Familienpolitik: Die Geburtsfehlanzeige

Längere Karenzzeiten, weniger Geburten

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Es war die Zeit, als Kinder ihre großen Auftritte bei Pressekonferenzen hatten. Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider posierte vor Säuglingshintern, Kanzler Wolfgang Schüssel ließ eine Kinderschar in den Wiener Volksgarten karren. Rund um die Einführung des Kindergelds im Jahr 2002 ersetzten Kinderpopos Argumente und wurden als Beweis dafür angeführt, dass das schwarz-blaue Kindergeld der Meilenstein in der Familienpolitik ist. Auch nach dem Start des Kindergelds war die Euphorie groß: „Die Zahl der Geburten steigt wieder“, freute sich Sozialminister Herbert Haupt. „Das Kindergeld macht wieder Mut zum Kind“, jubelte seine Nachfolgerin Ursula Haubner. Und ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat pries die gelungene „Trendumkehr“ bei den Geburten. Und Demograf Wolfgang Lutz lieferte sogar noch den wissenschaftlichen Beleg: „Das Kindergeld greift, die Geburtenraten steigen.“

Geburten sinken. Der Jubel ist verstummt. Die Hoffnung, dass das Kindergeld die Zahl der Geburten ankurbelt, hat sich nicht erfüllt: In den ersten fünf Monaten des heurigen Jahres sank die Geburtenrate um 2,4 Prozent – und damit auf das Niveau des Jahres 2001, der Zeit vor der Einführung des Kindergelds. Die konservative Familienpolitik, die die „Fehler jahrzehntelanger sozialistischer Gesellschaftsplanung ausbügeln“ (Herbert Haupt) wollte, ist gefloppt.

Selbst die Geburtshelfer des Kindergelds geben inzwischen zu, dass Geldleistung nicht genügt: „Um die Geburtenrate zu heben, brauchen wir auch ein attraktives Steuersystem und Kinderbetreuungsplätze“, sagt Ursula Haubner heute. Und Ex-Frauenministerin Maria Rauch-Kallat glaubt: „Was wir wirklich brauchen, ist eine kinderfreundliche Gesellschaft.“ Sie regt an: „Vielleicht sollte man vergleichende Studien in Ländern wie Frankreich oder Schweden machen, die kein Problem mit der Geburtenrate haben, damit wir wissen, warum bei uns so wenig Kinder zur Welt kommen.“

Freilich: Sowohl die Arbeiterkammer als auch das Wirtschaftsforschungsinstitut und das Institut für Familienforschung untersuchten die Effekte des Kinderbetreuungsgelds bereits. Der einhellige Befund: Der Gebärfreudigkeit ist finanziell nicht nachzuhelfen. Positiv fanden die Forscher, dass das Kinderbetreuungsgeld sozial schwache Eltern gegen Armut absichert. Der Balanceakt zwischen Beruf und Familie wurde hingegen nicht einfacher. Im Gegenteil. Die Frauen bleiben länger zu Hause, und die Männer kümmern sich auch nicht mehr um ihren Nachwuchs als früher. Erfolgreiche Familienpolitik sieht anders aus.

Ökonomische Rutschbahn. Das hat man auch in Deutschland erkannt. Nur mit einem Mix aus Infrastruktur- und Gleichstellungspolitik lassen sich die Geburtenraten stabilisieren, heißt es im jüngsten Familienbericht. Sowohl Österreich als auch Deutschland schütten Milliarden aus Familientöpfen aus, und zwar direkt an die Eltern. Die skandinavischen Länder und Frankreich bauen mit dem Geld lieber Krippen und Kindergärten.

Die österreichische Praxis mindert die Chancen am Arbeitsmarkt, moniert Wifo-Expertin Christine Mayrhuber: In Österreich werde das Zuhausebleiben subventioniert. Nur jede zweite Frau auf Babypause schafft das berufliche Comeback – und dann nur mit beträchtlichen Gehaltseinbußen. Vor der Geburt verdienen Frauen rund 1200 Euro im Monat, nach dem Wiedereinstieg sinkt das Einkommen auf 879 Euro, hat die Arbeiterkammer erhoben. „Männer haben ihre berufliche Perspektive viel mehr im Auge“, sagt Ingrid Moritz, Frauenpolitik-Expertin der Arbeiterkammer. Das ist die ökonomische Rutschbahn, auf der selbst moderne Paare in die Lebensverhältnisse ihrer Großeltern und Eltern abgleiten: Der Vater verdient, die Mutter verdient maximal dazu.

„Ob und wie viele Kinder in die Welt gesetzt werden, ist ein multidimensionales Geschehen“, sagt Mariam Irene Tazi-Preve, Wissenschafterin am Österreichischen Institut für Familienforschung (ÖIF). Auch ihr Kollege Lutz rudert jetzt zurück (siehe Interview Seite 19). „Kinder kriegen die Leute immer“, sagte der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer. Mitte des vorigen Jahrhunderts stimmte das noch. In Österreich hatte noch 1970 jede Österreicherin durchschnittlich 2,29 Kinder, heute sind es nur mehr 1,41. Um die Reproduktion sicherzustellen, müssten es statistische 2,1 sein.

Generationen von Statistikern, Soziologen, Politikwissenschaftern und Gender-Forschern haben Geburtenkaiser wie Dänemark, Schweden oder Frankreich mit fortpflanzungsmüden Ländern wie Italien, Österreich oder Deutschland verglichen. Fast überall hat sich der Reproduktionszyklus verkürzt. „Das erste Kind kommt später zur Welt, das letzte Kind etwas früher“, sagt Gustav Lebhart, Bevölkerungsexperte von Statistik Austria.

Gründe dafür gibt es viele: Die Einkommen von Berufseinsteigern sinken, Beschäftigungsverhältnisse wurden brüchig, die Scheidungsraten stiegen. Angesichts dieser Unsicherheit lassen sich immer weniger auf das 20-jährige Projekt Nachwuchs ein.

Gleichzeitig stellen werdende Eltern höhere Ansprüche an sich selbst. Die Kinder sollen einen guten Start ins Leben kriegen, eine Ausbildung an einer heimischen Uni ist das Mindeste, eine ausländische Eliteeinrichtung wäre noch besser.

Väterstreik. Vor allem Männer scheinen sich die Mammutaufgabe nicht mehr antun zu wollen. Das ÖIF untersuchte den Kinderwunsch 20- bis 39-jähriger Europäerinnen und Europäer. Jeder fünfte befragte Österreicher gab an, kein einziges Kind zu wollen, bei den Frauen lag der Wert bei nicht einmal zehn Prozent (siehe Grafik). Die Gründe für die männliche Zeugungsunwilligkeit seien recht materialistisch, sagt Forscherin Mariam Irene Tazi-Preve: „Die Männer fürchten Einbußen beim Lebensstandard und scheuen die Verantwortung für Kinder und Familie.“ In den Debatten über das alternde Europa fand der Väterstreik noch nicht Eingang.

Das Gros der Fertilitätsforscher macht als Ursache für die Geburtenmüdigkeit früher oder später stets die institutionelle Betreuung der Kinder aus. Ob der Bau von Krippen und Kindergärten einen Anstieg der Geburtenrate nach sich zieht, ist zwar nach wie vor umstritten. Auffällig ist jedoch, dass es in Ländern mit hohen Fertilitätsraten immer auch ein gut ausgebautes Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen gibt (siehe Grafik). In Österreich hingegen fehlen rund 50.000 Plätze, das Angebot für unter Dreijährige ist außerhalb Wiens kaum vorhanden. Was die nackten Zahlen nicht erzählen: In Dänemark oder Finnland ist die institutionelle Kinderbetreuung hoch angesehen. „Niemand käme auf die Idee, Eltern vorzuwerfen, ihre Kinder in Krippen oder Kindergärten abzuschieben“, sagt Andrea Leitner vom Institut für Höhere Studien (IHS). In Österreich und Deutschland herrsche die Auffassung, am besten aufgehoben seien die Kleinen immer noch bei ihrer Mutter. „Mit mehr Plätzen ist es da nicht getan, man müsste die Kindergärten sehr viel mehr aufwerten“, fordert Leitner.

Den Mangel bei den Jüngsten hat die Politik mittlerweile entdeckt. Bundeskanzler Alfred Gusenbauer belebte die von Schwarz-Blau gestrichene Kindergartenmilliarde wieder, vor allem die Betreuung für unter Dreijährige soll gefördert werden. Über die Nachmittagsbetreuung von Schulkindern redet kaum jemand. Dabei ist es kein Zufall, dass Länder mit hoher Fertilitätsrate die gute Kinderbetreuung mit flächendeckenden Ganztagsschulen fortsetzen. Im Französischen existiert nicht einmal ein eigener Begriff dafür, weil Schule dort immer den ganzen Tag dauert. In Österreich werden engagierte Eltern schnell zu Freizeitgestaltern und Chauffeuren ihrer Kinder: Der Nachwuchs wird vom Fechten zur Tanzgruppe, von der Englischnachhilfe zum Kindergeburtstag kutschiert.

Viele Einkindfamilien. Der kräfteraubende Marathon findet an unerwarteter Stelle der Geburtenstatistik seinen Niederschlag: Die Zahl der Einkindfamilien hat zugenommen. Die böse kinderlose Akademikerin und der karrieregeile Banker-Yuppie sind entgegen allen öffentlichen Anklagen nicht allein schuld an den niedrigen Geburtenraten. Die Zahl der Kinderlosen bleibt nämlich seit Jahrzehnten konstant. Die Mehrkindfamilie hingegen geht stark zurück. Ein möglicher Grund: Nach dem Betreuungsstress am Nachmittag denken viele Eltern lieber zweimal nach, ob sie noch Geschwister in die Welt setzen.

Wer Österreich zu einem kinderreichen Land machen möchte, müsste an vielen Hebeln gleichzeitig ansetzen. Auf einen dieser Hebel konnten sich Familienministerin Andrea Kdolsky (ÖVP) und Frauenministerin Doris Bures (SPÖ) immerhin schon einigen. Künftig bekommen diejenigen, die nur ein Jahr zu Hause bleiben, mit 800 Euro im Monat fast doppelt so viel Kindergeld wie jetzt bezahlt. Das soll Männern den Schritt in die Babypause erleichtern. „Aus frauenpolitischer Sicht ist völlig klar, dass Väter in der Kinderbetreuung viel mehr vorkommen müssen“, sagt Bures.

Verhütungsmittel Politstreit. In den vergangenen Wochen war die Regierung freilich noch mit der Nachgeburt des Kindergelds alt beschäftigt. Hier prallen zwei Standpunkte aufeinander. ÖVP-Familienministerin Andrea Kdolsky verlangt, dass Eltern, die zu viel dazuverdient haben, das Kinderbetreuungsgeld zurückzahlen. Frauenministerin Bures, die das Kinderbetreuungsgeld immer schon für Unfug hielt, will jetzt Gnade vor Recht walten lassen. Das bringt manche Parteifreunde in eine seltsame Doppelrolle. Die Kärntner SPÖ-Chefin Gaby Schaunig will Musterprozesse von Eltern unterstützen, die sich gegen die Rückzahlung des Kindergelds wehren. Gleichzeitig will sie auf der Seite jener kämpfen, die sich an die Zuverdienstgrenze gehalten haben und jetzt wegen Benachteiligung eine Klage überlegen.

Mit dem Dauerstreit, ob zurückgezahlt werden muss oder nicht, verunsichern die Politikerinnen die Eltern, und das sei kontraproduktiv, meint Wirtschaftsforscherin Christine Mayrhuber: „Väter und Mütter müssen sich verlassen können, dass die Lage einschätzbar und sicher ist.“ Denn wenn die Zukunft unsicher ist – dann wirke das wie ein Verhütungsmittel.

Von Eva Linsinger und Edith Meinhart