Zukunft Fernsehen: Angesagte Revolution

Fernsehen: Angesagte Revolution

Zentrales Merkmal von IPTV ist Interaktivität

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Ried im Innkreis ist eher nicht als Wiege von Revolutionen bekannt. Doch derzeit soll in dem oberösterreichischen Städtchen eine technologische Umwälzung ihren Ausgang nehmen – jedenfalls nach Ansicht von Hans Kühberger, der dort das Unternehmen Ocilion IPTV Technologies GmbH betreibt. Ocilion versteht sich als Pionier im Bereich des interaktiven Fernsehens, und schon der Zusatz im Unternehmensnamen verrät den Geschäftszweck: Mit IPTV ist Fernsehen über das Internetprotokoll gemeint, und in Ried wurde dieses Prinzip erstmals in Österreich im Echtbetrieb erprobt.

IPTV gehört derzeit weltweit zu den heißesten Themen im Kommunikationsbereich, und zahlreiche Unternehmen der unterschiedlichsten Branchen setzen sich derzeit damit auseinander: TV-Stationen, die sich auf neue Konkurrenz einstellen müssen, zudem Telekomkonzerne, Soft- und Hardwareentwickler, für die sich ein neues Geschäftsfeld auftut, und die Werbewirtschaft, die abzuschätzen versucht, wie sich das Nutzerverhalten ändern wird und damit Geld zu verdienen sein wird. Microsoft etwa testet derzeit mit mehreren Netzbetreibern die Software „TV IPTV Edition“, die eine Komplettlösung darstellen soll – und deshalb von TV-Produktionsgesellschaften wie auch vom Endanwender genutzt werden soll. Der Softwarekonzern hat allerdings mit Rückschlägen zu kämpfen: So musste das Schweizer Telekomunternehmen Swisscom aufgrund von Softwareproblemen den Start ihres IPTV-Services vorerst verschieben. Microsoft sei noch nicht ganz so weit, erläutern die Schweizer.

Die Technologie als solche ist indes im Grunde weitgehend ausgereift und basiert bei sämtlichen Anbietern auf demselben Prinzip: Anders als bei Web-TV, bei dem meist nur kurze Filmchen in schlechter Auflösung über den Monitor ruckeln, ist das Endgerät bei IPTV ein konventioneller Fernsehapparat. Unter IPTV wird die digitale Übertragung von Fernsehprogrammen und Filmen über ein digitales Datennetz wie Fernsehkabel, Glasfaser- oder andere Breitbandnetze verstanden. Verwendet wird dazu das dem World Wide Web zugrunde liegende Internetprotokoll. Weil die Übertragung in geschlossenen Netzwerken erfolgt, ist IPTV – anders als Web-TV – nicht für jedermann und von überall abrufbar. Es bedarf eines Abonnements, dann jedoch sollte einem uneingeschränkten Fernsehvergnügen mit einer Vielzahl von Sendern nichts im Wege stehen.

Virtuelle Videothek. „Der wesentlichste Unterschied zum herkömmlichen Fernsehen ist die Interaktivität“, erklärt Ocilion-Gründer und -Geschäftsführer Kühberger. Denn mit IPTV wird der Zuschauer gleichsam zum Programmdirektor. Und Manfred Moormann, Bereichsleiter TV & Media bei der Telekom Austria, verspricht: „Das Fernsehen der Zukunft bietet einen Komfort, den man nicht mehr missen wollen wird.“

Die für Couch-Potatoes möglicherweise interessanteste Anwendung dieser Technologie ist das Prinzip Video-on-Demand (VoD). Aus einer virtuellen Videothek kann der Konsument Filme und Serien wählen, wobei die Beiträge auf Knopfdruck und in Sekundenschnelle verfügbar sind. Wer wiederum aufgrund von fragwürdigem Zeitmanagement stets den Filmbeginn verpasst, wird sich vermutlich über die Timeshift-Funktion freuen, also zeitversetztes Fernsehen: Wenn man es nicht rechtzeitig zu den Abendnachrichten geschafft hat, kann man sie sich zu einem späteren Zeitpunkt ansehen. Denn IPTV-Anbieter zeichnen die Programme der Sender auf ihren Servern auf, und die Kunden können die gewünschten Sendungen – so der jeweilige Programmlieferant das gestattet – bis zu 24 Stunden später abrufen.

Interaktivität. Den interaktiven Anwendungen scheinen kaum Grenzen gesetzt zu sein: So könnten in naher Zukunft Bestellungen bei Shopping-Sendern statt über das Telefon per Fernbedienung erfolgen. Auch Televotings – also Publikumsabstimmungen bei bestimmten Programmen – und die Teilnahme an Quizshows würden dadurch erleichtert. Und für Lotterien und Wettanbieter könnte dies einen neuen Vertriebskanal darstellen, indem direkt über den Fernseher Wetten entgegengenommen werden. Ermöglicht wird die Interaktivität, weil das Signal digital bis zum Abonnenten übermittelt wird und für jeden Teilnehmer ein Rückkanal besteht. Herzstück ist eine so genannte Set-Top-Box, die mit dem TV-Apparat verbunden wird. Sie empfängt das IP-Signal über die Datenleitung, entschlüsselt es und macht es für das TV-Gerät darstellbar.

Für all diese Anwendungen hat Ocilion die passende Software entwickelt. Die Voraussetzung wurden vom Rieder Systemhaus und Internetprovider Infotech geschaffen, einem Unternehmen, das Anfang der neunziger Jahre von Kühberger gemeinsam mit Partnern gegründet wurde. Mit steigender Kundenzahl entschlossen sich die Entrepreneure 2001, im Raum Ried in Eigenregie Glasfaserkabel zu verlegen. „Wir haben die halbe Stadt umgegraben“, erzählt Kühberger. Heute verfügt Infotech über insgesamt 30 Kilometer Trasse.

Doch die Infrastruktur nur für Internetzugänge zu nutzen, war den Riedern bald zu wenig. Kühberger entdeckte seine Leidenschaft für interaktives Fernsehen und machte sich auf die Suche nach geeigneten Softwarelösungen – ohne jedoch fündig zu werden. „Was damals verfügbar war, hat entweder technisch nicht entsprochen oder war für ein kleines lokales Netz nicht effizient einsetzbar“, so Kühberger. Logische Konsequenz: Die Tüftler entwickelten ihr eigenes Programm mit einer passenden Bedienungsoberfläche für den Endkunden, das nun vom 2004 gegründeten Spin-off Ocilion vertrieben wird.

Mittlerweile ist IPTV in mehr als 100 Rieder Haushalten installiert, und das Projekt hat in der Branche international Interesse geweckt: So nehmen die Verantwortlichen von Sendeanstalten wie RTL oder Pro7Sat1 plötzlich öfter mal Termine in der Kleinstadt wahr. Inzwischen hat Ocilion seinen Aktionsradius merklich ausgedehnt: Pilotprojekte laufen unter anderem in Deutschland, in den Benelux-Staaten und einigen osteuropäischen Ländern.

Motor für die Entwicklung von IPTV ist der zunehmende Wettstreit zwischen TV-Kabelgesellschaften und Telekommunikationsanbietern. Erstere haben seit Längerem Paketangebote aus Fernsehen, Internet und Telefon im Programm. Sie wildern somit direkt im Revier der Festnetzanbieter. Diese wiederum wehren sich nun, indem sie mit IPTV in den Kernbereich der Kabelgesellschaften vordringen – die Bereitstellung von Fernsehinhalten.

Neues Geschäftsfeld. Die Telekom Austria hatte den Start ihrer Fernsehschiene aonDigitalTV ursprünglich sogar schon für Herbst 2005 geplant. Aus technischen Gründen und wegen langwieriger Verhandlungen über Programminhalte war es dann allerdings erst im vergangenen März so weit. Bis dato ist das Angebot allerdings nur in Wien abonnierbar. Den Kunden stehen über die Breitbandleitung derzeit rund 60 TV-Kanäle zur Verfügung. Einige davon sind erstmals im österreichischen Kabelnetz empfangbar – etwa die deutsche Version des History Channel und der Action-Spielfilmkanal AXN von Sony. Für den Überblick sorgt ein eigener elektronischer Programmführer. Das Video-on-Demand-Repertoire umfasst derzeit etwa 600 Titel und reicht von aktuellen Blockbustern und Spielfilmklassikern über Serien bis hin zu Inhalten aus dem ORF-Archiv. Eine Timeshift-Funktion wird derzeit noch nicht geboten. Das Abonnement kostet monatlich 19,90 Euro, für die Set-Top-Box werden einmalig 139,90 Euro verrechnet.

Mit der Erschließung dieses Geschäftsfeldes will die Telekom Austria nicht zuletzt dem Kundenschwund im Bereich der Festnetztelefonie entgegenwirken. Wie viele Nutzer das neue Angebot bereits abonniert haben, mag Telekom-Manager Moormann zwar nicht verraten. Dass der neue Geschäftsbereich anfangs wesentliche Zusatzumsätze generiere, sei aber nicht zu erwarten. Die Markteinführung im März wurde auch nicht gerade intensiv beworben.

Mittelfristig peilt die Telekom jedoch einen 20-prozentigen Marktanteil am österreichischen Kabel-TV-Markt an. Der Breitbandausbau der Telekom Austria ist heute so weit fortgeschritten, dass für 87 Prozent der österreichischen Haushalte ADSL grundsätzlich verfügbar ist. An potenziellen Kunden besteht also kein Mangel.

Dennoch ist Österreich, wie der gesamte deutschsprachige Raum, in Bezug auf IPTV im Hintertreffen: Die Deutsche Telekom ist erst Anfang September mit ihrem IPTV-Dienst gestartet, und in der Schweiz ist Swisscom mit dem ersten Versuch überhaupt gescheitert. Etwas rosiger ist die Situation in Frankreich: Anbieter wie France Telecom und Free Telecom bedienen knapp die Hälfte der 1,6 Millionen westeuropäischen IPTV-Abonnenten. In den USA sind zwischen 20 und 30 Prozent der Haushalte mit IPTV ausgerüstet. Analysten gehen davon aus, dass die Kundenzahlen der IPTV-Anbieter in den nächsten vier Jahren auf das Zehnfache des heutigen Niveaus wachsen werden.

Leidtragende dieser Entwicklung sind die etablierten TV-Stationen. Sie müssen sich darauf gefasst machen, beim Rechteeinkauf immer öfter leer auszugehen, und sich der wachsenden Konkurrenz erwehren. Auch das klassische starre Programmschema werde zunehmend als unattraktiv empfunden, geht aus einer von IBM in Auftrag gegebenen Studie zum Thema IPTV hervor.

Neue Werbeformen. Vorbehalte haben traditionelle TV-Stationen vor allem gegenüber dem Prinzip Timeshifting, das auch ein schnelles Vorspulen des Programms ermöglicht. Denn damit könnte die Werbung einfach ausgeblendet werden, so die Befürchtungen. Für die Werbewirtschaft könnten mit IPTV allerdings überhaupt neue Zeiten heraufdämmern: Denn die Tage der traditionellen 30-Sekunden-Filmchen scheinen gezählt, bereits jetzt nutzen zahlreiche Zuschauer ihre digitalen Videorekorder, um jegliche Werbung zu überspringen.

Andererseits eröffne gerade IPTV auch Betrieben, für die Fernsehwerbung bis dato allein aufgrund der Kosten undenkbar war, gewisse Möglichkeiten. So könnten nun auch kleinere Unternehmen TV-Spots schalten, die nur im unmittelbaren regionalen Umfeld des Auftraggebers zu sehen sind. Durch die neue Technologie könne Werbung zudem viel präziser auf die jeweilige Zielgruppe abgestimmt werden, erklärt Moormann.

Anderswo werden die neuen TV-Möglichkeiten bereits intensiv ausgelotet. Wie die neuen Werbeformen aussehen können, zeigt das kanadische Unternehmen VideoClix mit einer selbst entwickelten Software, die vorführt, wie Film und Werbung einander durchdringen können. Erscheint in einem mit VideoClix bearbeiteten Film der Protagonist mit besonders modischen Klamotten oder Accessoires, können die Zuschauer diese während der laufenden Szene anklicken. In einem kleinen Fenster erscheinen dann Produktbeschreibung sowie ein Button für die direkte Bestellung.

Von Christina Hiptmayr