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Fachunis: Spezialisten ohne Job

Spezialisten ohne Job

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Absolventen mit maßgeschneiderter Ausbildung für die Wirtschaft sollen die Fachhochschulen (FH) liefern. Seit bald zehn Jahren ergänzen die neuen „kleinen Universitäten“ das traditionelle Hochschulsystem. Die verhältnismäßig kurze Studiendauer sowie der starke Praxisbezug der Ausbildungsstätten versprachen gemeinhin solide Erfolgschancen am Arbeitsmarkt – und anfänglich war dem auch so. Absolventen von Fachhochschulen hatten kaum Probleme, interessante Jobs zu finden, und wurden von Unternehmen fallweise sogar bereits während des Studiums engagiert.

Doch mittlerweile bekommen auch Fachuni-Absolventen die schwache Konjunkturentwicklung zu spüren. „Sie haben es aufgrund der aktuellen Marktsituation inzwischen jedenfalls schwerer und müssen sich früher und intensiver mit der Arbeitssuche beschäftigen“, beobachtet Kurt Habich, Obmann des Absolventenvereins der Fachhochschule Wiener Neustadt.
Die Statistiken bestätigen Habichs Wahrnehmungen: Waren im Jahr 1999 bloß 39 FH-Absolventen arbeitslos gemeldet, kletterte diese Zahl bis 2001 auf 93 beschäftigungslose FH-Akademiker und stieg im Vorjahresdurchschnitt auf 228 Jobsuchende. Die jüngsten Daten des Arbeitsmarktservice (AMS) vom Juli 2003 weisen bereits 331 arbeitslose FH-Absolventen aus. Da sich joblose Abgänger der vor dem Sommer abgeschlossenen Lehrgänge oft erst mit einigen Monaten Verzögerung beim Arbeitsmarktservice registrieren lassen, ist im zweiten Halbjahr wohl mit einem weiteren Anstieg der Zahl amtlich arbeitsloser FH-Absolventen zu rechnen.

Mehr Absolventen. Über die Ursachen dieser Entwicklung wird zurzeit intensiv debattiert. Zunächst hängt die steigende Arbeitslosenzahl schlicht mit dem Erfolg der Lehrgänge zusammen, die sich im großen Zulauf niederschlägt. „Es gibt einfach immer mehr Absolventen, daher nimmt natürlich auch die Zahl der Arbeitslosen zu“, konstatiert Marius Wilk, Arbeitsmarktexperte des AMS. Und in Zeiten flauer Wirtschaftsentwicklung, die bei vielen Unternehmen zu Aufnahmestopps oder Personalabbau führt, sei dann eben auch die Nachfrage nach FH-Absolventen etwas geringer.
Tatsächlich ist die Zahl der Studiengänge und Studierenden deutlich angestiegen. Gab es im ersten Studienjahr 1994/1995 erst rund 700 Studenten, waren im diesjährigen Frühjahr bei den bundesweit 124 Studiengängen bereits an die 18.000 Ausbildungswillige registriert. Für kommenden Herbst wird bereits mit mehr als 22.000 Studenten gerechnet.

Rein theoretisch sollte das Problem der Arbeitslosigkeit dabei jedoch gar nicht auftreten. Denn die Zunahme an Studierenden und Absolventen sollte in den so genannten „Bedarfsanalysen“ berücksichtigt sein: Jeder Studiengang muss, bevor er seine Zulassung erhält, in umfangreichen Erhebungsverfahren nachweisen, dass am Arbeitsmarkt ausreichende Nachfrage nach Absolventen mit jener spezifischen Ausbildung besteht, die angeboten werden soll. Nur wenn ein solcher Arbeitskräftebedarf plausibel dokumentiert werden kann, wird der Studiengang vom Fachhochschulrat (FHR) genehmigt.
„Laut unserer Bedarfs- und Akzeptanzanalysen müsste man eigentlich davon ausgehen, dass es für alle Absolventen einen Platz am Arbeitsmarkt gibt“, meint Kurt Sohm, stellvertretender Geschäftsführer des Fachhochschulrats. Claus Raidl, Präsident des Fachhochschulrats und als Generaldirektor des börsenotierten Edelstahlherstellers Böhler-Uddeholm häufiger mit den Unwägbarkeiten und Unschärfen von Prognosen konfrontiert, gibt sich diesbezüglich etwas vorsichtiger: „Es ist sehr schwierig, den Bildungsbedarf für die nächsten Jahre genau abzuschätzen.“ Auch Friedrich Faulhammer, als Ministerialrat im Bildungsministerium für den Fachhochschulsektor zuständig, betont, dass „Bedarfsanalysen nur eine Einschätzung“ der künftigen Entwicklung wiedergeben können.

Gemischte Bilanz. FHR-Geschäftsführer Sohm vertritt jedenfalls die Ansicht, dass es sich bei der aktuellen Arbeitslosenzahl im Grunde um eine „vernachlässigbare Größe“ handle. Eine Einschätzung, die bei näherer Betrachtung der Jobbilanz freilich nicht zur Gänze bestätigt wird: Mit Ende der Lehrgangsperiode 2001/2002 hatten 7349 Personen ein FH-Studium absolviert. 228 dieser FH-Absolventen waren im Jahresdurchschnitt 2002 als offiziell arbeitslos und jobsuchend registriert, was eine Arbeitslosenquote von 3,1 Prozent ergibt.

Ein Wert, der zwar deutlich unter der österreichischen Gesamtarbeitslosenquote lag, die im vergangenen Jahr 6,9 Prozent betrug, gleichzeitig aber höher war als die durchschnittliche Akademikerarbeitslosenquote von 2,3 Prozent.

Demgegenüber kam eine im vergangenen Mai publizierte Umfrage der Wiener Unternehmensberatung 3s zum Ergebnis, dass 67 Prozent der FH-Absolventen nach eigenen Angaben sogar aus mehreren Jobangeboten wählen konnten. 53 Prozent der Befragten berichteten, „sofort“ einen Posten bekommen zu haben. Das durchschnittliche Einstiegsgehalt lag dabei bei immerhin 2150 Euro.

Aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage seien Unternehmen derzeit jedoch tendenziell vorsichtiger, Studienabgänger sofort dauerhaft anzustellen. „Eine längere Werkvertragsbasis wird immer häufiger und eine fixe Beschäftigung sofort nach dem Studium tendenziell unwahrscheinlicher“, analysiert Klaus Schedler von der Bildungsabteilung der Wirtschaftskammer. Sein Rat an FH-Absolventen: „Sie sollten sich darauf einstellen, zuerst eher projektbezogen arbeiten zu müssen.“
Weiters sollten sowohl Studierende als auch Lehrgangsanbieter verstärkt auf sich ändernde Nachfrageschwerpunkte Bedacht nehmen, meint Friedrich Faulhammer vom Bildungsministerium. So seien beispielsweise die Aussichten für EDV-Spezialisten noch vor wenigen Jahren außerordentlich gut gewesen, mittlerweile jedoch weit weniger optimistisch einzuschätzen. Grundsätzlich sei es aber für Absolventen von Technikstudiengängen immer noch relativ leicht, einen Job zu finden, berichtet Johanna Theurl vom Forschungszentrum Joanneum in Graz. „Es werden weniger mit dem Studium fertig, als von der Wirtschaft gebraucht werden.“ Theurl rät den bundesweit rund 37.000 Maturanten daher durchaus zur Belegung technischer Lehrgänge: „Die haben noch die besten Chancen.“
Auch Beispiele aus anderen Branchen zeigen, dass FH-Studenten häufig recht unkompliziert von – meist verpflichtend vorgeschriebenen – Praktika in den ersten Job wechseln. So wurde aus dem Studiengang Tourismus und Freizeitwirtschaft am Technikum Kärnten fast die Hälfte der Studierenden aus dem Praxissemester in ein fixes Dienstverhältnis übernommen, wie Christiane Weiss vom Technikum Kärnten berichtet.

Imageprobleme. Trotz derartiger Beispiele, glaubt Weiss, seien die Vorzüge der verschiedenen Fachhochschulausbildungen immer noch zu wenig bekannt. Die Fähigkeiten der Absolventen würden häufig unterschätzt, und „die Unternehmen wissen oft nicht recht, wie sie die Absolventen einstufen sollen“, so Weiss. Zu einer ähnlichen Beurteilung gelangt Gerhard Eiselmeier von der FH Oberösterreich: „Immer noch haben die traditionellen Universitätsabschlüsse mehr Prestige als jene der Fachhochschulen.“ Eiselmeier plädiert daher dafür, an den einzelnen Fachhochschulen „Schwerpunktkompetenzen“ auszubauen, um derart das Image zu heben.
Allerdings gibt es auch eine Reihe signifikanter interner Strukturprobleme, die in Zukunft vermehrt in Jobschwierigkeiten münden könnten. Dazu zählt vor allem der mancherorts konstatierte Wildwuchs an Studiengängen, der für Unternehmen vielfach schwierig überblickbar ist. Jahr für Jahr nimmt die Anzahl der FH-Studiengänge zu: Aus den zehn Studiengängen des ersten Studienjahres sind mittlerweile 124 geworden, und ab Herbst wird die Zahl auf voraussichtlich 142 steigen.

„Wenn es immer mehr Studiengänge gibt, ist das problematisch, denn irgendwann ist ein gewisser Sättigungsgrad erreicht“, glaubt Monika Thum-Kraft vom Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft. Der Rechnungshof warnte in einem Prüfbericht bereits vor einer „starken Zersplitterung“ des Studienangebots. Es sei zu empfehlen, „bei der Genehmigung neuer Standorte restriktiver vorzugehen“.

Dieser Rat soll nun befolgt werden. „Nächstes Jahr gibt es keine neuen Studiengänge mehr“, versichert FHR-Geschäftsführer Kurt Sohm. Es werde angestrebt, die Studiengänge zu konsolidieren und vor allem auf deren Qualität zu achten. Friedrich Faulhammer plädiert namens des Bildungsministeriums ebenfalls dafür, von allzu ausgeprägter „Kleinteiligkeit“ Abschied zu nehmen und für mehr Übersichtlichkeit zu sorgen, indem etwa ähnlich gelagerte Studiengänge zusammengefasst werden. Die Anzahl der Studienplätze solle jedoch beibehalten werden.

Gelegentliche Verwirrung. Auch die von jedem Studienanbieter bisher völlig frei wählbare Bezeichnung der Lehrgänge sorgt gelegentlich für Verwirrung. Während Personalchefs in Unternehmen ziemlich genau wissen, welche Ausbildung und Kenntnisse sie bei einem Magister der Handelswissenschaften oder diplomierten Chemiker erwarten können, ist dies bei Absolventen von Studiengängen wie Marketing & Sales (Fachhochschule der Wirtschaft) oder Biotechnische Verfahren (Fachhochschule Wiener Neustadt am Standort Tulln) nicht notwendigerweise im gleichen Ausmaß der Fall. „Die teilweise fantasievollen Namensgebungen bergen die Problematik der Unübersichtlichkeit“, meint Stefan Humpl von der Unternehmensberatung 3s. Kurt Sohm kündigt als stellvertretender Geschäftsführer des Fachhochschulrats daher eine Initiative zur Durchforstung der Namensvielfalt an: „Das soll sich ändern. Wir planen eine Vereinheitlichung der Bezeichnungen.“

Ebenso soll der vielfach hohe Spezialisierungsgrad – traditionell als besondere Stärke der Fachunis geschätzt – unter die Lupe genommen werden. Unternehmensberater Humpl plädiert für verstärkte Konzentration auf „Berufsfelder“ statt auf „Berufsbilder“: „Es ist besser, ein Grundverständnis des Programmierens zu vermitteln, als auf eine bestimmte Programmiersprache spezialisiert zu sein.“ Andernfalls bestehe die Gefahr, „sich zu stark in Nischen zu verlaufen“.
Auch FHR-Präsident Claus Raidl teilt diese Erkenntnis und befürwortet diesbezüglich etwas größere Selbstbeschränkung: „Wir sind mittlerweile darauf sensibilisiert, Studiengänge nicht zu eng anzulegen.“ Demgemäß habe man beispielsweise die beantragte Einrichtung eines Studiengangs für Modemanagement bereits abgelehnt, weil das Ausbildungsfeld nach Ansicht der Fachhochschulräte zu eng gefasst gewesen sei.

Von Beginn an eher breit angelegte Ausbildungsprogramme ziehen überdies meist mehr Studenten an. „Wir bilden sehr breit aus, denn die Flexibilität gibt den Studierenden mehrere Optionen nach dem Studium“, sagt Susanne Oertel von der Fachhochschule Wiener Neustadt, die mit dem Studiengang für Wirtschaftsberatende Berufe das FH-Studium mit der höchsten Studentenzahl anbietet.

Praxisnähe. Ein besonderes Plus, das Fachhochschulen gemeinhin attestiert wird, scheint durch neuere Daten allerdings zumindest infrage gestellt zu sein: die im Vergleich zu den Universitäten deutlich ausgeprägtere Praxisorientierung. In einer Untersuchung des Zentrums für Sozialforschung und Wissenschaftsdidaktik gaben 46,4 Prozent der befragten Fachhochschüler an, dass es ihnen – trotz Praktika und betonter Praxisorientiertheit der FH-Studienpläne – in der Berufseinstiegsphase an praktischen Erfahrungen gemangelt habe. „Es liegt offenbar ein Unterschied darin, praktisches Wissen in Vorträgen zu hören oder eine Arbeit selbst zu machen“, interpretiert Judith Ziegler, eine der Autorinnen der Studie, die Ergebnisse. FHR-Präsident Raidl verwundert das Ergebnis der Studie nicht: „Wir bilden zwar praxisbezogen, aber auch akademisch aus.“ Es wäre ein Missverständnis, ein FH-Studium mit „learning on the job“ zu verwechseln, so Raidl. Überdies sei der subjektive Praxismangel bei Absolventen herkömmlicher Universitäten mit Sicherheit noch höher.