USA. 'Farbenlehre' mit Barack Obama

'Farbenlehre' mit Barack Obama

Jetzt muss er die weißen Wähler überzeugen

Drucken

Schriftgröße

Fragt man einen durchschnittlichen weißen Amerikaner, ob er etwas gegen Schwarze habe, wird er im ersten Moment verdutzt reagieren – um dann zu antworten: „Nein, natürlich nicht." In der Anonymität der Wahlkabine werden solche Fragen zwar nicht gestellt, was jedoch nicht bedeutet, dass sie bei der Stimmabgabe nicht trotzdem beantwortet werden – und zwar ganz anders. Tom ­Bradley, afroamerikanischer Politiker in Kalifornien, weiß das nur zu gut. 1982 kandidierte der damalige Bürgermeister von Los Angeles in seinem Bundesstaat als Gouverneur. Die Umfragewerte waren blendend, die Zuversicht war entsprechend groß. Beim Wahltag jedoch musste der Demokrat eine herbe Niederlage einstecken. Den „Bradley-Effekt“ nennen US-Politologen seither dieses Phänomen der subtilen Diskriminierung von Schwarzen. Ein Phänomen, das plötzlich nicht mehr existiert?

Mondlandung. Erstmals in der 232-jährigen Geschichte der USA haben die Amerikaner die Möglichkeit, einen Schwarzen ins Weiße Haus zu wählen. Fünf Monate nach seinem ersten Sieg bei den Vorwahlen in Iowa hat Barack Obama den spannendsten demokratischen Vorwahlkampf seit Jahrzehnten vergangene Woche endgültig gewonnen.
„Heute Abend kann ich vor euch treten und sagen, dass ich der Kandidat der Demokraten bei der Präsidentschaftswahl sein werde“, rief der Senator von Illinois 17.000 enthusiasmierten Fans am Dienstag vergangener Woche in St. Paul, Minnesota, zu und verharrte eine Minute lang in der Pose eines siegreichen Feldherrn auf der Bühne.

„Das ist die Mondlandung“, kommentierte der sonst so nüchterne Keith Olbermann, Moderator des Senders MSNBC, das Ereignis. „Ja, das ist die Mondlandung“, bestätigte sein Kollege Tom Brokaw und wischte sich die Tränen aus den Augen. Obamas Sieg gegen die übermächtige Kampagnenmaschine der Clintons ist ein durchaus historisches Ereignis, denn es bedeutet, dass erstmals ein Schwarzer der mächtigste Mann der Welt werden kann. Und es bedeutet außerdem, dass die USA die Rassenkonflikte der Vergangenheit endgültig überwunden zu haben scheinen.
Dabei will Barack Hussein Obama gar keine Symbolfigur für die Versöhnung zwischen Schwarzen und Weißen sein. Der Sohn eines Kenianers und einer Kanadierin ist mit 46 Jahren zu jung, um sich an die Befreiungsbewegung der Afroamerikaner in den sechziger Jahren zu erinnern. Als US-Präsident Lyndon B. Johnson 1964 das Civil Rights Law für die Gleichberechtigung aller Rassen unterschrieb, war Obama zwei Jahre alt.

Seine Hautfarbe hat er im Wahlkampf nie zu einem Thema gemacht. Er wollte nicht als schwarzer Kandidat ins Rennen um die Präsidentschaft gehen, sondern als Kandidat mit guten Ideen, der eben zufällig schwarz ist. Der Mann versteht es wie kein anderer farbiger Politiker vor ihm, die afroamerikanische Minderheit zu repräsentieren, deren Mehrheit immer noch zu den Unterprivilegierten zählt, und gleichzeitig sein „Change“-Pathos auf eine Weise zu formulieren, die auch die weiße Mittelklasse anspricht. „Es gibt kein schwar­zes und auch kein weißes Amerika, kein Latino- und kein asiatisches Amerika, es gibt nur die Vereinigten Staaten von Amerika“, ist einer der Leitsprüche Obamas.

Sicherlich: Ohne den Einsatz derer, die in den sechziger und siebziger Jahren auf die Straße gingen, sich von Weißen bespucken und von der Polizei niederprügeln ließen, könnte Obama heute nicht so „farbenneutral“ und unbeschwert agieren. Seine Vorgänger sind der streitbare Baptis­tenprediger und Menschenrechtler Al Sharpton und Jesse Jackson, 1984 der erste afroamerikanische Präsidentschaftskandidat. Mit 3,5 Millionen Stimmen wurde Jackson bei den demokratischen Vorwahlen immerhin Dritter. Für die breite Masse der weißen US-Amerikaner war er jedoch nicht wählbar: Mit aggressiven, kämpferischen Tönen forderte er die Rechte der Minderheiten ein und ließ keine Gelegenheit aus, den Rassismus in den USA zu geißeln. Jackson war im demokratischen Aufbruch der sechziger und siebziger Jahre stecken geblieben und wirkte selbst für Liberale wie ein Relikt aus einer vergangenen Ära.

In diese Kategorie fällt auch der Pastor Jeremiah Wright, ein langjähriger Wegbegleiter und Mentor von Obama. Er hatte in seinen Predigten immer wieder gegen Weiße und deren angebliche Weltverschwörung gegen andere Minderheiten polemisiert. Als seine problematischen Äußerungen an die Öffentlichkeit gelangten, sah sich Obama gezwungen, eine Rede über die „Rassenfrage, die wir nie ausgeräumt haben“, zu halten und die „Erbsünde der Nation“ (Obama) zu thematisieren: die Sklaverei, die offiziell erst vor 145 Jahren abgeschafft worden war.

Sackgasse. Obama sprach nicht nur von „der Güte und Grausamkeit, der scharfen Intelligenz und schockierenden Ignoranz, dem Kampf und den Erfolgen und der Verbitterung, welche die schwarze Erfahrung in Amerika ausmachen“, sondern auch ganz offen vom „Zorn, der in Teilen der weißen Gemeinschaft existiert“. Die Rede wurde zig Millionen Mal auf dem Videoportal YouTube abgerufen und entfachte eine in dieser Offenheit bislang nicht geführte Diskussion in Talkshows und Internetforen. Obama hat die Rede nicht geschadet, wohl auch deshalb nicht, weil er sie dazu nutzte, die Amerikaner aufzufordern, gemeinsam einen Ausweg aus der „Rassensackgasse, in der wir seit Jahren stecken“, zu finden und die Chance eines Neuanfangs zu nutzen.

Dieser Neuanfang hat im Grunde längst begonnen. Amerikanische Schwar­ze, die etwas erreichen wollten, haben sich in den vergangenen Jahren demonstrativ von ihrer Geschichte als Sklaven und dem damit verbundenen Selbstmitleid dis­tanziert. Sie durchliefen zum Teil erstaunliche politische Karrieren, wie George W. Bushs Außenministerin Condoleezza Rice oder deren Vorgänger Colin Powell. Auch in Hollywood sind afroamerikanische Stars längst keine Exoten mehr: Denzel Washington, Samuel Jackson oder Wesley Snipes spielen in der A-Liga; Dennis Haysbert gibt in der Erfolgsserie „24“ den integren US-Präsidenten. Mit Barack Obamas Nominierung zum demokratischen Präsidentschaftskandidaten ist Amerika der Utopie, die Hollywood bereits vorexerziert hat, einen Schritt nähergerückt. Sind die USA aber tatsächlich reif für einen schwarzen Präsidenten?

Grundsätzlich stehen Obamas Chancen gegen John McCain gut: Im Duell gegen den Republikaner hat er derzeit eindeutig die Nase vorn. Das Duell heißt Jung gegen Alt, Aufbruch gegen Tradition, Sozialarbeiter gegen Kriegsveteran, Hoffnung gegen Zynismus. John McCain versucht zwar nach Kräften, sich von George W. Bush zu distanzieren. In wesentlichen Punkten weicht der Senator von Arizona aber kaum von der Politik seines mittlerweile völlig unpopulären Vorgängers ab. McCain will den Irak-Krieg fortsetzen und hält auch an der Steuerpolitik seines Parteikollegen fest: Erleichterungen soll es nur für die Reichsten geben. Nur knapp 30 Prozent der Amerikaner befürworten den politischen Kurs des Texaners.

Rassenfrage. Dennoch liegen McCain und Obama in landesweiten Umfragen mit jeweils 46 Prozent Kopf an Kopf. Die Kommentatoren sind sich einig: Das Einzige, was die Demokraten um einen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen bringen könnte, ist Obamas Hautfarbe. „Die Rassenfrage ist in Amerika nach wie vor ein Thema, das wird sie auch bei den Wahlen sein“, sagt Vincent Hutchings, ein Politikwissenschafter der Universität in Michigan und Experte für Wählerverhalten. Eine vom US-Wochenmagazin „Newsweek“ erstellte Statistik bestätigt dies: Demnach würden weiße Demokraten, die Vorurteile gegenüber der schwarzen Bevölkerung haben, nur zu 50 Prozent für den Senator aus Illinois stimmen, während Hillary Clinton auf 80 Prozent käme.

Wie rassistisch ist also das heutige Amerika noch? Laut einer aktuellen Gallup-Umfrage können sich 70 Prozent der Amerikaner einen Schwarzen ohne Weiteres als Präsidenten vorstellen. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 waren es lediglich 43 Prozent gewesen. In eine ähnliche Richtung deutet eine Umfrage des Washingtoner Meinungsforschungsinstituts PEW: Demnach sind heute fast 80 Prozent der Amerikaner damit einverstanden, dass schwarze und weiße Jugendliche miteinander ausgehen (gegenüber 48 Prozent vor zehn Jahren). Barack Obama hat in den kommenden Monaten ein zentrales Problem. Das Amerika, das er so gern vereinen möchte, besteht immer noch aus zwei unterschiedlichen Teilen: einem aufgeklärten, liberalen auf der einen Seite und einem ländlichen, stockkonservativen auf der anderen. Das eine Amerika hat Obama schon hinter sich. Das andere misstraut ihm nach wie vor. Es besteht vorwiegend aus einer älteren, weißen, schlecht verdienenden Bevölkerungsschicht, die bei den demokratischen Vorwahlen für Hillary Clinton votierte, in der Hoffnung, die New Yorker Senatorin könne die goldenen neunziger Jahre, als der Präsident Bill Clinton hieß und es allen ­besser ging, noch einmal aufleben lassen. Diese demokratischen Wähler lehnen einen Schwarzen als Präsidenten aus Prinzip ab – weniger aus rassis­tischen als aus ökonomischen Gründen.

Dass diese Demokraten eine wichtige Wählergruppe ausmachen, zeigten die klaren Vorwahlniederlagen, die Oba­ma in vielen Bundesstaaten einstecken musste: West Virginia, Ohio, Pennsylvania, Kentucky. Appalachia, benannt nach dem Gebirge der Appalachen im Südosten der USA, wird die insgesamt 13 Bundesstaaten umfassende Zone genannt. Für Wahlexperten steht fest: Obama muss die weißen Wähler in Appalachia gewinnen. „Man kann nicht in all diesen ­Bundesstaaten verlieren und trotzdem im November gewinnen“, warnte die pro­demokratische Online-Zeitung „Huffington Post“ zuletzt.

Hillbillies. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Greenberg zeigt: Obama liegt in der Appalachia-Region neun Prozentpunkte hinter John McCain. Das ist der gleiche Rückstand, den John Kerry bei den Präsidentschaftswahlen 2004 auf George W. Bush hatte. „Warum mögen diese Hillbillies Obama nicht?“, fragte Dee Davis aus Kentucky, Vorstand eines lokalen Komitees zur Unterstützung von Barack Obama, in einem Artikel der Online-Zeitung „salon.com“. Ihre Antwort: Die demokratischen Kandidaten vernachlässigten diese Region seit jeher. Die Wähler von Appalachia könne Obama durchaus von sich überzeugen, voraus­gesetzt, er fahre hin. Dann könne er ge­winnen. Barack Obama dürfte den Artikel gelesen haben. Kurz nach seinem Vorwahlsieg ließ sein Team verlauten, er werde als demokratischer Präsidentschaftskandidat zuallererst durch Appalachia reisen.

Von Gunther Müller