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Faktencheck: Wie gefesselt ist Österreichs Wirtschaft?

Faktencheck. Wie gefesselt ist Österreichs Wirtschaft?

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Es ist weder zu überhören, noch zu übersehen. Wenn Michael Spindelegger von der "Entfesselung der Wirtschaft“ spricht, fühlt er sich selbst nicht wohl. Das Ballen der Fäuste: einstudiert. Der laute Ton: unglaubwürdig. Die ÖVP will im Wahlkampf mit Wirtschaftskompetenz und Reformeifer punkten. Sie agiert dabei, als würde sie seit Jahrzehnten in der Opposition schmachten. Und nicht seit 1987 den Wirtschaftsminister, seit 1945 den Wirtschaftskammerpräsidenten und seit 2002 den Finanzminister stellen und damit die Rahmenbedingungen für Wirtschaftstreibende maßgeblich bestimmen. "Entfesselung der Wirtschaft“, was ist darunter eigentlich zu verstehen? Zunächst einmal klingt das nach einer gefährlichen Drohung. Immerhin hat uns eine völlig entfesselte Finanzwirtschaft die aktuelle Wirtschaftskrise eingebrockt. Der Kanzlerkandidat, der selbst nicht zu fesseln vermag, ist angetreten, um Unternehmer aus dem Joch vermeintlich überbordender Bürokratie und erdrückender Steuerlast zu befreien. Doch wie geknechtet sind sie wirklich? Ein Faktencheck.

Unternehmensgründungen erleichtern

In Österreich ein Unternehmen zu gründen, ist kein einfaches Unterfangen. So sieht es zumindest die Weltbank. In ihrem jährlich erhobenen Ranking "Time required to start a business“ belegt Österreich aktuell Platz 119 unter 170 Staaten. Bis alle Amtswege erledigt sind, müsse ein angehender Gründer 25 Tage einplanen. Zum Vergleich: In Neuseeland, der Nummer eins in der Rangliste, dauert es nur einen Tag. Die österreichische Position ist allerdings immer noch ein Spitzenwert gegenüber dem Letztplatzierten: Im südamerikanischen Suriname müssen sich junge Unternehmer ganze 694 Tage gedulden. Dort muss jede Firmengründung vom Staatspräsidenten persönlich abgesegnet werden.

Beim Gründerservice der Wirtschaftskammer dagegen wird moniert, dass diese Studie stets von der GmbH als Musterunternehmen ausgehe. Das verzerre das Resultat. Denn schließlich seien 80 Prozent der jährlich gegründeten 30.000 Firmen Einzelunternehmen. Und ein solches an den Start zu bringen, gehe bedeutend schneller, nämlich binnen Minuten. Freilich mit einer Einschränkung: Der potenzielle Gründer muss eine Gewerbeberechtigung vorweisen können. Und das birgt einige Tücken.

Vereinfachung der Gewerbeordnung

Der Wiener Rechtsanwalt Johannes Pepelnik spricht von einer "Posse“. Er möchte an wechselnden Standorten von einem Lastenfahrrad aus Kaffee verkaufen. Doch für seine Geschäftsidee ist im Raster der österreichischen Gewerbeordnung kein Platz. In der Wirtschaftskammer beschied man ihm, dass ein "Espresso“ an eine Lokalität gebunden sei. "Kaffee auf Rädern“ - das gehe indes nicht.

82 reglementierte Gewerbe und 21 Teilgewerbe kennt die österreichische Gewerbeordnung. Das führt zu teils absurden Auswüchsen: So etwa darf eine Nageldesignerin zwar Fingernägel lackieren, Zehennägel aber nicht. Dazu müsste sie eine zusätzliche Ausbildung abschließen und ein zweites Teilgewerbe anmelden.

Laut OECD kosten die Einschränkungen in Österreich rund 0,4 Prozent an Wachstum und einige tausend potenzielle Arbeitsplätze. Die Gewerbeordnung müsste tatsächlich dringend entrümpelt werden. Doch die Wirtschaftskammer beharrt auf dem Status quo.

Pepelnik hat inzwischen ein freies Gewerbe als Handelsagent angemeldet. Das berechtigt ihn zum "Ausschank von nichtalkoholischen Getränken und den Verauf derselben in unverschlossenen Gefäßen, wobei der Ausschank oder der Verkauf durch Automaten erfolgt“. Solange die Espressomaschine als Automat durchgeht.

Erleichterung bei Unternehmensfinanzierung

"Kreditklemme“ ist ein Wort, das Unternehmer gar nicht gerne hören. Seit Beginn der Wirtschaftskrise begleitet es uns, ebenso lange wird deren Exis-tenz von Banken und Nationalbank in Abrede gestellt. Tatsache ist: In den vergangenen Jahren wurden Banken bei der Vergabe von Darlehen immer restriktiver. Nicht zuletzt aufgrund der strengeren Eigenkapitalvorschriften. Tatsache ist aber auch, dass Unternehmen wegen der schwachen Konjunktur bei ihren Investitionen deutlich zurückhaltender sind.

Doch gerade kleinere und junge Unternehmen melden Bedarf an alternativen Finanzierungsformen an. Solche haben in Österreich weder Tradition noch klare, rechtliche Rahmenbedingungen, wie nicht zuletzt der Fall des Waldviertler Schuhproduzenten Heini Staudinger zeigte. Dieser bekam wegen seines Crowdfunding-Modells Ärger mit der Finanzmarktaufsicht.

Senkung der Lohnnebenkosten

Im Prinzip sind sich ja alle einig: Wiederholt kritisierte der Internationale Währungsfonds die hohe Belastung der Arbeitseinkommen in Österreich und wies darauf hin, dass der Anteil des Faktors Arbeit am gesamten Steueraufkommen am höchsten in der gesamten Eurozone ist. Die OECD moniert, dass sich die Schere zwischen Brutto- und Nettolohn negativ auf die Beschäftigung auswirke und die Schattenwirtschaft fördere. Auch hierzulande herrscht weitgehend Konsens: Sowohl die ÖVP als auch die SPÖ haben eine Senkung der Lohnnebenkosten in ihren Wahlprogrammen festgeschrieben. Warum also ist sie nicht längst realisiert? Die Regierungspartner hätten es in den vergangenen fünf Jahren in der Hand gehabt.

Die Umsetzung scheitert an der Frage der Finanzierung. Während die SPÖ zu diesem Behufe eine Millionärssteuer einführen und die Erbschaftssteuer wieder aufleben lassen will, fordert die ÖVP eine Senkung der Kranken- und Unfallversicherungsbeiträge. Die Vorschläge der einen Partei werden jeweils von der anderen abgelehnt.

Mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt

Überregulierte Arbeitsmärkte sind ein massives Problem. Eines, mit dem sich Österreich aber nicht herumschlagen muss. Wenn Kündigungen nur schwer durchsetzbar sind, agieren Unternehmen bei Einstellungen vorsichtig. Das führt zwangsläufig zu höheren Arbeitslosenzahlen, wie internationale Vergleiche zeigen. Österreich hingegen hat eine der geringsten Arbeitslosenraten in der EU. Hierzulande können Beschäftigte - auch über 50-Jährige - jederzeit und ohne Angabe von Gründen gekündigt werden. Ein Viertel aller Beschäftigten - also rund eine Million Österreicher - wechselt pro Jahr den Job. Die hohe Fluktuation ist ein weiteres Zeichen für die große Flexibilität des Arbeitsmarktes. Für VP-Kanzlerkandidat Spindelegger jedoch nicht groß genug. Er fordert, dass Arbeitszeiten künftig nicht in den Kollektivverträgen, sondern in den Unternehmen selbst vereinbart werden. Mittel zum Zweck: Das Zeitwertkonto. Damit könne bei schwacher Auftragslage weniger und bei starker mehr gearbeitet werden. Arbeitnehmer könnten ihre Mehrstunden parken und später für Auszeiten oder eine vorgezogene Pensionierung nutzen. Doch nicht nur die Gewerkschaft befürchtet (mit Recht), dass dieser Vorstoß dazu genutzt werden könnte, die gesetzlich verankerten Überstundenzuschläge aus der Welt zu schaffen.

Mitarbeitererfolgsbeteiligung

22 Millionen Euro verteilte die voestalpine kürzlich auf 23.000 Mitarbeiter. Zusätzlich zu Lohn oder Gehalt. Denn der Stahlkonzern schüttete seine Dividende aus - und 14 Prozent der voest-Aktien werden von etwa der Hälfte der Belegschaft gehalten.

Wenn Arbeitnehmer am Erfolg ihres Unternehmen betei-ligt sind, erhöht das die Motivation, sich ins Zeug zu legen. Nicht dass sie durch regulatorische Vorgaben daran gehindert würden, doch das Interesse der heimischen Arbeitgeberschaft an jeglicher Form der Mitarbeitererfolgsbeteiligung ist eher mau. Spindelegger will das Modell nun fördern. Steuerbegünstigt und von Sozialversicherungsabgaben befreit. Die Gefahr: Wenn der fixe Anteil der Entlohnung ungleich höher belastet ist als der erfolgsabhängige, werden Unternehmen dazu übergehen, Ersteren langfristig zu senken. Die Unternehmen lagern damit ihr unternehmerisches Risiko auf die Mitarbeiter aus. In schlechten Zeiten schauen die dann durch die Finger.

Forschung & Entwicklung

Am Geld allein kann es nicht liegen: Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung werden heuer einen Rekordwert von neun Milliarden Euro erreichen. Mit einer Forschungsquote von 2,8 Prozent des BIP liegt Österreich innerhalb der EU auf dem fünften Platz und deutlich über dem EU-Durchschnitt von 2,03 Prozent. Durchaus beachtlich. Doch der Output hält mit dem Input nicht Schritt. Laut dem jüngst veröffentlichten Global Innovation Index, der die Innovationsfähigkeit und -leistung der 142 bedeutendsten Volkswirtschaften misst, rutschte Österreich zuletzt um einen Platz auf den 23. Rang ab. Österreich nutze die relativ gute Innovationsvoraussetzung völlig unzureichend aus, heißt es in der Studie. Vor allem kleinere in der Forschung tätige Unternehmen beklagen immer wieder, dass bei Fördervergaben die großen Konzerne und staatsnahe Unternehmen bevorzugt würden.

Forcierung von Exporten

Vergangenes Jahr erreichte die österreichische Exportwirtschaft mit einem Ausfuhrvolumen von 124 Milliarden Euro ein All-time-high. Kürzlich jubelte Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl: "Heuer werden wir das Rekord-Exportergebnis toppen.“ Gemeinsam mit den Dienstleistungsexporten werde sich das Volumen auf 175 Milliarden Euro belaufen. Bei den Exporten pro Kopf liegt Österreich in der weltweiten Rangliste vor Deutschland auf Platz neun. Keine Frage: Auf Lorbeeren soll man sich nicht ausruhen - und verbessern kann man sich immer. Doch die österreichischen Unternehmen sind hier sehr gut positioniert. Von Fesselung keine Spur.

Keine Vermögenssteuern

Vermögenssteuern fürchtet Spindelegger wie der Teufel das Weihwasser. Gefährden den Wirtschaftsstandort, führen zu Kapitalflucht, bringen nichts - so die Argumentation. Was die ÖVP gerne übersieht: Die Vorschläge zur Vermögensbesteuerung betreffen nicht Unternehmen, sondern das Privatvermögen der österreichischen Haushalte. Wohl wahr: Die Steueroasen sind noch längst nicht trockengelegt. Doch in fast in allen OECD-Staaten ist Vermögen höher besteuert als in Österreich. Die Fluchtmöglichkeiten sind also überschaubar. Und wie eine aktuelle Studie der Universität Linz vorrechnet, sind die Österreicher bedeutend wohlhabender als zuvor vermutet. Das Vermögen der Privathaushalte beläuft sich auf 1,25 Billionen Euro. Allein das oberste Prozent besitzt mit 469 Milliarden Euro doppelt so viel als bisher angenommen (profil berichtete). Dass Vermögenssteuern nichts bringen, kann getrost ins Reich der Märchen verwiesen werden. Ihre Wirkung hängt von der Wahl der Bemessungsgrundlage und des Steuersatzes ab. Höhere Steuern auf Vermögen - bei gleichzeitiger Senkung anderer Abgaben, etwa der auf Arbeit - hätten durchaus ihren Platz.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).