Familie: Daddy Cool - Neue Väter

Familie: Daddy Cool - Die neuen Väter. Wie sehen die neuen Vatertypen aus?

Wie sehen die neuen Vatertypen aus?

Drucken

Schriftgröße

Für die deutschen Kneipenbesitzer gilt Christi Himmelfahrt als der schönste Tag des Jahres. Auf dieses christliche Fest fällt bei den Nachbarn nämlich auch des Vaters Ehrentag. Der gemeine deutsche Vater lässt sich dabei weniger gern von seinen Lieben feiern, als dass er den Festakt selbst in die Hand nimmt. Mit Lärm, Gesang und Alkoholkonsum auf höchstem Ballermann-Niveau pfeifen Horden von Männern auf jeglichen Image-Verlust und das medial genährte Klischee vom „neuen Vater“. Die dabei abfallenden Sittenbilder könnten aus dem Schwarzbuch des Feminismus stammen.

In Österreich, wo der Vatertag seit 1956 an jedem zweiten Sonntag im Juni zelebriert wird, finden Trinkgelage dieser Art nur vereinzelt statt. Papa wird in der Regel harmonisch innerhalb des Familienverbunds geehrt, sollte dieser noch intakt sein. Zwar konnte die jüngste Scheidungsstatistik 2003, die vergangene Woche von der Östat publiziert wurde, im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang von 2,2 Prozent verbuchen. Doch auch eine Scheidungsrate von 43,2 Prozent der durchschnittlich 9,8 Jahre dauernden österreichischen Ehen geben durchaus keinen Anlass für Entwarnungs-Enthusiasmus. Der marginale Sinkflug kann auch durch die Tatsache erklärt werden, dass in den vergangenen Jahren weniger Ehen geschlossen wurden und die Wirtschaftskrise zusätzlich als Hemmfaktor mitspielt. Denn eine Scheidung bedeutet in jedem Fall einen prekär reduzierten Lebensstandard für alle Beteiligten. Auch 2003 mussten 16.400 Kinder (2002: 17.700) damit klarkommen, dass ein Elternteil, in mehr als 90 Prozent der Fälle der Vater, plötzlich nur mehr als Randerscheinung in ihrem Leben fungiert. Die tatsächliche Zahl von Trennungswaisen ist kaum zu bestimmen – 2002 kamen beispielsweise 33,8 Prozent aller Kinder unehelich zur Welt.

Auch im aufrechten Familienverbund gibt die Evidenz wenig Anlass, von einem neuen Papa-Bewusstsein zu schwärmen. Zwar propagieren Werbung und Medien gern den sanftäugigen Kuschelvater, der längst zu dem Schluss gekommen sei, dass Virilität und Brutpflege kein Widerspruch sein müssen, doch Utopie und alltägliche Praxis (siehe Statistiken) klaffen nach wie vor weit auseinander. John Lennon, der in den siebziger Jahren nach der Geburt seines Sohnes Sean den liebenden Hausvater gab, erweist sich rückblickend als echter Pionier seiner Gattung.

Kaum Karenz. Seit mehr als 20 Jahren gehört der nervlich zerrüttete Kindsvater zum Fixinventar in den Kreißsälen, aber nur 2,3 Prozent der österreichischen Papis gehen dann auch in Karenz, und das, obwohl, so eine Studie der Karmasin-Marktforschung aus dem Jahr 2003, 38 Prozent der Befragten sich grundsätzlich vorstellen könnten, zum Wohle des Neugeborenen die Karriere für ein Jahr auf Eis zu legen. Die am häufigsten genannten Ursachen für den männlichen Karenzverzicht laut einer Procter&Gamble-Väterstudie von 2001 bilden die soziale Realität nüchtern ab. 52 Prozent meinten: „Wir brauchen mein volles Gehalt.“ 44 Prozent gaben an, dass ein solcher Schritt „meinem Job geschadet hätte“. Der Paradigmenwechsel lässt weiter auf sich warten. „In Wahrheit funktionieren wir bis heute wie Neandertaler“, so der US-Evolutionsbiologe David Buss, „mit dem Ende des Nomadentums war auch Schluss mit dem zuvor viel partnerschaftlicheren Kräfteverhältnis. Nur die äußeren Bedingungen haben sich etwas geändert.“

Wunschväter. Der 45-jährige Sportjournalist Benno Zelsacher hat ein Jahr lang zur männlichen 2,3-Prozent-Karenzriege gehört. In Kürze beendet er seinen Vaterschaftsurlaub mit der fast zweijährigen Lilli. „Lilli patzt, Papa putzt“, kann die Kleine schon sagen. Zelsacher: „Mein Arbeitgeber war sehr flexibel, komische Blicke hab ich nicht bekommen.“ Auch ein Vater wie der 48-jährige Chirurg Philipp Bull, der mit seiner zweiten, wieder voll berufstätigen Demnächst-Ehefrau vor zweieinhalb Jahren Zwillinge in die Welt setzte, besitzt Seltenheitswert. Wenn die Mutter der Kinder eine Woche im Zuge ihrer Tätigkeit als Pharma-Managerin zu verreisen hat, bewältigt er die tagsüber im Privatkindergarten deponierten Kinder im Alleingang: „Man muss sehr organisiert sein, aber es funktioniert.“

Eine effiziente partnerschaftliche Entlastung, berichtet die auf Familienrecht spezialisierte Anwältin Andrea Wukovits aus der Praxis, wird von den Vätern vor allem in aufrechten Beziehungen verweigert. Echte Veränderungen zum Positiven ortet Wukovits nur bei Scheidungsvätern, „die sich oft nicht mehr mit der Rolle des Besuchsonkels zufrieden geben wollen“. Dringend rät Wukovits dazu, „gemeinschaftlich die Rahmenbedingungen abzustecken“; andernfalls werde das Kind „in massive Loyalitätskonflikte gestürzt“.

Die Erziehungsarbeit liegt jedoch nach der Trennung in der Regel bei den Müttern. Während im Jahr 2001 159.000 Kinder unter 15 Jahren bei Alleinerzieherinnen aufwuchsen, fungierten nur bei 16.700 Kindern die Väter als Ersatzmütter. Der aparteste allein erziehende Papi der jüngsten Zeit war ein Clownfisch namens Marlin, Held des Trickfilms „Findet Nemo“. Dass das Leben einer bewusst allein erziehenden Karriere-Mutter zum Crash-Test zwischen Erschöpfung und schlechtem Gewissen werden kann, demonstriert die „Sex and the City“-Heldin Miranda seit zwei Staffeln. Ihr Fazit: „Mich wundert eigentlich, dass die Menschheit noch nicht ausgestorben ist.“

Auch die Illusion vom voll bewussten Trennungsvati, der mit seinem zurückgelassenen Kind nicht nur Freizeitlustbarkeiten, sondern auch den Alltag teilen will, erweist sich in der Realität als noch äußerst fragiles Konstrukt. „75 Prozent der Kinder sehen ihre Väter innerhalb der ersten drei Jahre nach der Trennung nicht mehr regelmäßig“, erklärt der Wiener Kinder- und Jugendpsychologe Helmut Figdor, der mehrere Langzeitstudien zum Thema leitete. „Es gibt aber auch Untersuchungen, denen zufolge die Hälfte der Trennungskinder den Kontakt zum Vater gänzlich verlieren.“

Marginalie Kinder. Der Ursachenkatalog für das Verblassen der Vaterinstinkte ist vielfältig. Manche Männer gehen so in ihrer neuen Familie auf, dass die Bedeutung der früheren Kinder in ihrem Leben zur Marginalie wird. Andere kompensieren das Scheitern ihrer Beziehung mit verstärktem Karriere-Engagement, das keinen Raum für Emotionales lässt. Schließlich gibt es auch jene Spezies von Trennungsvätern, die von den Müttern knallhart entsorgt und im Zuge eines persönlichen Rachefeldzugs aus dem Leben der Kinder gekippt werden. Der „Spiegel“-Autor Matthias Mattusek denunzierte in seiner 1998 erschienenen Polemik „Die vaterlose Gesellschaft“ die „Muttermacht“, die Kindesvätern nur den Status des „abgeliebten Beziehungsmülls“ zugestehe, der „allenfalls alimentieren darf“.

Es gibt sie tatsächlich, die Väter, die ihren Kindern die Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke über den Gartenzaun reichen müssen und sie nur im Kaffeehaus unter der schweigenden Aufsicht der Mutter treffen dürfen. Doch sie stellen einen „marginalen Prozentsatz“, so die Anwältin Helene Klaar, „im Vergleich zu jenen Müttern, die daran verzweifeln, wie selten geschiedene Männer Kontakt mit ihren Kindern aufnehmen. Mich haben Frauen schon gebeten, den Vätern Geld anzubieten, damit sie ihre Kinder wenigstens einmal besuchen. Was ich natürlich abgelehnt habe.“ Allein in Wien, Österreichs Scheidungshochburg, gab es 2003 22.329 dokumentierte Fälle von säumigen Unterhaltszahlungen. Das Jugendamt stößt dabei oft an die Grenzen seiner Effizienz und wird eher zum Papierfriedhof als zum fürsorglichen Rechtsbeistand von Trennungskindern. Rund 12.800 der in Wien aktenkundigen Causen fallen unter das Unterhaltsvorschussgesetz, wonach bei nachweislicher Säumigkeit und erfolgloser Exekution die ausständigen Gelder vorgestreckt werden. In meist aussichtsloser Position befinden sich die Mütter von „selbstständigen“ Vätern. Die Psychologin Sylvia H., Mutter von drei Kindern, bekam nach der Einstellung der Unterhaltszahlungen für ihre beiden jüngeren Kinder die Hälfte (350 Euro) „relativ rasch“ vom Staat vorgeschossen. Der Vater, der seine Unterlassung „mit dem Aufbau einer neuen Existenz in Spanien“ begründete, kann sich indessen abputzen. „Das Gesetz verhält sich im Ausland abgesetzten und selbstständigen Vätern gegenüber beschämend ohnmächtig“, so Sylvia H.

Spätfolgen. Die Langzeitverwundungen, welche die Vaterlosigkeit auf die kindliche Psyche hat, wachsen sich zu einem neuen Spezialgebiet der Psychologie aus. Die Mädchen tendieren zu einer Idealisierung des abwesenden Vaters und machen sich früh auf die Suche nach dessen Ersatz. Die Buben verfallen oft einem Männlichkeitswahn und entwickeln Lernschwächen sowie unkontrolliertes Aggressionsverhalten. Die deutsche Psychotherapeutin und Autorin Julia Onken prognostiziert für die mannlos aufgewachsenen Töchter „im späteren Leben einen Phantom-Schmerz, der nicht gelindert werden kann. Die Nicht-Wertschätzung des Vaters wird auf den späteren Partner übertragen, der diesen Frauen ständig bestätigen muss, dass sie die Schönsten und Besten sind. Da werden schwere Hypotheken mitgegeben.“

Eine Chance für die vernachlässigten Kinder ist die neue Generation der „freiwilligen Väter“. Denn im Gegensatz zu den Trümmerfrauen des Zweiten Weltkriegs, die ihre Kinder zwangsweise im Frauenverbund großziehen mussten, weil sie noch immer auf die Heimkehr ihrer Soldaten hofften, haben die Trümmerfrauen des Feminismus die Gelegenheit, mit neuen Partnern Patchwork-Konstrukte zu gründen. Der Fotograf Erich Reismann, der seit mehr als 14 Jahren im Leben von Philipp die Vaterfunktion übernommen hat, im Rückblick:„Ich bin aus dem Staunen nicht rausgekommen, wie viel Energie einem ein Kind geben kann.“