Exklusiv-Interview: Kerker in Caracas

Exklusiv: Kerker in Caracas

profil war bei den inhaf-tierten AMIS-Managern

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Die drei Elitepolizisten hinter dem engmaschigen Drahtzaun wirken nicht gerade, als würden sie sich über Besucher freuen. Eingepackt in schusssichere Kevlar-Westen lehnen sie mit grimmigen Mienen auf ihren Schnellfeuergewehren. Es ist früh am Morgen, es hat geregnet, ein feuchtwarmer Wind treibt dicke Wolken über die Stadt.

Caracas, Venezuela, am Donnerstag vergangener Woche. Das Hauptquartier der Polizeisondereinheit Brigada de Acciones Especiales, kurz „Grupo BAE“, im Norden der Millionenmetropole wirkt wie eine halb fertige Bauruine: Gerüste, Schutt, Wasserlachen. Auf dem Parkplatz vor dem knochengrauen Komplex, gleich neben der dicht befahrenen Stadtautobahn, stehen, Rad an Rad, rostnarbige Mannschaftswagen.

Der Weg ins Innere des Gebäudes führt durch einen Vorbau aus massivem Stahlbeton, in den schießschartenkleine Fenster eingelassen sind. Am Eingang steht ein Beamter in Räuberzivil. Die Dienstwaffe, eine Glock, steckt zwang- und halfterlos in seinem Hosenbund. Mit einem gelangweilten Fußtritt verscheucht er den schwarzen Hund, der sich zwischen den Pfützen herumtreibt.

Dunkler Keller. Der Polizist öffnet eine Gittertür, die in eine stockfinstere Treppenflucht führt. Hier geht es hinunter in das Gefängnis der Grupo BAE, ein grau gekacheltes, von Neonröhen illuminiertes Verlies: eine zweite Gittertür, ein Aufseher mit entsicherter Maschinenpistole, in der Ecke ein Fernsehgerät, über das eine grünstichige Telenovela flimmert.

Es gibt weiß Gott schönere Plätze auf und sogar unter der Erde als diesen Keller. Und doch hätten es Harald Loidl und Dietmar Böhmer weitaus schlimmer erwischen können. Am 30. November 2005 waren die bis dahin weltweit gesuchten Ex-Manager und -Hauptaktionäre des insolventen Wiener Fondsanbieters AMIS auf der Ferieninsel Isla Margarita von Zielfahndern des österreichischen Bundeskriminalamtes (BK) und venezolanischen Polizeieinheiten geschnappt worden. Nach ihrer Überstellung auf das venezolanische Festland wurden sie erst einmal in eine drei mal drei Meter kleine Zelle mit 20 Insassen gesperrt. Um sich ein paar Minuten niedersetzen zu können, sollten die Österreicher zahlen. Was daran scheiterte, dass sie kein Bargeld mehr bei sich hatten – und umgehend zur Drohung führte, ihnen die Gurgel durchzuschneiden.

Inzwischen wurden Böhmer und Loidl zur Grupo BAE, einem vergleichsweise sicheren Ort, verlegt. Dort teilen sich die gebürtigen Steirer den Gefangenentrakt mit zwei Dutzend inhaftierten, zum Teil hochrangigen Polizisten. Die Beamten sollen im Juni in der Kleinstadt Kennedy im Nordosten des Landes infolge einer letalen Verwechslung drei unschuldige Studenten erschossen haben.

Prominente Mithäftlinge. Böhmer und Loidl haben niemanden umgebracht. Dennoch standen sie wochenlang auf der Liste der „Most Wanted“ der österreichischen Justiz. Die beiden werden, nebst einer Hand voll weiterer Verdächtiger, von der Staatsanwaltschaft Wien bezichtigt, 16.000 Anleger in Österreich und Deutschland um bis zu 70 Millionen Euro geprellt zu haben.

Dass die beiden einst höchst umtriebige Geschäftsleute waren, ist ihnen an diesem 8. Dezember 2005 nicht anzusehen. Die vierwöchige Flucht und die Tage in Haft haben Spuren hinterlassen. Harald Loidl, 46, trägt einen Zu-viele-Tage-Bart, einen blauen Trainingsanzug aus Fallschirmseide und schwarze Strandsandalen an den nackten Füßen. Auch Dietmar Böhmer, 35, standen die Maßanzüge von einst besser als das graugrüne Langarmhemd.

Schwül ist es hier unten, und gesund sehen sie nicht gerade aus. Loidl schnieft durch seine verstopfte Nase, Böhmer hat sich offensichtlich eine schwere Magenverstimmung eingefangen.

Es gibt im Gefängnis keine geregelte Verpflegung für die Insassen: Lebensmittel, Toiletteartikel und Medikamente müssen von Angehörigen, Hilfsorganisationen oder Botschaften beigebracht werden, Matratzen für die Betonsockel, die in den 4-Mann-Zellen als Betten dienen, ebenfalls. Mitte vergangener Woche konnten sich Böhmer und Loidl zwischendurch einmal an einer Sachertorte laben, geliefert von der österreichischen Vertretung in Caracas, die sich in den ersten Tagen um Essen für die beiden kümmerte. Inzwischen hat das der venezolanische Rechtsanwalt Wilfredo Garcia Palomo in Abstimmung mit den Kollegen Johannes Schmidt und Werner Tomanek übernommen.

Die beiden Häftlinge lehnen an der Kachelwand, Sessel will der Aufseher partout nicht herausrücken. „Zumindest leben wir“, sagt Loidl dünn. „Und bitte keine Fotos. Mittlerweile weiß ohnehin ganz Österreich, wie wir aussehen.“

Harald Loidl und Dietmar Böhmer: Das sind die Gesichter zu einer bis heute höchst mysteriösen Affäre. Den Herren soll es gelungen sein, tausende arglose Anleger über spezielle Fondsgebilde in Luxemburg über Jahre hinweg abzuzocken und das Geld in alle Welt zu verteilen. Und zwar so, dass es weder den Wirtschaftsprüfern noch den Finanzmarktbehörden in Österreich und Luxemburg aufgefallen wäre.

„Wir sind keine Kriminellen“, flüstert Loidl, „wir haben kein Geld veruntreut oder verschwinden lassen. Man will uns etwas anhängen, das wir nicht getan haben.“

Die Affäre AMIS, ein Missverständnis? Böhmer und Loidl, Opfer einer behördlichen Konspiration?

Nur Opfer. Am 31. August 2005 hatte die österreichische Finanzmarktaufsicht (FMA) nach ersten Hinweisen auf mutmaßliche Unregelmäßigkeiten bei der Fondsgesellschaft den Wiener Wirtschaftsprüfer Martin Wagner als Geschäftsaufseher zu AMIS entsandt. Seine Recherchen waren letztlich der Auslöser für eine Sachverhaltsdarstellung der FMA und den weltweiten Haftbefehl wegen mutmaßlichen Betrugs.

Als die Probleme aufflogen, hatten sich Böhmer und Loidl, die Mitte der neunziger Jahre bei AMIS, genauer: deren Vorläuferin AMV, eingestiegen waren, offiziell aus allen Funktionen verabschiedet, um sich der Entfaltung neuer Aktivitäten im Ausland zu widmen. Die Justiz freilich kümmert das wenig. Die vermuteten Malversationen sollen sich zwischen 1999 und 2002 abgespielt haben. Zu einer Zeit also, als beide bei AMIS das Sagen hatten.
Die beiden reagieren, darauf angesprochen, einsilbig: „Stimmt alles nicht.“

Warum sie sich dem behördlichen Zugriff dann durch Flucht aus Österreich entzogen haben?
„Wir sind nicht geflüchtet“, beteuert Loidl, „wir sind nach Venezuela gereist, um uns vorzubereiten.“

Er sei am 24. Oktober aus seiner Wahlheimat USA nach Österreich geflogen, um seine Eltern in der Steiermark zu besuchen. „Am 29. wollte ich wieder zurück, um mich unter anderem einer überfälligen Tumoruntersuchung zu unterziehen.“ Am 25. Oktober habe er, Loidl, aus der Zeitung von den Ermittlungen erfahren. „Wenig später hat meine Tochter angerufen, um mir zu sagen, dass die Polizei etwas von mir will. Ich war völlig perplex. Ich wusste zwar, dass es bei AMIS Probleme gibt, aber nicht genau, was, wann und warum.“

Er habe sich daraufhin Böhmer geschnappt („Was hätte der noch in Österreich tun sollen?“) und sei mit ihm schließlich in Venezuela gelandet. „Wir sind ganz offiziell eingereist.“

Wahr ist, dass das Duo wenig unternommen hat, um seine Spuren zu verwischen. Böhmer und Loidl waren durchgehend gemeinsam unterwegs, mit ihren eigenen österreichischen Pässen. Bei der Ankunft in den USA, der ersten Station auf ihrem Weg in Richtung Gefängnis, füllten sie brav ihre Einreiseanträge aus. Und auf der Isla Margarita meldeten sie sich, so ihr Wiener Anwalt Johannes Schmidt, korrekt bei der Polizei an, mieteten unter ihren eigenen Namen ein Appartement und lösten sogar eine Steuernummer. Angeblich sollen sie erwogen haben, vor Ort eine neue Existenz als Gastronomen zu begründen.

Nichts verschwunden. Zur Sache selbst antworten beide dennoch nur ausweichend.
„Aus meiner Sicht gab es keine Unregelmäßigkeiten“, sagt Loidl ein weiteres Mal, „um die Buchhaltung habe ich mich allerdings nicht gekümmert, ich war nur für Vertrieb und Marketing zuständig.“

Über die Finanzen wisse Böhmer besser Bescheid. Und der sagt nur: „Die Vorwürfe gegen uns sind völliger Schwachsinn. Es wurde alles von Experten geprüft, nie hat es dabei irgendeinen Anlass zu Kritik gegeben. Dass Kundengelder weg sein sollen, ist völlig an den Haaren herbeigezogen. Das Geld liegt noch immer bei der Depotbank Sella in Luxemburg.“
Das bestreitet auch niemand. Offen ist freilich, wie viel davon noch da ist.

Als die Affäre aufflog, hatte AMIS nach eigener Darstellung rund 135 Millionen Euro bei Anlegern eingesammelt. Davon sollen zur Stunde nur mehr 65 Millionen Euro vorhanden sein. Der größere Teil, ziemlich exakt 70 Millionen Euro, soll in einem undurchsichtigen Geflecht aus Gesellschaften zwischen Wien, Luxemburg, Liechtenstein, den Cayman Islands und den USA verschwunden sein. Nach vorläufigen Erkenntnissen der Behörden flossen von diesem Betrag 48 Millionen Euro in Form weit überhöhter Provisionen an Vertriebspartner, möglicherweise auch an Böhmer und Loidl selbst; weitere 22 Millionen sollen an Unternehmen im direkten Einflussbereich von Böhmer und Loidl, darunter vor allem die ihnen zugerechnete US-Immobilienfirma Investment & Equity Group, transferiert worden sein.

Die Kunden bemerkten davon freilich nichts. Die Justiz wirft den AMIS-Managern vor, Kontoauszüge manipuliert zu haben, um den Geldschwund zu kaschieren.

„Schwachsinn“, sagt Loidl erneut, „es ist kein Geld verschwunden.“ Er gesteht zwar „Fehlentscheidungen“ ein, keinesfalls seien diese aber kriminell motiviert gewesen. „Natürlich wurden Verkaufsprovisionen gezahlt, aber das Provisionssystem ist nie jemandem aufgestoßen, auch nicht der Finanzmarktaufsicht. Hätte die FMA die Leute einfach in Ruhe arbeiten lassen, wäre nichts passiert.“

Die FMA widerspricht dem vehement. Sprecher Klaus Grubelnik: „Wir haben im Rahmen unser aufsichtsrechtlichen Möglichkeiten und nach Maßgabe der vorliegenden Informationen alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen.“

Auch die von den AMIS-Managern vorgebrachte Behauptung, das hauseigene Computersystem habe „auf Knopfdruck jederzeit Auskunft über sämtliche Transaktionen erlaubt“ (Loidl: „Das hat die FMA auch bestätigt“), weist Grubelnik brüsk zurück: „Das ist völliger Blödsinn. Die FMA hat das niemals abgenommen oder gar gutgeheißen. Das fiel überhaupt nicht in unseren Verantwortungsbereich. Vielmehr resultieren die aktuellen Probleme bei der Zuordnung der Kundengelder aus eklatanten Schwächen des Computersystems.“

So ist es offenbar bis jetzt nicht möglich, die auf Depots bei der Luxemburger Sella Bank verbliebenen Gelder den rechtmäßigen Besitzern zuzuordnen. „Die Kundenbuchhaltung war chaotisch“, sagt Grubelnik knapp.

Während Böhmer und Loidl in ihrem Kellergefängnis an einer plausiblen Verteidigungsstrategie arbeiten, entspinnt sich auf diplomatischer Ebene ein heftiges Tauziehen um ihre Auslieferung. Die Republik Österreich will die beiden lieber heute als morgen in heimischem Polizeigewahrsam sehen. Die Rechtsanwälte Johannes Schmidt und Werner Tomanek wollen das um jeden Preis verhindern. „Wir drängen auf die sofortige Enthaftung in Venezuela. Unsere Mandanten sind gewillt, gegen freies Geleit nach Hause zu kommen, um sich den haltlosen Vorwürfen zu stellen.“

Dass Böhmer und Loidl wirklich von Anfang an die Absicht hatten, wieder nach Österreich zurückzukehren, darf aus heutiger Sicht bezweifelt werden. Die österreichischen Behörden vermuten vielmehr, sie hätten Venezuela bewusst ausgewählt, da der südamerikanische Staat kein Auslieferungsabkommen mit Österreich unterhält und kein gesteigertes Interesse an der Verfolgung mutmaßlicher Wirtschaftsdelikte habe. Ein möglicherweise fataler Trugschluss (siehe Kasten).

Als die Steirer arretiert wurden, führten sie insgesamt 30.000 Dollar in verschiedenen Währungen mit sich. Genug, um eine Zeit lang durchzukommen.

Geblieben ist ihnen davon nicht viel. Sie haben bloß ein paar Bolivar in der Tasche, die ihnen von ihren Anwälten zugesteckt wurden.

Dunkle Erinnerungen. Und nachts, im Dunkel des Gefängnistrakts der Grupo BAE, werden Dietmar Böhmer und Harald Loidl von düsteren Erinnerungen geplagt. Vor allem jenen an den 30. November 2005, den Tag, der sie die Freiheit kostete. „Wir sitzen in Porlamar auf der Insel Margarita im Café eines Einkaufszentrums“, rekapituliert Loidl und saugt an seiner Marlboro, „plötzlich stürmen zehn bis 15 Leute auf uns zu, einer packt mich beim Krawattl, und alle schreien: Policia! Policia!“ Dann sei es auf einen Schlag still geworden. Und das Nächste, was er gehört habe, sei eine Frage auf Deutsch gewesen: „Und, wie geht es Ihnen jetzt, meine Herren?“

Von Martin Staudinger (Caracas) und Michael Nikbakhsh