Jahr vom BVT einvernommen worden. Damals habe ich versucht, ein Nachbarhaus zu kaufen, das einem Österreicher mit kasachischen Wurzeln gehört. Vielleicht bin ich da in eine Observation hineingeraten.“