Leitartikel: Christian Rainer

Familienbande

Familienbande

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Das Familienrechtspaket ist am vergangenen Donnerstag entgegen anders lautenden Meldungen nicht beschlossen worden. Was zwischen Volkspartei und BZÖ im Ministerrat vereinbart wurde, ist einiges an zivil- und prozessrechtlichem Schmonzes sowie die epochemachende Abschaffung von „Heiratsgut“ und „Widerlage“. (Beide werden uns sehr fehlen.) Was Justizministerin Karin Gastinger darüber hinaus vorbereitet hatte, war am Weg verloren gegangen.
Und das ist kein Wunder.

Frau Gastinger wollte nämlich nicht weniger, als eine geschlechtsneutrale Definition von Lebensgemeinschaften im Gesetz verankern. Dieses Vorhaben klingt trocken, ist es aber nicht. Denn es rührt an den Grundfesten des Staates. Es würde einen ganz neuen Blick auf die Gesellschaft zulassen, wenn nicht sogar verordnen. Die Familie im Sinne einer Beziehung von Mann und Frau und allenfalls Kindern wäre nur mehr der statistische Normalfall für das Zusammenleben der Österreicher. Diese Familie wäre aber nicht mehr die vom Gesetzgeber und daher vom Volk gewünschte und in der Folge privilegierte Lebensform. Stattdessen hätte es laut Plan des Justizministeriums dann eine „auf längere Dauer beabsichtigte Partnerschaft von zwei im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen, die weitere Merkmale einer Solidar-, Geschlechts- und Wirtschaftsgemeinschaft aufweist“, gegeben.

Auf Deutsch: An die Stelle, die eben noch von der vor einem katholischen Priester und mit dem Auftrag zur Kinderzeugung geschlossenen, unauflöslichen Ehe eingenommen wurde, tritt im schlimmsten (oder
im besten) Fall die Affäre von zwei Männern oder zwei Frauen, die durchaus plangemäß nach ein paar Monaten endet.

Das ist jedenfalls die Sichtweise der Volkspartei, dokumentiert durch einen deftigen Satz der Justizsprecherin und ehemaligen Staatssekretärin Maria Fekter: „Sie wollen ein Signal, die Schwulen – und das werden sie von der ÖVP nicht kriegen. Und deshalb mögen sie uns nicht.“

Viel mehr als ein Signal wäre die Gleichstellung aller Partnerschaften ja tatsächlich nicht. Denn eine Neufassung der gesetzlichen Definitionen würde keinen Deut an der Zahl der Heteros und der Nicht-Heteros im Lande verändern, kaum etwas an der öffentlichen Akzeptanz von schwulen und lesbischen Beziehungen und verhältnismäßig wenig an den realen – meist ökonomischen – Folgen der dann geänderten Gesetzeslage. Doch dieses Signal öffentlich und mit Vorsatz zu setzen würde für die Volkspartei eine Gesamtänderung ihres Parteiprogramms bedeuten. Und das geht nicht.
Dass Konservative konservativ sind, mag man bedauern. Aber man kann es auch begrüßen. Denn das Gewicht der klassischen Familie im Wertekatalog der ÖVP ist eines der letzten Unterscheidungsmerkmale zwischen den österreichischen Parteien.

Eine Annäherung der Standpunkte zur Ehe? Warum nicht gleich eine große Koalition zwischen Marx und Jesus?

Etwas diffus gestaltet sich für alle Parteien freilich das Verhältnis der Programme zum wahren Leben. Die Volkspartei hilft sich da (wie die Kirche) mit dem guten wie alten Instrument der Scheinmoral. Die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“: „Im ÖVP-Glaubensbekenntnis bildet die tradierte Vorstellung von Ehe und Familie einen sakrosankten Wert abseits jeder gesellschaftlichen Wirklichkeit.“ Scheidungen im ÖVP-Kader sind etwa ebenso selten wie das Outing homosexueller Neigungen oder das Bekenntnis zu außerehelich (oder gar neben einer bestehenden Ehe) geborenen Kindern. Die Realität ist – no na – eine andere.

Die Sozialdemokratie wiederum hat sich in der Vergangenheit mit Einzelaktionen geholfen, wenn die Liberalität des Programmes mal nicht so ganz mit dem Weltbild der erwünschten Wähler in Einklang zu bringen war. Da gab es dann einen Karl Blecha, der zum Paradechristen ernannt wurde, oder einen Parteivorsitzenden, der für den Fall eines Wahlsieges eine Eheschließung ins Auge gefasst hatte. Merke: Auch der durchschnittliche rot wählende Arbeiter schätzt die Kleinfamilie mehr als den schwulen Genossen am Hochofen nebenan.

Bizarr zeigt sich das Auseinanderklaffen von Realität und Anspruch schließlich beim BZÖ (vormals FPÖ): Die liberalen Ideen der Frau Gastinger und die überaus bunte Zusammensetzung diverser Ministerkabinette passen kaum zur dumpfdeutschen Verwurzelung dieser Partei.

Wie wird es mit der Gleichstellung nun weitergehen? Vermutlich ähnlich wie vor ein paar Jahren mit dem ungleichen Schutzalter für heterosexuelle und homosexuelle Beziehungen. Damals erzwang schlussendlich ein Gerichtsurteil eine Gesetzesänderung. Der Volkspartei war das nur recht, weil sie so ohne Schändung der eigenen Glaubenssätze die Rechtslage an die Realität anpassen durfte.