Festspiele: Nervenfieber

Festspiele: Nervenfieber

Salzburg entdeckt Erich Wolfgang Korngold

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"Zu schnell“, rief Mutter Josephine genervt aus. – „Nein, zu langsam“, konterte Vater Julius. Das Ehepaar Korngold war stolz: Drei Musiker probten gerade das Opus 1 des erst 13-jährigen Erich, der mit löffelgroßen Augen zwischen seinen Eltern saß. „Zu schnell.“ – „Nein, zu langsam.“ Als der Teenager leise anmerkte, er finde die Aufführung eigentlich ganz okay, zischten die Eltern: „Du sei ruhig!“ Die Noten des Trios trugen die Widmung „Meinem lieben Papa“.

Julius Korngold war ein Vater von Gewicht: Seine messerscharfen Artikel hatten dem Kritiker der „Presse“ Respekt und Feindschaft eingebracht. Sein Sohn suchte sich als Fünfjähriger erste Melodien am Klavier zusammen, studierte als Neunjähriger die Geheimnisse des Kontrapunktes, und als die Staatsoper das Ballett „Der Schneemann“ aufführte, staunte sogar Richard Strauss: „Ich erlitt einen Schock, als ich erfuhr, dass dieses Musikstück von einem elfjährigen Kind stammte.“

Erich Wolfgang Korngold, geboren 1897, war ein Wunderkind nach Maß. Mit einer Mischung aus Neid und Bewunderung verfolgten Koryphäen wie Puccini, Webern oder Humperdinck den Steilflug des Wiener Buben: Als 15-Jähriger begann er die Oper „Violanta“ zu schreiben; 1920 wurde seine Oper „Die tote Stadt“ uraufgeführt – drei Stunden Musik voll klaustrophobischer Intensität.

Romantisch. Das Ausnahmetalent garantierte jenes Nervenfieber, das sich Opernbesucher zu Beginn des 20. Jahrhunderts so innig wünschten: Seine Partituren strotzen vor Melodien, luxuriösem Schauder und sentimentalen Effekten. Während Avantgardist Arnold Schönberg die klirrende Kälte der modernen Großstadt entdeckte, hüllte sich Korngold in die wärmende Decke der Romantik.

Doch heute? Außer Connaisseurs hat kaum jemand noch eine Tonfolge des Österreichers im Ohr. Der Verfertiger musikalischer Surrogate passte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr ins ästhetische Konzept. Die Avantgarde-Zentren Donaueschingen und Darmstadt gaben den Ton an, Boulez und Stockhausen hießen die Heroen der Stunde.

Dabei war Korngold in Hollywood längst zum Star aufgerückt, jener Hochburg der Unterhaltungsindustrie, die der Philosoph Theodor W. Adorno so leidenschaftlich geißelte. In letzter Minute vor den Nazi-Schergen aus Wien geflohen, wurde der jüdische Emigrant von Warner Brothers unter Vertrag genommen. Dass Korngold Filme wie „Der Herr der sieben Meere“ (1940, mit Errol Flynn) oder das Bette-Davis-Melodram „Deception“ (1946) mit komplexer Leitmotiv-Technik voll packte, beeindruckte die Puristen in Europa ebenso wenig wie der Oscar, den er für „Robin Hood“ erhielt: Korngold hat den typischen Breitwand-Sound erschaffen, der noch für „Star Wars“ und „E.T.“ gültig sein sollte. Doch wer nach 1945 noch tonale Melodien drechselte, galt in den feineren Ästhetenkreisen als nicht gesellschaftsfähig. Als Korngold 1949 nach Wien zurückkehrte, wo er kaum mehr gespielt wurde, konstatierte er: „Ich bin vergessen.“

Doch mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 ging nicht nur politisch die Nachkriegsära endgültig zu Ende. Auch in der Musik legten sich die Ideologie-Kämpfe. So entstand Raum für eine Renaissance, die wellenartig all jene Komponisten erfasste, die auch nach 1930 noch tonale Musik schrieben.

„Korngold erscheint heute als bedeutendes Bindeglied zur beginnenden Moderne“, rückt Intendant Peter Ruzicka das Korngold-Bild zurecht und setzt „Die tote Stadt“ auf den Spielplan der Salzburger Festspiele. „Ich bin mir ganz sicher, dass wir in Zukunft den Werken Korngolds mit der gleichen Selbstverständlichkeit begegnen werden wie denen von Richard Strauss.“

Renaissance. Tatsächlich: Nicht weniger als drei Biografien über Korngold sind in den vergangenen Jahren erschienen, auch die Klassik-Labels entdecken den anachronistischen Romantiker als Kassenschlager neu. „Die Aufnahmen verkaufen sich gut“, sagt Burkhard Schmilgun vom Label CPO, das mit seiner Korngold-Serie wesentlich zur Rehabilitierung beigetragen hat. Gehen von Brahms-Einspielungen durchschnittlich 1000 Stück über den Ladentisch, liegen die Korngold-CDs aktuell bei 5000 Exemplaren pro Album. Schmilgun: „Unsere Hoffnungen haben sich voll erfüllt.“
Längst haben auch die großen Labels Korngolds Potenzial erkannt: Edel-Mezzo Anne Sofie von Otter veröffentlichte bei der Deutschen Grammophon eine Doppel-CD des 1957 in den USA verstorbenen Wieners, Klangtüftler Franz Welser-Möst nahm sich für EMI der Symphonie in Fis-Dur an.

Der Grund für den Erfolg? Der Faserschmeichler bediente sich im Alter bei sich selbst: Für sein butterweiches Violinkonzert (1947) etwa variierte er seine Filmmusik zu „The Prince and the Pauper“. Während Korngold für Beethoven-Fans also eine Entdeckung sein mag, ist sein Sound dem breiten Publikum längst vertraut: aus dem Kino.