„Süßes Fieber“

Literatur. Das intensive Leben des „Gatsby"-Autors F. Scott Fitzgerald

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Der Anblick seiner Augen war erschreckend. Er hatte einen Blick, „als ob er den offenen Schlund der Hölle vor sich sah“. So beschrieb die Drehbuchautorin Francis Goodrich Hackett „jenen merkwürdigen Mann“, der wie ein Gespenst 1938 alleine in der Kantine des MGM-Studios saß und eine Coca-Cola-Flasche nach der anderen leerte. Wie viele Alkoholiker brauchte F. Scott Fitzgerald in jenen Phasen, in denen er verzweifelt versuchte, trocken zu werden, Unmengen an Süßem, um den Entzug zu ertragen, sowie abends schwere Schlafmittel und morgens eine Ladung an Aufputschmitteln. Fitzgeralds einzig nennenswerter sozialer Kontakt in Hollywood war sein Agent H. N. Swanson – jener Mann, der mit William Faulkner und Raymond Chandler später zwei weitere schwer trinkende Schriftstellergiganten auf die Schlachtbank der Traumfabrik legen sollte. Fitzgerald war in Hollywood so einsam, dass er sich selbst eine Postkarte schrieb: „Lieber Scott – wie geht’s dir? Ich überlege, dich zu besuchen. Ich wohne im Garden of Allah. Viele Grüße. Scott Fitzgerald.“

Doch die einzige Möglichkeit, die Schulden bei seinem Literaturagenten Harold Ober und seinem Lektor Maxwell Perkins abzutragen, die elitäre Schulausbildung seiner Tochter Scottie und die kostspieligen Klinikaufenthalte seiner von Wahnvorstellungen torpedierten Frau Zelda zu finanzieren, blieb der Frondienst in der Filmfabrik. Auch dieser letzter Versuch – Fitzgerald hatte insgesamt drei Hollywood-Anläufe genommen, um seine „unerträgliche finanzielle Unsicherheit“ zu mildern – ist zum Scheitern verurteilt. Hollywood kann mit Fitzgeralds funkelndem Sprach-Swing wenig anfangen. Wegen „zu ausschweifender Ideen“ wird er von vielen Filmprojekten, unter anderem auch von „Vom Winde verweht“, unfreiwillig abgezogen. Die einzige offizielle Abspann-Nennung bekommt der „Golden Boy“ der Ragtime-Ära für die Verfilmung des Erich Maria Remarque-Romans „Drei Kameraden“, dessen Regisseur Joseph Mankiewicz jedoch das Drehbuch so stark bearbeitete, dass von Fitzgerald kaum etwas übrig blieb. Das einstige literarische Wunderkind warf sich angesichts dieser Demütigung gekränkt vor Mankiewicz in einem Brief auf die Knie: „19 Jahre lang, unterbrochen von zwei Jahren Krankheit, habe ich Unterhaltung geschrieben, die sich hervorragend verkauft hat, und meine Dialoge sind wahrscheinlich das beste, was du kriegen kannst … Oh, Joe … ich bin ein guter Schriftsteller – ehrlich.“

Mankiewicz schrieb später: „Dafür, dass ich seine Dialoge veränderte, hasst man mich heute noch. Es ist, als ob ich auf die amerikanische Flagge gepinkelt hätte.“

Verachtung für Hollywood
Wie sehr Fitzgerald Hollywood verachtete, zeigt sich nicht nur in seinem Roman-Fragment „Die Liebe des letzten Tycoons“, das posthum erschien und später mit Robert De Niro als menschenverachtendem Filmmogul verfilmt werden sollte, sondern auch – und vor allem – in den „Pat Hobby Stories“. In jenen für den „Esquire“ verfassten „Kürzestgeschichten“, wie er sie selbst nannte, kreierte Fitzgerald einen herunter gekommenen
Hollywood-Lohnschreiber, der sich in den Mühlen des Systems kaum über Wasser hält, und ging dabei sarkastisch-melancholisch mit der Filmindustrie und seinem eigenen Dilemma ins Gericht. Schonungslos rechnete Fitzgerald bereits 1936 mit seinem raketenhaften Aufstieg und dem schmerzhaft langsamen Absturz in seinem autobiografischen Essay „The Crack-up“ („Der Zusammenbruch“) ab, nachzulesen in der hervorragend editierten und übersetzten Diogenes-Gesamt-
ausgabe der Erzählungen. „Elendes Gewinsel“ nannte sein früherer Freund Ernest Hemingway, den Scott gerne aus purer Bosheit mit zwei „m“ schrieb, Fitzgeralds intime Bankrotterklärung der eigenen Psyche, die in dem Magazin „Esquire“ erschienen war. Darin verglich sich Fitzgerald mit „zerbrochenem Geschirr“ und schreibt, dass die Arbeit für den Film auch deswegen für ihn künstlerisch so zersetzend sei, weil „die Individualität in den unvermeidlich niedrigeren Gang der Zusammenarbeit hinunter geschaltet wird“.

Was für eine historische Ironie, dass Hollywood seit Fitzgeralds tragischem Abgang nicht aufgehört hat, sich seiner Werke zu bemächtigen: Unlängst wurde eine von Fitzgeralds 160 Kurzgeschichten, die er häufig als „Müll“ bezeichnete und am Fließband für diverse Massenblätter fertigte, um seine Luxus-Exzesse zu finanzieren, höchst erfolgreich verfilmt: „Das seltsame Leben des Benjamin Button“, mit Brad Pitt in der Rolle jenes Mannes, der als Greis zur Welt kommt und als Säugling stirbt. Die Geschichte liest sich wie ein Gleichnis auf Scotts und Zeldas Jugendwahn. Zelda, die exzentrische Südstaaten-Schöne, für die der kleine Leutnant aus niedrigem Mittelstand sich zum glamourösen Schriftsteller wandelte, schrieb in einem der vielen, hinreißend formulierten Briefe an ihren Mann, den sie um acht Jahre überleben sollte: „Ich werde nie etwas zustande bringen, weil ich viel zu faul bin … Ich will nur immer ganz jung sein und völlig unzurechnungsfähig.“ Ihre Liebe glich einer Hochschaubahn: Zelda genoss es, Scott zu provozieren und zu demütigen. Sie ließ ihn spüren, dass sie weit unter ihrem Stand geheiratet hatte.

In ihrer Affinität zu verhaltensoriginellen Eskapaden und Alkoholorgien blieb sich das mondäne Vorzeigepaar nichts schuldig: Champagner-Duschen, Stripeinlagen vor dem Dessert, auf allen Vieren kläffend durch die Park Avenue robben, dem Küchenpersonal im Waldorf-Astoria die Kochmützen klauen und anschließend damit auf dem Herd tanzen – oder einfach nur volltrunken im Automobil auf den Bahngleisen einschlafen: Scott und Zelda übertrumpften die Figuren seiner Romane an narzisstischen Selbstinszenierungen oft bei weitem. „Ich glaube, in den Jahren, in denen sie glücklich waren, haben sie sich mehr amüsiert, als andere in ihrem ganzem Leben“, wird ihre Tochter Scottie später sagen. „Das mussten sie eben mit einem frühen Tod bezahlen.“ Doch als Zelda ihre eigenen schriftstellerischen Ambitionen entwickelte, wurde sie von ihrem Mann scharf zurück gepfiffen. „Ich bin hier der Schriftsteller“, ließ er sie wissen und plünderte ihre Tagebuchaufzeichnungen für seine Arbeit. Erst als die beiden schon getrennt waren – Zelda lebte von 1930 bis zu ihrem Tod 1948 hauptsächlich in Psychiatriekliniken und kam in einer solchen Institution bei einem Brand um – wagte sie, „mein eigenes Leben zu leben.“ Sie verfasste 1932 den wirren, abstrusen Roman, manchmal wild-poetschen „Der letzte Walzer ist für mich“.

Neid, Verachtung und Schmerz
Doch neben der ständigen Bankrottbedrohung und Suchtabstürzen gab es eine weitere maßgebliche künstlerische Tragödie in F. Scott Fitzgeralds Leben: Jenes Buch, das ihn nach Jahren der Lohnschreiberei von „happy trash“, 1925 wieder in die erste Liga katapultieren sollte und von dem er hoffte, dass „er der beste amerikanischer Roman aller Zeiten“ werden würde, blieb von Kritik und Publikum weitaus unbeachtet. Dies hat sich inzwischen geändert: Am Mittwoch diese Woche werden die Filmfestspiele in Cannes mit der bereits fünften Verfilmung von Fitzgeralds schmalem Opus magnum „Der große Gatsby“ (siehe hier) eröffnet – mit Leonardo DiCaprio in der Rolle des romantischen Egoisten und gleichzeitig skrupellosen Aufsteigers, der Gott spielen will und für seine Monomanie teuer bezahlen muss.

Die Figuren des neureichen Hochstaplers Gatsby und seines Zaungasts Nick Carraway tragen beide biografische Züge ihres Schöpfers. Wie Gatsby wollte auch Fitzgerald seine eigene bescheidene Provinzherkunft aus „einem Haus unter dem Durchschnitt“ zertrümmern und als Lichtgestalt aus den Ruinen steigen. Wie Gatsby zimmerte er sich eine neue Identität, um die ansonsten für ihn unerreichbare „Southern Belle“ (im Leben Zelda, im Roman Daisy) an sich zu ketten. Und wie Carraway fühlte er eine Mischung aus Neid, Verachtung und den Wundschmerz eines Sozialkomplexes angesichts jener von exakt getrimmtem Rasen, Champagnerflöten und weißen Chiffonkleidchen dominierten Welt, die einem das Gefühl von „süßem Fieber“ vermittelte und unter der „frivolen Oberflächlichkeit“ dennoch unübertünchbar durchdringlich nach Fäulnis und Verfall roch.
„Zumindest waren sie sich des leicht verdienten Geldes in ihrer Nähe schmerzlich bewusst“, lässt er Carraway über die Trittbrettfahrer im Partygeschehen auf Gatsbys Herrensitz sagen und spricht dabei wahrscheinlich von sich selbst.

F. Scott Fitzgerald, der einst höchstbezahlte Schriftsteller Amerikas, der auf der Höhe seines Ruhms 4000 Dollar pro Kurzgeschichte verdiente, was dem dreifachen Jahresgehalt eines Fabrikarbeiters entsprach, war in den 1930er-Jahren Jahren völlig aus der Mode gekommen. „Kein Geld, kein Ruhm, keine Arbeit“ notierte er 1939. Mit seinen Romanen verdiente er keinen Cent mehr. In keiner einzigen Buchhandlung in Los Angeles war eines seiner Werke noch erhältlich, wie er selbst masochistisch recherchierte. In Panik kaufte er die paar, noch auf Lager befindlichen Exemplare des „Großen Gatsby“ auf, um wenigstens ein paar Menschen eine Idee von „meiner einzigen künstlerischen Leistung“ geben zu können. Die paar Dollar an Tantiemen, die er im nächsten Jahr einnehmen sollte, hatte er allein seinen eigenen Investitionen zu verdanken. Doch schon bei seinem Erscheinen 1925 war „Der große Gatsby“, dessen Titel er hasste und der ihm von seinem Verlag aufgezwungen worden war, hinter seinen Erwartungen weit zurück geblieben.

Der Roman, der wie kein anderer die „Titanic“-Stimmung der von Gier, obsessivem Hedonismus und exaltierter Selbstdarstellung geprägten 1920er-Jahre Amerikas atmete, verkaufte gerade einmal 20.000 Exemplare – gemessen an Fitzgeralds literarisch weitaus schwächerem Debüt-Erfolg „Diesseits des Paradieses“ 1920 ein Flop. Ein halbes Jahr nach seinem Erscheinen war „Gatsby“ kommerziell bereits tot. „Die Kritiker mochten es nicht, weil es sich mit den Reichen beschäftigte und keine Bauern aus ‚Tess‘ darin vorkamen, die in Idaho ausgebeutet wurden“, schrieb Fitzgerald frustriert an seinen Lektor Maxwell Perkins, der das Buch nach der ersten Fassung für „ein Wunder“ gehalten hatte. „Ich habe all mein Selbstvertrauen verloren, denn ich glaube noch immer, dass die ersten fünf Kapitel und Teile des siebenten und achten das Beste sind, was ich je geschrieben habe.“

Die Literaturgeschichte sollte ihm Recht geben. Schon ein Jahr nach seinem Tod – Fitzgerald war am 21. Dezember 1940 im Wohnzimmer seiner letzten Geliebten Sheila Graham, einer Klatschreporterin, in Hollywood tot zusammen gebrochen – feierte der Roman eine triumphale Wiederauferstehung. John Dos Passos nannte ihn „einen der wenigen klassischen amerikanischen Romane“; der von Fitzgerald verehrte T.S. Eliot bezeichnete ihn „als den ersten Schritt, den die amerikanische Literatur seit Henry James getan hat“. Hemingway, drei Jahre jünger als Fitzgerald und noch völlig unbekannt, als dieser sich bereits im Zenit seiner Karriere befand und das literarische Greenhorn noch nach Kräften förderte, zeigte sich da weniger elegant. In seiner Geschichte „Schnee am Kilimandscharo“ schrieb er mitleidlos „vom armen Fitzgerald, der die Schönen und Reichen für eine besondere Rasse hielt“ und, als er seinen Irrtum entdeckte, „am Boden zerstört war“.

Als junger Mann hatte F. Scott Fitzgerald in der Elite-Uni Princeton einmal völlig ohne Ironie einem ebenfalls literarisch ambitionierten Kommilitonen gesagt: „Ich möchte der größte Schriftsteller Amerikas werden. Sie nicht?“ Er hat sein Ziel erreicht, aber leider nicht erlebt.

Hintergrund

Marschland
Das Beste von und über F. Scott Fitzgerald: ein Navigator.

„Der große Gatsby“: Fitzgeralds Meisterwerk über die Brüchigkeiten des amerikanischen Traums; Sätze von funkelnder Eleganz und brillante Charakterstudien „im Marschland des menschlichen Verhaltens“, wie das der Ich-Erzähler des Romans formuliert.

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„Zärtlich ist die Nacht“: Die schwarze Seite des Glamours an der Cote d’Azur der zwanziger Jahre, wo die dekadenten Fitzgeralds immer wieder Monate verbrachten, um ihre Lebenshaltungskosten zu senken. Das ging damals noch.

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„Die Schönen und die Verdammten“: Mit dem jungen Flaneur Anthony Patch und seiner Gefährtin Gloria setzte Fitzgerald seiner eigenen Beziehung zu Zelda ein Denkmal. Und nimmt ihr brutales Scheitern bereits prophetisch vorweg.

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„Diesseits des Paradieses“: Der Roman, mit dem Fitzgerald 1920 zum „literarischen Wunderkind“ ausgerufen wurde. Das Buch enthält stark autobiografische Züge, ist aber wahrscheinlich das schwächste des Autors.

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Der Schweizer Diogenes-Verlag brachte in den vergangenen Jahren sorgfältig editierte und teilweise neu übersetzte Fitzgerald-Kassetten heraus: Die jeweils fünfbändigen Gesamtausgaben der Romane (95 Euro) und Erzählungen (89 Euro). Die Bücher sind aber auch einzeln bei Diogenes erhältlich. Lesern, die Fitzgerald im Original genießen wollen, sei die Edition der Pinguin Harbacks Classics empfohlen, deren Cover im klaren Art-Deco-Design gestaltet sind.

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Fitzgeralds 160 Erzählungen und autobiografische Essays sind von sehr unterschiedlicher Qualität: manche atemraubend gut, andere zeugen von Zeit- und Geldnot. Sein Genie zeigt sich vor allem in der Beschreibung von Menschen, deren Seelen er mit wenigen Bürstenstrichen offen legt. Seine Bewunderin Dorothy Parker brachte es so auf den Punkt: „Manche seiner Geschichten sind schlecht, aber nie schlecht geschrieben. Das konnte er gar nicht.“

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Michaela Karls „Wir brechen die 10 Gebote und uns den Hals“ (Residenz): eine süffig geschriebene Biografie über die beiden Vulkantänzer Scott und Zelda, in der die US-Sekundärliteratur über Fitzgerald akribisch aufgearbeitet wurde. Reich an Anekdoten.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort