Von Fußball, Fischen und der Freiheit

Färöer-Inseln: Fußball, Fischen und Freiheit

Reportage. EU-Sanktionen, Fußballwahn und Hammelkopfsuppe: Was ist los auf den Färöer-Inseln?

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Von Michaela Taschek

Man muss nach Runavík, will man Jens Martin Knudsens Pudelmütze sehen. Dort, in einer Ecke der Bibliothek, liegt sie in einem Regal neben Torhüterhandschuhen, Trophäen, Knudsens kürzlich erschienener Autobiografie und zahlreichen Fotos, die die Karrierestationen des legendären färöischen Fußballhelden dokumentieren. „Wir haben damals in Fünf-Minuten-Einheiten gespielt“, erinnert sich der 46-Jährige an das EM-Qualifikationsspiel gegen Österreich vom 12. September 1990. „Jede davon, die wir ohne Gegentor überstanden hatten, galt als Erfolg.“ Am Schluss, nach fast 19 solcher Einheiten, stand ein historischer Sieg. 1:0 gewann die färöische Amateurmannschaft, die hauptsächlich aus Fabriksarbeitern, Studenten und Kraftfahrern bestand, gegen Österreich, das nur wenige Wochen zuvor an der WM in Italien teilgenommen hatte. Zehn Tore hatte Toni Polster prophezeit, dann aber kein einziges geschossen. Während in Österreich Josef Hickersbergers ÖFB-Trainerkarriere ein erstes Ende fand, brach auf den 18 Inseln im Nordatlantik eine Fußballeuphorie aus, die bis zum heutigen Tag anhält. In der 900-Seelen-Gemeinde Toftir sprengte man ein UEFA-taugliches Stadion mit 5000 Plätzen aus dem Felsen, nachdem man das „Heimspiel“ gegen Österreich noch im schwedischen Landskrona spielen hatte müssen. Jeder zehnte der gut 50.000 Färinger spielt in einem Verein – und das, mittlerweile regelkonform, auf Kunstrasen. Naturrasen ist den rauen Wetterbedingungen am 62. Breitengrad nicht wirklich gewachsen. Eine nur auf den windumtosten Färöer-Inseln gültige Sonderregel erlaubt außerdem, beim Elfmeter einen Mitspieler zu Hilfe zu ziehen, der den Ball vor dem Verblasenwerden bewahrt.

Damals Ersatztorwart, heute Premierminister
Jens Martin Knudsens Höhenflug war nicht von langer Dauer. Nur ein Jahr nach dem Österreich-Spiel zwang ihn eine schwere Ammoniakvergiftung, die er sich bei der Arbeit in einer Fischfabrik zugezogen hatte, zu einer zweijährigen Pause. Als Ersatztorwart sprang Kaj Leo Johannesen ein, der heutige Premierminister des Inselstaats, der seit 1388 unter dänischer Kontrolle steht und etwa ebenso lange um seine Unabhängigkeit kämpft. Kulturell ist diese Nation, die weniger Einwohner hat als St. Pölten, den Nachbarn in Island deutlich näher als dem dänischen Mutterland. Man spricht Färöisch, das mit dem Isländischen verwandt ist und als jene Sprache gilt, in der jährlich die meisten Bücher pro Muttersprachler veröffentlicht werden. Auf jeden Einwohner kommen 1,5 Schafe. Trotzdem muss, um den Bedarf zu decken, Schaffleisch aus Neuseeland importiert werden. Als lokale Spezialität gilt Schafskopf, der halbiert im Suppentopf gekocht wird. Kenner essen nur ein Stück des Backenfleischs und die Zunge, auf gar keinen Fall aber das Auge. Davon, so heißt es, bekomme man Juckreiz. Es gibt drei Radiostationen, von denen eine ausschließlich, die zweite zur Hälfte, christliche Musik spielt. Die stündlichen Nachrichten haben keine festgelegte Länge, je nach Ereignisdichte dauern sie zwischen drei und 20 Minuten. Einen Fixpunkt bilden die Nachrufe: Nach alter Tradition wird jeder Färinger vom Ableben jedes seiner Mitbürger in Kenntnis gesetzt. Zusätzlich versorgt Sjónvarp Føroya, der einzige färöische Fernsehsender, die Bevölkerung elf Monate im Jahr mit Programm. Nur im Juli ist die gesamte Belegschaft auf Urlaub.

In einer Volksabstimmung 1946 votierten die Färöer schon einmal knapp für die Errichtung eines eigenständigen Staates. Das Ergebnis wurde von Dänemark nicht anerkannt. Allerdings erlangten die Färöer 1948 weitgehende Autonomierechte, sie zahlen keine Steuern nach Kopenhagen und unterstehen Dänemark einzig in der Außen- und Verteidigungspolitik.
Vielen reicht das nicht. „Es ist, als wären wir unser Leben lang im Kindergarten. Alles, was innerhalb passiert, dürfen wir selbst bestimmen. Doch sobald wir vor die Tür gehen wollen, kommen die dänischen Eltern und entscheiden für uns“, klagt Sámal Bláhamar, Fremdenführer in der Hauptstadt Tørshavn. „Welche Ahnung haben die von unserem Leben hier? Wie kann es sein, dass jemand, der tausende Kilometer entfernt auf dem Festland lebt, immer das letzte Sagen hat?“ Wie ambivalent das Verhältnis zu Dänemark ist, von dem die Färöer immerhin 615 Millionen Kronen (80 Millionen Euro) pro Jahr erhalten, merkt man mit einem Blick auf Bláhamars Auto, ein Volvo Royal aus dem Jahr 1992. Es handelt sich um das frühere Dienstauto der dänischen Königin Margarethe II. „Ich fand das lustig, es für meine Frau zu ersteigern. In Italien wurden wir unlängst für Diplomaten gehalten und mussten keine Maut zahlen.“ Es ist nicht alles schlecht, was aus Dänemark kommt.

Dass die Färöer unabhängig werden müssen, weiß auch Ivan Eysturland, gebürtiger Russe, der am 12. September 1990 mit Tränen in den Augen vom Erfolg der Färöer gegen Österreich hörte und daraufhin beschloss, einer von ihnen zu werden. Er begann Färöisch zu lernen, reiste 1995 zum ersten Mal als Sportreporter auf die Inseln und ließ sich schließlich hier nieder. Mittlerweile besitzt er den färöischen Pass, war einige Jahre lang Pressesprecher des örtlichen Fußballverbands und verdient heute gutes Geld mit dem Weiterverkauf von Schiffen. Eysturland, der seinen russischen Namen vor einigen Jahren abgelegt hat, ist wie viele seiner Mitbürger glühender Nationalist, der gerne darauf hinweist, dass der ideale Staat die Größe von Liechtenstein hat. Vor Kurzem hat er sich einen „tourist visit“-Stempel anfertigen lassen, den er, in Ermangelung eines offiziellen Einreisestempels, ausländischen Gästen in den Pass drückt.
Wie viele andere Färinger ist Eysturland überzeugt, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis man vor den Färöern Öl findet. Dann wären auch die letzten Skeptiker überzeugt und man würde sich mit breiter Mehrheit für unabhängig erklären. In der Tat werden vor den Inseln seit geraumer Zeit Probebohrungen durchgeführt, an denen auch die OMV beteiligt ist. Erst im Sommer investierten die Österreicher fast zwei Milliarden Euro in die Nordseeoperationen des norwegischen Ölkonzerns Statoil – inklusive weiterer Explorations-Lizenzen rund um die Färöer.

Frauen ziehen in die Ferne
Vereinzelt gibt es aber auch Kritik an der Öl-Euphorie. „Welche Probleme soll das lösen?“, fragt Súsanna Mortensen, Leiterin des Pflegewissenschaftlichen Instituts an der Universität von Tørshavn. Auf dem Tisch vor ihr steht eine Schüssel voller Bonbons in den Farben der färöischen Nationalflagge: Weiß-Blau-Rot. Gerade einmal 600 Studierende zählt die Universität im Moment, 90 Prozent der Mittelschulabsolventen gehen ins Ausland – nicht zuletzt, weil Studienfächer wie Medizin, Jus oder Kunst auf den Färöern gar nicht angeboten werden. Besonders Frauen zieht es in die Ferne, und viele kommen nicht zurück. In der Altersgruppe von 20 bis 39 Jahren gibt es elf Prozent mehr Männer als Frauen. Während viele der jungen Männer in Fischfabriken oder auf hoher See arbeiten, bleibt für die Frauen oft nur das Dasein als Hausfrau und Mutter. Die Menschen heiraten hier jung. Mit 2,4 Kindern pro Familie sind die Färöer im europäischen Vergleich Spitzenreiter.

Das färöische Bildungssystem jedenfalls gilt als exzellent, es gibt zahlreiche höhere Schulen, und Schüler von entlegeneren Inseln werden wochenweise mit dem Helikopter eingeflogen oder per Skype unterrichtet. Zwei Klassen des Gymnasiums in Tørshavn erhalten neben den üblichen Sportstunden zusätzlichen Fußballunterricht. Die Hoffnung ist groß, dass sie einmal in die Fußstapfen des färöischen Wunderteams treten. Einer ihrer Lehrer ist Jan Dam, der 1990 in Landskrona in der Defensive spielte und 90 Minuten lang Manfred Linzmaier in Schach hielt.

„Ich erinnere mich nicht an viel von damals“, sagt Jan Dam. „Aber ich weiß noch, dass ich in unseren Bus einstieg und durch die Scheibe Andreas Herzog sah, der entsetzlich weinte. Das tat mir leid.“ Insgesamt 39 Länderspiele hat Dam für die Inseln bestritten, das wichtigste sei natürlich jenes gegen Österreich gewesen. Wie der Torschütze Tørkil Nielsen lebt Dam heute weitgehend zurückgezogen, anders als Knudsen wurde den beiden der Rummel bald zu viel.

Bei ihrer Rückkehr auf die Inseln wurde das Team von 20.000 Fans erwartet, das ist fast die Hälfte der Bevölkerung. Die Kinder hatten schulfrei bekommen, sämtliche Bürgermeister wollten den Helden die Hände schütteln. Fragt man Färinger heute nach einem prägenden nationalen Ereignis, wird dieses Fußballspiel nicht selten an erster Stelle genannt. Für kurze Zeit richtete sich die internationale Aufmerksamkeit auf die Inseln, endlich wurde man als eigenständige Nation wahrgenommen. Tatsächlich war das Spiel gegen Österreich das erste überhaupt in einem internationalen Wettbewerb, erst kurz zuvor war man der UEFA beigetreten. Die Angst, sich vor den Augen der Welt zu blamieren, war groß gewesen. Umso stärker fiel der Schub an Selbstbewusstsein aus, den der Sieg gegen Österreich auslöste. Am Beispiel Fußball zeigte sich, was man alles schaffen kann. Warum also nicht gleich den nächsten Schritt wagen?
Ein Schritt, der laut Jens Martin Knudsen längst überfällig ist. Wäre man unabhängig, könnte man seine eigenen Interessen besser vertreten. Zum Beispiel, ganz aktuell, im Falle der EU-Sanktionen. Nachdem die Färinger drei Mal mehr Heringe und Makrelen als erlaubt aus dem Nordatlantik gezogen haben, dürfen sie diese Fische nun nicht mehr in der EU verkaufen. Die Strafmaßnahme sorgte auf den Färöern, wie auch in Island, für viel Unmut. Beide Länder hatten 2010 ihre eigenen Fangquoten eingeführt. „Fische kennen keine Grenzen“, sagt Knudsen, der heute selbst zwei Fischfabriken besitzt und Trockenfisch bis nach Nigeria verkauft. Den Fischen sei es in südlicheren Gewässern schlicht zu warm geworden, weswegen sich riesige Populationen von Makrelen und Heringen in färöischen und isländischen Gewässern häuften. Man könne gar nicht anders, als mehr zu fangen. Ansonsten gerate das Ökosystem durch diese Allesfresser aus dem Gleichgewicht. Gemeinsam mit Island soll nun wissenschaftlich bewiesen werden, dass man von einer Überfischung weit entfernt sei.

Um in Zukunft nicht mehr so stark vom Fischfang, der immerhin 95 Prozent aller Exporte ausmacht, abhängig zu sein, soll der Tourismussektor ausgebaut werden. Derzeit kommt man auf weniger als 100.000 Übernachtungen pro Jahr, was besonders mit Blick auf Island und seine 1,48 Millionen Nächtigungen schmerzt. Die wenigen Touristen, die auf den Färöern landen, machen das entweder mit der Fähre, die auf dem Weg von Dänemark nach Island in Tørshavn hält, oder mit Atlantic Airways, der nationalen Fluglinie, deren Monopolstatus sich aber recht deutlich auf die Flugpreise auswirkt. Atlantic-Geschäftsführer Magni Arge war früher übrigens Sportkommentator. So auch am 12. September 1990 in Landskrona, wo sich seine Stimme in der 62. Minute gleich mehrfach überschlug.

Dass es durchaus einen Mehrbedarf an Hotelbetten gäbe, zeigte sich erst Anfang September. 700 deutsche Fußballfans waren zum Länderspiel gegen die Färöer angereist – zu viele für die aktuelle Kapazität. 40 Deutsche verbrachten eine kühle Nacht auf färöischen Straßen, ein Schicksal, das den 200 österreichischen Schlachtenbummlern, die am Dienstag erwartet werden, erspart bleiben sollte. Ob sie sich wie die Deutschen über einen Sieg freuen können, wird sich zeigen. „Ich glaube an ein Unentschieden“, meint Knudsen. Und falls es doch für mehr reicht: In seinem Regal in Runavík wäre zwischen Pudelmütze und Pokalen noch ein bisschen Platz.