Ferrero-Waldner im profil-Interview

Über Tibet, Nahost und die EU-Stimmung

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profil: Sie waren gerade mit Kommissionspräsident José Manuel Barroso zu politischen Gesprächen in Peking. Einige EU-Politiker wollen die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele boykottieren. Sollte die EU nicht einheitlich vorgehen?
Ferrero: Wir sind zu einer einheitlichen EU-Position gekommen mit folgenden Kernpunkten: Es sollte ein konstruktiver und substanzieller Dialog zwischen der chinesischen Führung und dem Dalai-Lama und seinen Vertretern beginnen, und zwar zu Fragen wie kulturellen Rechten, tibetanischer Religion und Sprache und Minderheitenrechten. Diese Position haben wir auch gerade gegenüber der chinesischen Regierung ver­treten.

profil: China lehnt den Dialog mit dem Dalai-Lama aber ab.
Ferrero: Aber genau dieser könnte dabei helfen, das Klima zu entspannen. Wir verlangen natürlich von beiden Seiten Gewaltfreiheit.

profil: Die EU führt ihre bisher größte Militärmission außerhalb Europas im Tschad durch. Wie sinnvoll ist dieser Einsatz?
Ferrero: Das Wesentliche dieser Mission ist ihr humanitärer Zweck. Der Schutz der Flüchtlinge ist die Aufgabe dieses europäischen Korps. Und deshalb ist es sinnvoll, dass auch österreichische Soldaten dabei sind. Die Teilnahme war eine klare österreichische Entscheidung. Österreich wurde keineswegs dazu gezwungen. Wir sind eine Solidargemeinschaft und keine Zwangsgemeinschaft. Das ist im Reformvertrag sehr klar verankert worden.

profil: Die EU-Kommission wurde zuletzt wegen ihrer ehrgeizigen Klimaschutzpläne kritisiert. So würden die letzten Fabriken aus der EU vertrieben, hieß es.
Ferrero: Ich halte es für grundsätzlich richtig, dass die Europäische Kommission die Initiative beim Klimaschutz ergriffen hat. Ich habe mich innerhalb der Kommission sehr dafür eingesetzt, dass die energieintensiven Industrien behutsam angefasst werden müssen. Denn wir wollen verhindern, dass es zu einer Verlagerung von wichtigen Unternehmen nach China, Indien oder in andere Länder kommt, die sich beim Umweltschutz noch keine so strengen Ziele gesetzt haben. Europa muss Vorreiter beim Klimaschutz sein, aber wir müssen sicherstellen, dass auch Länder wie China, Indien, die USA, Japan oder Brasilien 2009 einem weltweit gültigen Abkommen beitreten.

profil: Zur EU-Erweiterung. Was halten Sie vom Aufnahmestopp, den Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl – außer Kroatien – gefordert hat?
Ferrero: Dem habe ich widersprochen. Die Westbalkan-Länder haben eine klare Perspektive für einen EU-Beitritt. Kroatien könnte, wenn es die Reformen energisch umsetzt, schon bald beitreten. Die anderen Länder haben noch viel zu tun. Die von mir geführte Nachbarschaftspolitik mit Ländern wie Georgien, Aserbeidschan, Armenien, der Ukraine und Moldawien ist eine zur Beitrittsstrategie komplementäre Politik.

profil: Wird die EU neue Initiativen im Nahen Osten setzen?
Ferrero: Der Friedensprozess ist zwar in einer schwierigen Phase. Aber erstens trifft sich kommende Woche das Nahost-Quartett, und zweitens wird US-Präsident Bush den Nahen Osten besuchen. Dann gibt es vielleicht einen positiven Schub. Aber in der Region gab es zuletzt leider auch viele enttäuschende Entwicklungen. Nicht alle Straßensperren wurden wie angekündigt entfernt, neue israelische Siedlungen wurden in den besetzten Gebieten gegründet, die Frage der Grenzübergänge nach Gaza ist leider auch noch immer offen.

profil: Die EU hat ihre Finanzhilfe für den Gazastreifen wieder aufgenommen. Wird die Hamas-Führung von der EU als Faktum hingenommen?
Ferrero: Die EU-Gelder gehen nicht an die Hamas. Wir haben für Gaza ein eigenes Finanzins­trument geschaffen. Im Gaza-streifen helfen wir der ärmsten Bevölkerung. Wir bezahlen auch einen Teil der Energielieferungen, vor allem Treibstoff, damit Wasserpumpen oder Spi­täler funktionieren.

profil: Was halten Sie von der schlechten EU-Stimmung in Österreich?
Ferrero: Die betrübt mich wirklich sehr. Die Menschen anerkennen zu wenig, welche gro­ßen Vorteile die EU-Mitgliedschaft Österreich gebracht hat und weiter bringt. Etwa die vielen Arbeitsplätze im Wirtschaftssektor, die oft nur auf die Erweiterung der EU zurückzuführen sind. Das muss man stärker persönlich kommunizieren. Das ist eine Aufgabe auf nationaler und europäischer Ebene.

Interview: Otmar Lahodynsky